Moderator Michael Wollek (von rechts vorne) im Gespräch mit Lena Kroenlein, August Unterreitmeier, Isabell Andrich, Olga Ewert, Veronika Bihler und Marcus Streule. Fotos: Otto Foto: Schwarzwälder Bote

Podiumsdiskussion: Interessanter Erfahrungsaustausch der ÖKJ in Rottweil

Kreis Rottweil. "Was ich vermisse, ist mehr Optimismus", "Ich wünsche mir Normalität", aber auch "Wir genießen es, wie es jetzt ist" – starke Aussagen zum Thema Inklusion und interessante Gesprächspartner machten die Podiumsdiskussion der Ökumenischen Kinder- und Jugendförderung (ÖKJ) zu einem besonderen Abend.

Es ist ein vielgenutztes Wort: Inklusion. Aber was steckt dahinter? Wie kann sie gelingen? Und wie nehmen Betroffene, Eltern, Erzieher, Lehrer und Therapeuten sie wahr? Bei der Podiumsdiskussion zum Thema "Inklusion und Frühförderung – Erfahrungen aus der Praxis" im voll besetzten evangelischen Gemeindehaus in Rottweil, zu der Interessierte aus dem ganzen Kreis gekommen waren, schilderten starke Persönlichkeiten mutmachende Erlebnisse und berührende Beispiele gelungener Inklusion, hinterfragten aber auch kritisch die Rahmenbedingungen und zeigten die Grenzen dessen auf, was leistbar ist.

Eva-Maria Graef vom Vorstand der ÖKJ hatte eingangs an den wichtigen Schritt erinnert, der vor zehn Jahren im Kreis Rottweil mit der Einrichtung der inklusiven Gruppe im Don Bosco-Kindergarten in Oberndorf getan wurde. Und sie schilderte von dort ein für sie unvergessliches Erlebnis: Zu den Schmetterlingskindern in Oberndorf sei nach den Ferien ein Junge gekommen, der trotz aller Anstrengungen der Eltern nicht laufen konnte, nur auf dem Boden saß. Ein Mädchen sei jeden Tag zu ihm gegangen und habe ihn aufgefordert, mit ihr zu kommen, um zu spielen. Und irgendwann vor Weihnachten sei der Junge aufgestanden, und tatsächlich mitgegangen. "Inklusion – welch eine Chance".

Tendenz wieder rückläufig

So sieht es auch ÖKJ-Geschäftsführer August Unterreitmeier. Er ist überzeugt davon, "dass Integration und Inklusion der richtige Weg für Kinder ist, sich zu entwickeln." Allerdings sieht er mit Sorge, dass sich die Rahmenbedingungen in den vergangenen Jahren zwar positiv entwickelt haben, die Tendenz jetzt aber wieder rückläufig ist. Die Gruppen in den Kindergärten seien voll, es gebe zu wenig Platz – die Folge: "Kinder, die schwierig sind, sollen am besten woanders hin", so seine Beobachtung. Dies sei "beängstigend".

Wie gelungene Inklusion im Kindergarten aussehen kann, berichtete Veronika Bihler, Leiterin des Kindergartens Bühlingen, in dem eine inklusive Schmetterlingsgruppe besteht: "Anders sein, das ist Normalität bei uns". Genau das ist es, was Olga Ewert und ihr Sohn Elias genießen. "Elias fühlt sich wohl dort. Ich freu mich, dass er durch die anderen Kinder täglich Ziele vor Augen hat, die er erreichen will". Isabell Andrich, Mutter zweier Kinder mit Behinderung, hat jedoch auch die Erfahrung gemacht, dass die Schere mit zunehmenden Alter größer wird, es immer mehr Ausgrenzung gebe. Dennoch sieht sie den Besuch des Regelkindergartens als wertvoll an. Kleinere Gruppen und ein höherer Personalschlüssel seien allerdings vonnöten, damit Inklusion auch künftig gelinge.

Personal fehlt

Die Schwierigkeit der personellen Ressourcen thematisierte auch Marcus Streule, Leiter der Grundschule Seedorf, die seit acht Jahren ein inklusives Angebot bietet. Wenn wie in diesem Schuljahr mit deutlich weniger Personal gearbeitet werden muss, stoße man an Grenzen. Wichtig sei gerade im inklusiven Kontext ein persönlicher Bezug der Kinder zu den Lehrkräften.

Und wie geht es nach der Schule weiter? Die Autorin Lena Kroenlein, selbst körperlich eingeschränkt, gab lebhafte, interessante und auch bedrückende Einblicke, wie schwer sich Inklusion im Erwachsenenalter gestaltet. Trotz abgeschlossenem Studium und bester Qualifikationen versucht sie seit Jahren vergeblich, in ein festes Anstellungsverhältnis zu kommen. Die 34-Jährige schildert die Enttäuschung, wenn nach eigentlich ganz positiv verlaufenen Vorstellungsgesprächen wieder ein Absage kommt. – dabei sehe sie selbst ihre Behinderung als Stärke. Inklusion, wie sie jetzt im Kindergarten teilweise gelebt wird, hält sie für wichtig. "Denn diesen Blick auf Augenhöhe, den behalten die Kinder später bei." Sie selbst sei als Kind in Sachen Inklusion so was wie ein "Pilotprojekt" gewesen. Es sei viel über sie, aber wenig mit ihr gesprochen worden. "Oft wurde ich von Entscheidungen einfach überfahren". Sie kämpft weiter um ihre Integration in die Gesellschaft.

Auch heute noch seien Menschen mit Behinderung im Alltag immer noch kaum zu erleben und "unsichtbar", bedauerte auch Moderator Michael Wollek, früher Regionalleiter der Caritas und ehemaliger Vorstand der Stiftung St. Franziskus Heiligenbronn. Auf seine Frage, was jeder einzelne sich für die Zukunft wünscht, forderte Isabell Andrich schlicht "Normalität". Kindergartenleiterin Veronika Bihler verwies darauf, dass auch im inklusiven Kindergarten immer noch "exklusive Oganisationstrukturen" – zwei Träger unter einem Dach – herrschen, was vieles verkompliziere. Auch dies sollte sich ändern – eine Lösung sei aber noch nicht in Sicht.

Bei Snacks und Getränken schloss sich eine rege Diskussion an, die zeigte, dass man im Kreis in Sachen Inklusion viel vorangebracht hat – aber noch viele Aufgaben warten.