Zimmertheater-Premiere: Wenn Rollenbilder zu Stolperfallen werden / Letzter Teil der Deutschland-Trilogie
Eine Mutter, die sich allein auf die Kindererziehung konzentriert, oder eine Karrierefrau, die nur Erfolg hat, wenn sie dem Mann so ähnlich wie möglich wird? Rollenbilder stehen im Fokus des aktuellen Zimmertheater-Stücks, das Frauen wie Männer dazu anregt, die eigene Sicht auf sich selbst kritisch zu hinterfragen.
Rottweil. Werde ich gesehen? Werde ich gemocht? Werde ich begehrt? Es sind Fragen, die sich wohl jede Frau, ja jeder Mensch schon einmal gestellt hat – eingeklemmt zwischen den eigenen Vorstellungen und Erwartungen anderer.
Von der Unmöglichkeit, eine (moderne) Frau zu sein, erzählt das neue Stück des Zimmertheaters Rottweil, das am Freitag Premiere gefeiert hat. Im Fokus von "We are family" aus der Feder von Peter Staatsmann stehen fünf ganz unterschiedliche Frauen und ihr Weg durch das Dickicht von Gedanken und Gefühlen in einer Welt und Zeit, die es schwer macht, sich selbst zu finden.
Da ist etwa Marie (gespielt von Petra Weimer), deren Demenz wie eine Manifestation dessen wirkt, dass vor lauter Rationalität das Gefühl auf der Strecke bleibt. Die beiden Töchter wollen der Mutter das World Wide Web näherbringen und übersehen dabei, dass es die Entfremdung und Einsamkeit nur schlimmer macht. Doch sie haben mit sich selbst zu kämpfen.
Die eine, gespielt von Nora Kühnlein, versucht, ihre Gedanken durch Poesie auszudrücken und hadert mit dem Konzept der Emanzipation, die andere (Britta Werksnis) will sich in einer Männerdomäne behaupten, muss "die Stellung halten" und passt sich so stark an, dass ihr eigener Charakter beinahe unsichtbar wird. Da ist die Angst, keine Stimme zu haben, ausgelacht zu werden vom anderen Geschlecht.
Kann nur der Mann ein Hai sein? Ist die Frau dazu verdammt, als Pilotfisch mitzuschwimmen? Bloß nicht anecken, stattdessen diejenige sein, die den Mann steuert, im Hintergrund bleibt und für Ordnung sorgt, eine Realistin, eine Superassistentin, angepasst, noch ehe es jemand gefordert hat. Das sind Gedanken, mit denen sich die Frauen tragen. Und oft sind es Dichotomien, in denen sie denken. Mann oder Frau, hart oder weich, abwesend oder im Gefühlssumpf, erinnern oder vergessen.
Nachbarin Uta (Maika Troscheit) hielt ihren Mann auf Distanz und spürt erst jetzt, wie es sich anfühlt, unkontrolliert zu fühlen. Der Mann gleicht für Pflegekraft Violsa (Valeantina Sadiku) einem Erlöser und Retter, wenn er sie als Sohn zur "Befehlshaberin" in einem Patriarchat macht, kann aber auch ein Henker sein, der die Frau "teilt" und ihr mehrere Aufgaben auferlegt.
Doch schnell stellt sich die Frage, ob es nicht die Frauen selbst sind, die diese Rollen bereitwillig annehmen, sich selbst in eine Ecke stellen und gar nicht befreit werden wollen – und sich gleichzeitig gegenseitig kritisch beäugen. Alle sind sie im Krieg mit sich selbst und der Rolle der Frau. Und alle sind sie einsam – gefangen in ihrem Labyrinth aus Gedanken, abgekommen vom Weg und nun herumirrend.
Ein Gefühl des Erstickens
In ihrem Gefühl des Erstickens suchen sie einfache Lösungen und erkennen erst zum Schluss, dass diese zu kurz greifen und das Problem nur auf eine andere Ebene verlagern. Der "Clash of Cultures" und das Aufeinandertreffen mehrerer Generationen verkomplizieren die Lage zusätzlich.
Doch obgleich die Fragen, die die vielschichtigen Charaktere aufwerfen, ernst sind, gibt es in diesem postdramatischen Stück auch viele komödiantische Momente. Musiker Dorin Grama schafft es dabei, die Zuschauer beinahe unmerklich emotional zu erreichen.
"We are family" fordert den Zuschauer auf, sich kritisch mit sich selbst, Klischees und selbst angenommenen oder aufgedrückten Rollenbildern auseinanderzusetzen. Das ist Schwerstarbeit und kann auch schmerzen, doch um nicht zu einer "Familie der Halben" zu werden, muss das Trauma ausgegraben, die Betondeckel von den Seelen genommen werden. Denn die wahre Befreiung scheint in der Erkenntnis zu liegen.