"Moment noch, der Kollege kommt gleich". Mit Modernisierung gehen personelle Umstrukturierungen einher.
Kreis Rottweil - Gute Neuigkeiten: Ende Juni sind die baulichen Veränderungen an der Helios-Klinik beendet. Die Umbauten an der Pflege-Struktur des Hauses sind dagegen weiterhin in vollem Gange – und noch nicht alles funktioniert. Ein Patient hatte genug davon.
Deutschlands Dienstleistungssektor verändert sich. Auch im medizinischen Bereich geht es um Effizienz- und Kostendenken. Spürbare Veränderungen ergeben sich dadurch nicht nur bei den Mitarbeitern – auch die "Kunden" bemerken sie.
Ungünstig nur, dass dies zumeist in vermeintlich unpassenden Momenten auffällt. Denn nicht nur bei der Polizei wurde im laufenden Betrieb umgebaut. Auch die Rottweiler Helios-Klinik muss zwangsläufig "am offenen Herzen" umstrukturieren. Doch was für das Krankenhaus tägliche Routine ist, das ist für den Patienten praktisch immer eine Ausnahmesituation. Dieser nimmt die Lage also aus einem anderen Blickwinkel wahr – und bewertet auftretende Probleme auch entsprechend anders.
Patient beschwert sich
So wie Oliver Kolter, über Ostern Helios-Patient, der sich an den Schwarzwälder Boten wandte. Er wolle die Klinik zwar nicht angreifen, halte es aber für nötig, auf Missstände hinzuweisen. Nach zwei für ihn wenig erfreulichen Nächten fällte Kolter an seinem dritten Abend in der Klinik die Entscheidung, das Haus fluchtartig und auf eigene Verantwortung zu verlassen.
Er habe mehrere unangenehme Vorfälle erlebt, besonders beschäftigte ihn der Folgende: Sein älterer und in diesem Moment desorientierter Bettnachbar verschmutzte nachts das Zimmer. So was passiert und ist nicht weiter tragisch. Unangenehm wurde es für Kolter, weil der Urin nur notdürftig mit einer Decke vom Boden aufgewischt, das stinkende Zimmer aber nicht gereinigt wurde. Dafür sei in der Nacht keine Zeit, habe man ihm gesagt. Für Kolter ist dies das Resultat des deutlichen Personalabbaus. Die Reaktion der Klinik: In der Sache werden die Vorwürfe keineswegs bestritten, jedoch anders gewertet und vor allem in den übergeordneten Kontext der Umstrukturierung der Klinik gesetzt. Deren Ziel sei: Eine effizientere Pflege und wirtschaftlicheres Arbeiten.
Seitdem das Rottweiler Krankenhaus 2011 privatisiert wurde, befindet es sich im Umbruch. Damals wurde ein Sozialplan erstellt, 47 Pflegestellen wurden bei der Übernahme gestrichen, teilt Pressereferentin Andrea Schmider auf Anfrage mit. Ende 2015 arbeiteten noch 84,7 Vollkräfte im Pflegebereich der Klinik. "Man braucht es nicht schön zu reden", sagt Schmider dazu, "es war eine Sanierung, das hat eben auch immer mit Personalabbau zu tun." Und auch Pflegedienstleiterin Inge Kaldonek, seit 45 Jahren im Haus, spricht von einem "definitiven Einschnitt". Gleichzeitig sei es jedoch auch ein Wiederaufbau des Hauses, das bis zur Übernahme tief in den roten Zahlen steckte.
Mit den Entlassungen sind die Umstrukturierungen jedoch noch keineswegs am Ende. Derzeit werden die Aufgaben für das Personal neu verteilt. Die Kernidee: Jeder macht das, was er am besten – sprich effizientesten – kann. Weniger qualifizierte Aufgaben in der Patientenversorgung werden an neue Mitarbeiter vergeben, die dann natürlich – und das ist das betriebswirtschaftliche Ziel – auch kostensparender sind.
Effizientere Strukturen
Am Bett des Patienten standen früher der Arzt und "seine" Krankenschwester. Heute kann es im Zimmer schon mal wuseliger zugehen. Denn neben dem Arzt und der Schwester sind auf den Stationen neuerdings auch insgesamt 20 sogenannte Stationsassistentinnen unterwegs. Von Mittag- und Abendessen über die Medikamentenausgabe bis zur morgendlichen Blutabnahme übernehmen sie Aufgaben, die für ausgebildete Pflegekräfte Zeitfresser in der Patientenversorgung sind.
Zusätzlich läuft momentan das Pilotprojekt "Stationssekretärin". Diese Fachkraft soll zukünftig, ähnlich einer Arzthelferin, für weitere pflegefernere, administrative Tätigkeiten zuständig sein, beispielsweise fürs Entlassmanagement, die Koordination der Untersuchungen oder den Telefondienst.
Schmider sieht darin eine "sinnvolle Umverteilung je nach Qualifikation". Wirtschaftlich sinnvoll ist es für das Krankenhaus auf jeden Fall, idealerweise profitiert auch das Pflegepersonal davon – was das allerdings für den Patienten bedeutet, muss sich noch zeigen. Denn dieser hat nun nicht mehr nur einen Ansprechpartner, sondern lernt meist gleich mehrere Gesichter kennen – frei nach dem Motto "Kollege kommt gleich".
Im Management-Deutsch nennt sich derlei Tun "arbeitsteilige Produktion". Und viele Patienten kennen das vielleicht auch von ihrem eigenen Arbeitsplatz – egal ob als Sachbearbeiter in der Finanzbuchhaltung oder in der Fertigung. Die Patientenversorgung hingegen galt noch lange – gerade im Hinblick auf die zwischenmenschliche Zuwendung – als einer der wenigen Zweige der Arbeitswelt, in dem diese Arbeitsteilung noch nicht konsequent durchgesetzt war. Doch wie auch Schmider einräumt: "Die Personalkosten sind hier wie in jedem Unternehmen der größte "Batzen", den man sich bei einer Sanierung natürlich genau ansehen muss." Hier liegt also ein entscheidendes "Potenzial" für die Gewinn-Maximierungen des Klinik-Unternehmers.
Konfliktpotenzial
Gleichzeitig bietet das Thema Personalabbau aber eben auch immer großes Konfliktpotenzial: So verständlich es einerseits sein mag, dass Krankenhausbetriebe bestrebt sein müssen, kostendeckend zu arbeiten und idealerweise auch noch Mittel für Investitionen zu erwirtschaften: Ob die Patientenpflege – ja, die medizinische Versorgung überhaupt – der richtige Ort ist, um solche Management-Ideen umzusetzen, ist umstritten. Denn bei Patienten kann es, wie auch bei Oliver Kolter, den Eindruck vermitteln, dass "auf Kosten der Patienten schwarze Zahlen geschrieben" werden sollen.
Was ihren verärgerten Patienten angeht, so hätten sich Schmider und Kaldonek gewünscht, er wäre mit seiner Beschwerde zu ihnen gekommen. Bei Helios gehe man mit Kritik sehr offen um, denn: "Nur wenn wir wissen, was nicht stimmt, können wir auch angemessen reagieren."
Das Unternehmen
Die Helios-Klinikengruppe ist einer der größten privaten Anbieter von stationärer und ambulanter Patientenversorgung in Deutschland. In 112 Häusern versorgt das Unternehmen nach eigenen Angaben jährlich mehr als 4,7 Millionen Patienten, davon rund 1,3 Millionen stationär. Insgesamt verfügen die Kliniken über rund 35 000 Betten und beschäftigen circa 71 000 Mitarbeiter. 5,6 Milliarden Euro Umsatz erwirtschaftete Helios 2015.
Die Helios-Klinik Rottweil
Das Haus verfügt über 275 Betten und versorgt Patienten in den Fachabteilungen Kardiologie und Pneumologie, Gastroenterologie, Geriatrie und Onkologie, Allgemein- und Viszeralchirurgie, Unfallchirurgie und orthopädische Chirurgie, Anästhesie und Intensivmedizin, Gefäßchirurgie und Gefäßmedizin, Gynäkologie und Geburtshilfe, HNO-Heilkunde sowie Dermatologie und Augenheilkunde.
Momentan arbeiten fast 500 Mitarbeiter im Haus und seine Auslastung lag in den Monaten Januar bis März dieses Jahres bei rund 90 Prozent. 25,5 Millionen Euro will Helios insgesamt in bauliche Sanierungsmaßnahmen und die Medizintechnik des Rottweiler Krankenhauses investieren.
Weitere Informationen: http://www.helios-kliniken.de/klinik/rottweil