Die Tür der Ordensschwester im Haus St. Veronika ist für die Patienten immer offen. Hier können sie sich ihre Last von der Seele reden. Foto: Cools Foto: Schwarzwälder Bote

Seelsorge: Antilia Stocker legt mit Gebeten und Gesprächen einen "schützenden Mantel" um ihre Patienten

Rottweil. Was ist im Menschen und möchte leben, kann es aber nicht? Das ist es, was Antilia Stocker von der Krankenhausseelsorge des Vinzenz-von-Paul-Hospitals (VVP) interessiert. Wenn die Patienten zu ihr kommen, dann geht es nicht um die Krankheit, sondern um Ängste, Lasten, Sehnsüchte und den Sinn des Lebens.

Vor 14 Jahren wurde die ausgebildete Krankenhausseelsorgerin vom Bischof berufen. Im Auftrag der Kirche kümmert sie sich mit ihren Kollegen seitdem um psychisch Kranke. Dabei geht es ausdrücklich nicht um eine Therapie, sondern vor allem darum, zuzuhören und für die Patienten da zu sein. "Ich versuche, den Menschen zu zeigen, dass jeder von ihnen ein Abbild Gottes ist und Wertschätzung verdient", erklärt Stocker.

Tiefes Vertrauen

20 Jahre lang war sie in Gemeinden tätig und weiß, dass die Menschen sich und ihre Probleme dort gern bedeckt halten. Im VVP ist das vollkommen anders, auch wenn es Zeit braucht, bis die Patienten sich öffnen.

Manchmal beginnt der gemeinsame Weg mit einer beiläufigen Begegnung zwischen Tür und Angel. Daraus entstehen Gespräche und manchmal eine Begleitung über Wochen und Monate. "Ich möchte den schweren Weg, den die Menschen beschreiten, mit ihnen zusammen gehen", sagt Antilia Stocker.

Seit 1965 ist sie Ordensschwester bei den Vinzentinern. Trotz ihrer 76 Jahre denkt Stocker noch nicht an Ruhestand. "Solange ich die Freude an meinem Beruf spüre, ist das mein Weg", sagt sie.

Stocker ist jemand, in dessen Gegenwart man das Gefühl hat, sein Herz ausschütten, aber auch schweigen zu können. Vor allem aber kann sie den Menschen eins vermitteln: tiefes Gottvertrauen.

Das war es auch, das sie auf ihren Weg geführt hat. "Eines Tages habe ich gespürt, wie jemand tief in meinem Innern angeklopft hat." Erst habe sie das Gefühl ignoriert, doch es sei immer stärker geworden, bis sie ihr Leben Gott verschrieben hätte. Seitdem weiß sie: "Gott ist nah. Er möchte den Menschen berühren. Man muss es nur zulassen."

Antilia Stocker liest mit ihren Patienten gern Bibelstellen, in denen deutlich wird, wie Gott auf den Menschen zugeht. "Von ihm wird man nicht abgestempelt. Er hilft jedem weiter und bringt ihn auf den Weg der Hoffnung", meint sie.

Besonders gern mag die 76-Jährige Vers eins aus dem Buch Jesaja, Kapitel 43. Da sage Gott "Ich habe dich erlöst. Ich habe dich bei deinem Namen gerufen". Damit mache sie den Menschen klar: "Sie sind jemand und haben einen Wert". Insbesondere psychisch Kranke würden sich häufig ausgestoßen und wertlos fühlen. Gott versuche stets, eine Beziehung zum Menschen aufzubauen. Also liege es am Patienten, ob er seine Herzenstür öffne und ihn hineinlasse.

"Viele Patienten stecken in einer schweren Krise oder sind schwer krank. Für sie ist jeder Tag ein Kampf", weiß Antilia Stocker. Ihre Aufgabe sei es, den schützenden Mantel der Seelsorge um sie zu legen und ihnen zu zeigen, dass sie nicht allein sind. Deshalb betet die Ordensschwester gern mit den Patienten oder singt ein Lied. "Manche sind enttäuscht von der Kirche. Der Mensch hat das Beten verlernt. Dabei möchte er es im Grunde seines Herzens", ist sie sich sicher.

Wohltuend sei für viele auch der Psalm 23: "Der Herr ist mein Hirte, mir wird nichts mangeln. Er weidet mich auf einer grünen Aue und führet mich zum frischen Wasser. Er erquicket meine Seele. Er führet mich auf rechter Straße um seines Namens willen. Und ob ich schon wanderte im finstern Tal, fürchte ich kein Unglück; denn du bist bei mir, dein Stecken und Stab trösten mich."

Vor allem Mütter hätten oft ein schlechtes Gewissen dabei, in der Klinik zu sein, fernab von ihren Kindern. "Ich mache ihnen klar, dass sie sich fallen lassen und sich ausruhen können, dass sie darauf vertrauen können, wieder auf den richtigen Pfad zu finden", erklärt Stocker.

In einer finsteren Schlucht

"Die Patienten, besonders die depressiven, stehen in einer finsteren Schlucht. Es ist wichtig, diese Dunkelheit mit ihnen gemeinsam auszuhalten", beschreibt die Seelsorgerin ihre Arbeit. "Gott ist bei uns, auch in der Dunkelheit", ist sie sich sicher. Manch einer, der sich schon als nicht religiös bezeichnet hatte, habe nach dem Gebet oder Gespräch strahlende oder wässrige Augen bekommen. "Durch die Begegnung mit Gott gibt es für sie eine andere Sichtweise. Mancher will sein Leben anschließend ändern", hat Stocker die Erfahrung gemacht.

Auch Andersgläubige wie Muslime finden immer wieder den Weg zu ihr. "Ich weiß nie, auf wen ich hier treffe." Manchmal habe sie das Gefühl, etwas steuere sie automatisch zu den Patienten mit Gesprächsbedarf, meint Stocker. "Es ist als mache mein Herz das automatisch." Oft spüre sie schon vorher, was den Menschen fehle. "Ich bin immer wieder fasziniert davon, wie Gott mich führt. Ich spüre das Leid der Menschen. Er hat mich zu ihnen geschickt", sagt sie. Mit der Zeit werde man sensibel für dieses Gefühl.

Antilia Stocker begleitet Menschen auch oft auf dem letzten Weg. "Ich helfe ihnen, in Ruhe und gut zu gehen. Manchmal führe ich auch eine Versöhnung herbei", erklärt sie. Wie es nach dem Tod weitergehe, wisse niemand, doch der Abschied vom Jetzt sei wichtig. "Sie sind an einer Schwelle, an der ihnen Gott entgegenkommt. Wer sich traut und loslässt, der bekommt dafür innere Weite."