Die Familie Doering mit (von links): Ronny, Mia, Enie und Ivana Doering hält auch in Corona-Zeiten zusammen und freut sich über die Unterstützung der Offenen Hilfen der BruderhausDiakonie. Foto: Doering Foto: Schwarzwälder Bote

Corona: Die kleine Enie Doering leidet unter seltenem Gendefekt / Solifer bietet enorm wichtige Hilfe im schwierigen Alltag

Von Peter Wolf

Enie ist ein sechsjähriges Mädchen, das gerne lacht, aufgeschlossen ist und offen auf andere zugeht. Enie ist ein Kind mit besonderen Bedürfnissen. Aufgrund eines laut der Universität Tübingen einzigartigen Gendefekts ist Enie in ihrer körperlichen sowie geistigen Entwicklung beeinträchtigt.

Kreis Rottweil. Jetzt ist Enies Welt ziemlich durcheinander gewirbelt, weil sie wegen der coronabedingten Einschränkungen auf ihre gewohnten sozialen Kontakte bei den von den Offenen Hilfen der BruderhausDiakonie (Solifer) angebotenen Tagesausflügen, beim Schülertreff sowie in der ersten Klasse der Wittumschule in Schramberg verzichten muss.

"Sie versteht nicht, warum sie nicht mit ihrer Freundin in der Wittumschule zusammenkommen und spielen darf", so Ivana Doering, Enies Mutter. Das Mädchen freue sich daher umso mehr auf die Abwechslung, die ihr derzeit dank der Einzelassistenz der Offenen Hilfen geboten werde.

Bei Familie Doering dreht sich gerade noch stärker alles um Enie, sie steht mit ihren speziellen Bedürfnissen sowieso im Vordergrund jeglichen Denkens und Handelns. "Dabei ist das Zusammenspiel der ganzen Familie enorm wichtig. Nicht nur ich und mein Mann Ronny sind rund um die Uhr für Enie da, sondern auch ihre zwei Jahre ältere Schwester Mia. Diese wächst mit großem Pflichtbewusstsein auf und ist in vieler Hinsicht reifer als ihre Altersgenossen. Sie ist nämlich unser Fels in der Brandung", betont die Mutter. Es tue ihr weh, wenn sie merke, wie sehr Mia darunter leide, wenn andere Kinder ihre Schwester wegen der Behinderung auslachten. "Wir sind sehr stolz auf unsere Mia."

Offen und freimütig

Ivana Doering schildert in einer Telefonkonferenz, an der auch Mirjam Guhl, die Bereichsleiterin der Behindertenhilfe, Offene Hilfen, Fachdienst und ambulantes betreutes Wohnen, teilnimmt, sehr offen und freimütig, welche Odyssee sie und ihre Familie seit Enies Geburt hinter sich haben, welches Wechselbad der Gefühle sie durchlaufen mussten, mit welchen Problemen sie in den ersten Jahren zu kämpfen hatten. "Die Tagesausflüge der Offenen Hilfen und der Besuch der Wittumschule sind das Beste, das Enie und uns passieren konnte. Das tut ihr wirklich gut. Sie wird dort nicht ausgegrenzt, hat eine nette Freundin gefunden. Sie macht deutliche Fortschritte. Man sieht ihr es an, wie sie neue Sachverhalte aufnimmt und sich intensiv damit beschäftigt", freut sich Ivana Doering.

Das war lange Zeit nicht so. Mit Enies Geburt begann zunächst ein Leidensweg. "Uns wurde zuerst gesagt, dass sie ein Loch im Herzen hat, später hieß es, sie hätte sogar zwei Löcher. Enie war drei Tage alt, als ihr Atem aussetzte. Sie konnte glücklicherweise wiederbelebt werden", erzählt sie. Sechs Monate habe sie nur geschrien und sei extrem schreckhaft gewesen. Man habe an der Augenpartie und an den Ohren gesehen, "dass sie anders ist als der Rest unserer Familie". "Nach vier Jahren sind wir zum Sozialpädiatrischen Zentrum der Uniklinik Tübingen gekommen und haben dort eine tolle Ärztin gefunden." Schließlich sei dieser einzigartige Gendefekt diagnostiziert worden. "In Tübingen ist den Ärzten sonst kein anderer Fall dieser Art bekannt." Ivana Doering zeigt auf, wie wichtig für Enie ein klar strukturierter Tagesablauf ist. "Sie steht jeden Tag zur gleichen Zeit auf und trinkt etwas Milch. Auch beim Anziehen muss der Ablauf immer gleich sein. Wenn das nicht eingehalten wird, ist der Tag für Enie, aber auch für uns gelaufen", meint die Mutter mit leichtem Schmunzeln. "Enie braucht einfach den Rahmen, in dem sie sich zurecht findet."

Was Ivana Doering schmerzt, ist das Unverständnis, auf das Enie und ihre Familie mit ihren Problemen in der Gesellschaft gestoßen sei. "Enie wurde im Kindergarten systematisch ausgegrenzt. So wurde sie unter anderem von den Ausflügen ausgeschlossen", bekräftigt Ivana Doering. Aus ihrer Sicht waren die Erzieherinnen mit Enie und ihren Bedürfnissen überfordert. "Wir sind beide berufstätig, mussten aber die Erfahrung machen, dass wir von anderen Stellen kaum Unterstützung erfahren konnten." Das habe sich erst geändert, als sie das Angebot von Solifer kennenlernten.

Zwei Ausflüge pro Woche

Nach dem coronabedingten Aus der Tagesausflüge und des Schulbesuchs freut sich die Mutter umso mehr über die Möglichkeit der Einzelassistenz, zumal sich ihr Mann nach einem Burnout noch in der Reha befand, "und ich allein mit den Kindern dastand". "Plötzlich musste ich neben der Mutterrolle auch Lehrerin sein. Für Enie ist es aber schwierig zu akzeptieren, dass sie jetzt mit der Mutter Schulaufgaben machen muss. Sie will sie mit der Lehrerin machen, wie sie das gewohnt ist." Enies Klassenlehrerin habe sie aber beruhigt, dass es nicht schlimm sei, wenn Enie nicht lernen wolle.

Zweimal in der Woche unternimmt Enie mit Manuela Gruhler, der Einzelbetreuerin von Solifer, für jeweils zwei Stunden einen Ausflug. "Da kommt unsere Tochter total glücklich zurück. Und wir können in dieser Zeit ein wenig durchschnaufen, sonst nimmt doch Enie unsere ganze Aufmerksamkeit in Anspruch", bekräftigt die Mutter. Da könne sie sich auch mal stärker ihrer älteren Tochter widmen.

"Wenn wir Enie für eine Zeit aus den Augen lassen, dann kann es sein, dass sie ihr Kinderzimmer ausgeräumt hat", erklärt die Mutter.

Die ersten Einzelbetreuungsstunden, von Beginn an zweimal in der Woche, habe Enie mit Anja Neu von Solifer verbracht. "Da durfte sie mit zu Frau Neus Pferden gehen und mit dem Hund spielen." Wie wertvoll die Einzelassistenz für die Familie ist, unterstreicht Ivana Doering mit dem Hinweis, dass Manuela Gruhler sie sogar bei der Wohnungssuche im Raum Fluorn-Winzeln unterstützt habe. Wichtig sei, dass nun Perspektiven eröffnet würden, wie man schrittweise zur Normalität mit Gruppenangeboten und Schule zurückkehren könne. "Wir sind dabei zu prüfen, unter welchen Schutzmaßnahmen welches Gruppenangebot wieder aufgenommen werden kann und welche Vorbereitungen notwendig sind", erklärt Guhl. Für Ivana Doering ist schon die Öffnung der Spielplätze eine positive Lockerung.

Mit diesem hoffnungsvolleren Ausblick endet ein mehr als einstündiges Telefongespräch, in dem Ivana Doering abschließend betont, wie gut es ihr getan habe, einmal offen über Enie und die Familie aber auch die Menschen, die ihnen helfen, zu sprechen. "Unsere beiden Kinder geben uns soviel Liebe und Kraft zurück, dass wir das schaffen und eine glückliche Familie sind."