Bei Maries Geburtstag offenbaren die Töchter und Pflegekraft Violsa ihre Gefühle.Fotos: Cools Foto: Schwarzwälder Bote

Zimmertheater: "5 Frauen im Netz": Orientierungslosigkeit und die (Un)Möglichkeit, eine Frau zu sein

Schöne Kobolde, die sich an die Erdoberfläche kämpfen, Püppchen, perfekte Assistentinnen, Pilotfische – nie war es so schwer zu definieren, was eine Frau ist. Mit diesem Wort und den Rollenerwartungen beschäftigen sich fünf Frauen. Sie merken schnell: Wirklich frei sind sie noch nicht.

Rottweil. Eine Frau, die früher unabhängig und stark war und sich nun in einer Welt wiederfindet, mit der sie nicht klarkommt, ihre Tochter, die ganz und gar von der digitalen Welt und ihrer Arbeit aufgesaugt wird, die andere Tochter, die verträumt-naiv hofft, dass alles gut wird, die Nachbarin, die ihr eigenes Leben versäumt hat und nun Anteil an dem der anderen nimmt, und die Pflegekraft aus dem Ausland, die nur für andere lebt und nicht mehr weiß, wer sie selbst ist. Sie alle haben etwas gemeinsam: Sie sind verloren in dieser Welt, in der die Männer herrschen, und tragen gleichzeitig selbst Schuld an ihrem Schicksal.

Mutter Marie (Petra Weimer) hat in ihrer Vergangenheit für ihre Unabhängigkeit und Stärke gekämpft, nun scheint sie ausgebrannt und kämpft mit ihren immer wirrer werdenden Gedanken und der Demenz. Die Coronakrise tut ihr Übriges. Tochter Nina (Britta Werksnis) ist in die "Männerdomäne" der Arbeitswelt einmarschiert und glaubt, nur durch ständige Verfügbarkeit und 80-Stunden-Wochen die Stellung halten zu können. Die andere Tochter (Nora Kühnlein) versucht, sich selbst und die Welt durch die Brille des Idealismus zu sehen. Nachbarin Uta (Maika Troscheit) hat nie Gefühle zugelassen und will das nun wieder gut machen, indem sie sich um Marie kümmert. Und Violsa, die Pflegekraft (Valentina Sadiku), sucht zwischen drei Jobs, Kindererziehung und dem Druck der Schwiegermutter nach ihrer Würde. Alle wollen sie starke, moderne Frauen sein, ohne richtig zu wissen, was das bedeutet. Jede ist für sich, sucht ihre eigene Rolle in dieser Welt, fühlt sich dem Konflikt zwischen erotischer Frau, die gefallen will, und Mensch ausgesetzt.

Die digitale Welt erscheint zumindest für die Töchter als leichte Lösung, ohnehin in der Coronakrise, für Marie ist sie jedoch mehr "digitale Gruft", in der aller persönlicher Kontakt stirbt. Die Abstandsregel verhindert, wozu sie ohnehin nicht mehr fähig sind: wirkliche Nähe. Trotzdem spüren sie, dass das Internet nicht für alles die Lösung bereithält.

Durch die Krise sind sie alle plötzlich dort, wo Marie schon lange ist: in Isolation, in Einsamkeit. Das Maskieren dient zum Verstecken der wahren Empfindungen. Doch bald fällt ihnen auf: Statt um Corona sollte man sich um die Welt kümmern. Eine Welt, in der man von der einen in die andere Verliebtheit stolpert, ohne echte Liebe zu finden, in der Familie nur noch eine Worthülse ist, und in der man sich fragt, wohin die Befreiung der Frau überhaupt geführt hat. Die Frauen spüren, dass sie nicht unterworfen werden, sondern sich selbst klein machen, zu "Monopolisten der Anpassung" werden und sich dann wundern, dass die Männer sind wie sie sind.

"Wir sind das Netz", sagen die fünf Frauen. Das Netz, das ihnen Sicherheit vermittelt, sie aber eigentlich nur gefangen hält, das Netz, von dem sie denken, dass es sie mit Menschen verbindet, ohne zu merken, dass es sie nur noch weiter entfernt. Und in all der Verwirrtheit scheint Rückbesinnung die einzige Lösung zu sein. "Wenn alle dabei sind, wird alles wieder gut" – Marie und Nina verlieren sich in Verschwörungstheorien und wenden sich nach rechts, um sich ihre "deutsche Würde" zurückzuholen. "Sie sind verloren", stellen die verbliebenen drei Frauen fest. Sie bleiben eine halbe Familie und eine Familie der Halben, in einem Konflikt gefangen, für den es keine einfache Lösung gibt.

Bei diesem traurig-komischen Stück kann sich der Zuschauer nicht einfach berieseln lassen und die Gedanken fliegen lassen, er muss am Ball bleiben, mitdenken, wie bei so vielen von Peter Staatsmann geschriebenen Stücken, mitfühlen und mit sich selbst ins Gericht gehen. "Fünf Frauen im Netz" ist eine gestraffte und auf die aktuellen Begebenheiten bezogene Version von "We are family", das nach wenigen Vorstellungen wegen der Coronakrise abgebrochen werden musste. Im Bockshof gewinnt das Stück an Leichtigkeit, die Gedanken sind deutlicher, die Situationen pointierter, die Gefühle, vor allem dank der Musik, spürbarer. Mal begleitet die Live-Musik von Dorin Grama die Gedanken der Frauen, mal kontrastiert sie sie oder dramatisiert sie bis ins Übertriebene. Die Dialoge sind bittersüß, die Emotionen zwischen Spaß und Melancholie. Und irgendwie fragt sich am Ende des Abends jede Frau ein bisschen, welcher auf der Bühne sie am ähnlichsten war.