Maria Bratkowskaja ist in Rottweil, um ihren Horizont zu erweitern. Foto: Cools Foto: Schwarzwälder Bote

Soziales: Maria Bratkowskaja ist Bundesfreiwillige im Gehörlosenzentrum / In ihrer Heimat hilft sie Tschernobyl-Kindern

In Weißrussland betreut sie Kinder, die unter den Folgen der Atomkatastrophe von Tschernobyl leiden, in Rottweil pflegt sie Gehörlose – Maria Bratkowskaja hilft, wo sie nur kann.

Rottweil. "Ich vermisse meine Familie und meine Folkloregruppe", sagt Maria Bratkowskaja, die im Gehörlosenzentrum Haus St. Antonius, das zur Stiftung St. Franziskus gehört, nur Mascha genannt wird. Rund 1800 Kilometer liegen zwischen ihr und ihrer Heimat, der weißrussischen Hauptstadt Minsk.

Es ist nicht das erste Mal, dass sie so weit weg von zu Hause ist. Sie habe sich schon als Kind für Deutschland, seine Kultur und die Sprache interessiert, erzählt die 58-Jährige. Sie brachte sich Deutsch bei, pflegte Brieffreundschaften nach Potsdam und Berlin.

Das erste Mal einen Fuß auf deutschen Boden hat sie aber erst 1995 gesetzt. Zum einen war es vorher schwierig, die Grenze zu übertreten, zum anderen passierte etwas nahe ihrer Heimat, das ihre volle Aufmerksamkeit erforderte: das Atomunglück im ukrainischen Tschernobyl. Am 26. April 1986 explodierte Reaktor vier des Kernkraftwerks. Das kostete nicht nur viele Tausende Menschenleben, sondern sorgte mit der Strahlung dafür, dass große Gebiete in der Ukraine und Weißrussland noch heute als unbewohnbar gelten.

Mascha Bratkowskaja war zur Zeit des Unglücks 26 Jahre alt. Für sie war klar: Hier muss man etwas tun. Sie trat der Stiftung "Kinder von Tschernobyl" bei und knüpfte Kontakte zu deutschen Hilfsorganisationen. Seit 2002 besucht sie Deutschland jedes Jahr.

Mehr als 30 Jahre sind seit dem Unglück vergangen, doch das Elend ist immer noch groß. In Weißrussland betreut die 58-Jährige vor allem Kinder aus dem Süden Weißrusslands, die mit den Folgen der Verstrahlung zu kämpfen haben. Immer wieder organisiert sie dabei auch Reisen nach Deutschland, damit sich die Kleinen aus dem verseuchten Gebiet an der Ostsee erholen können.

Schützlinge kämpfen mit den Folgen der Strahlung

Über ihr Tschernobyl-Engagement kam auch der Kontakt zur Bürgerinitiative in Rottweil zustande. Dieser verfestigte sich mit den Jahren. Bratkowskaja war so auch einmal mit ihrer Minsker Folkloregruppe in Rottweil zu Gast.

In ihrer Heimat war die 58-Jährige zunächst im Zivil- und Industriebau tätig, später als Erzieherin für schwerbehinderte Kinder. 2015 hörte sie mit Arbeiten auf. Was blieb war der Kindheitstraum, den eigenen Horizont zu erweitern. "Ich mag die deutsche Tradition und wollte Baden-Württemberg gern näher kennenlernen", erklärt sie.

Über die Rottweiler Bürgerinitiative kam der Kontakt zur Stiftung St. Franziskus zustande. 2015 begann sie einen Bundesfreiwilligendienst im Gehörlosenzentrum. Nach sechs Monaten musste sie diesen aus familiären Gründen unterbrechen und in die Heimat zurückkehren. Seit September setzt sie ihren Dienst, der auf 18 Monate ausgelegt ist, fort.

Die Sonderpädagogin ist in der Gruppe Johanna eingesetzt, übernimmt darin vor allem die Pflege und hilft den Menschen mit Schwerbehinderung. "Wenn ich sehe, dass ich helfen kann, dann tue ich das", meint die sympathische 58-Jährige.

Der Umgang mit den Gehörlosen ist der Weißrussin nicht fremd. Auch in ihrer Heimat haben viele ihrer Schützlinge mit der Einschränkung zu kämpfen.

Und auch wenn sich die weißrussische Gebärdensprache von der deutschen unterscheidet, so verstehe man sich in Rottweil, meint sie. "Ich beherrsche die Begriffe, die im Alltag entscheidend sind. Bei dem Rest helfen mir die Bewohner. Die Atmosphäre ist sehr angenehm", sagt Bratkowskaja.

Beeindruckend, beängstigend und traurig

Den Grundkurs der deutschen Gebärdensprache hat die Weißrussin, die sehr gut Deutsch spricht, absolviert. Sie will ihr Wissen künftig weiter ausbauen. Nebenher besucht sie einen Filzkurs, um sich auch handwerklich fortzubilden. "Ich denke, das ist für meine Arbeit in Tschernobyl toll und hilft den Kindern", meint Bratkowskaja.

Bemerkenswert sei, dass Deutschland den Betroffenen auch nach mehr als 30 Jahren noch helfe und die Kinder bei sich aufnehme.

Mascha Bratkowskaja weiß, wie sehr das den Opfern hilft. Sie selbst ist nicht näher als in die 30-Kilometer-Zone von Tschernobyl gekommen. Allein dort ist das Ausmaß des Schadens groß. Die Kinder haben mit den Folgen der Strahlung zu kämpfen. "Die Lehrer in den Dörfern berichten, dass sich die Kinder im Unterricht nicht konzentrieren können", erzählt Bratkowskaja. Das sind die kleinen Sachen, in denen sich die Belastung äußert.

Das Schlimmste sei das schwache Immunsystem. Die Kinder hätten Magen- und Nierenprobleme. Dazu kommen andere Defizite. Von 60 gehörlosen Schützlingen stammen 50 aus dem verseuchten Gebiet. In Rostock erhalten einige von ihnen regelmäßig neue Hörgeräte, berichtet Bratkowskaja von der Unterstützung. Bei manchen Kindern in ihrer Gruppe habe sie schon die Eltern betreut, erinnert sich die Weißrussin. Ob sich die Gegend jemals erholen wird – fraglich.

Nie vergessen werde sie eine Reise mit der Bürgerinitiative Rottweil 2014 nach Fukushima. Dort habe sie die schwarzen Säcke mit dem verseuchten Müll gesehen – beeindruckend, beängstigend und traurig. "Unsere Erde ist so schön. Es ist schade, wenn wir das nicht schätzen. Der Mensch muss mehr nachdenken", findet sie.

Über ihren Dienst in Rottweil ist sie sehr froh. "Ich mag es, neue Erfahrungen zu sammeln", meint sie. Was sie in all den Jahren gelernt hat? "Hilfe ist keine Frage der Nationalität. Gute Menschen gibt es überall auf der Welt."