Staatssekretärin Katrin Schütz verlieh im Haus der Wirtschaft das EU-Kulturerbe-Siegel an Vertreter der zwölf Gedenkstätten in Baden-Württemberg. Foto: Friederichs Foto: Schwarzwälder Bote

Erinnerungskultur: Nachfahren halten das Kulturerbe hoch / Berührende Biografien der Häftlinge

"Durch das zusammengetragene Wissen der Erinnerung werden aus Orten der äußersten Unkultur Kulturorte", bezeichnete Dorothee Roos, Vorsitzende des ehemaligen KZ-Komplexes Natzweiler, die jahrzehntelange Aufarbeitung der NS-Verbrechen an den Gedenkstätten.

Kreis Rottweil (hf). "Diese Erinnerungsarbeit vieler wurde in einem Festakt zur Verleihung des europäischen Kulturerbe-Siegels durch das Wirtschaftsministerium des Landes Baden-Württemberg im Haus der Wirtschaft in Stuttgart gewürdigt. Zwölf Außenlager des KZs Natzweiler, des größten Konzentrationslagers in Frankreich im besetzten Elsass, erhielten im Kulturerbejahr dieses Siegel für ihre grenzüberschreitende Arbeit gegen das Vergessen.

Zudem wurde eine transnationale Ausstellung "Natzweiler: Spuren/Traces" eröffnet, die von deutschen und französischen Künstlern, Schülern, Gedenkstättenvertretern und Denkmalpflegern gemeinsam entwickelt wurde.

In dem von Sibylle Thelen, Landeszentrale für politische Bildung, geleiteten Podiumsgespräch kamen Vertreter einzelner Gedenkstätten zu Wort. Frédérique Neau-Dufour, Direktorin des Natzweiler KZ-Komplexes, spiegelte die Rolle der Franzosen direkt nach 1945 wider. Natzweiler, der Ort der französischen Widerstandskämpfer, wurde zunächst als ein Ort der Opfer des NS dargestellt. Erst viel später näherte sich die französische Erinnerungsarbeit der deutschen an, die sich früher ihrer begangenen Verbrechen angenommen hatte. Um so wichtiger sei die transnationale Arbeit, die ihr Hoffnung gebe, die Zusammenarbeit auch auf andere Gedenk-Orte in Europa wie etwa Polen auszuweiten.

Dass Gedenkstätten auch Orte der historisch-pädagogischen Auseinandersetzung und Begegnung sind, wie Dorothee Ross feststellte, zeigte die Teilnahme zweier junger Schüler auf dem Podium. Sina Fleig, Achtklässlerin am Gymnasium Gosheim-Wehingen, beschrieb ihre Begegnung mit der Gedenkstätte Eckerwald für das Fotoprojekt "Natzweiler" so: "Der Eckerwald hat eine dunkle, düstere Seite wie damals, als die KZ-Häftlinge unter mörderischen Bedingungen schuften mussten, aber ich sah auch helle, lichte Stellen, Sonnenstrahlen über den Ruinen, die versöhnlich stimmten, so wie die Begegnungen mit Zeitzeugen und Nachfahren Gesten der Versöhnung mit sich brachten." Auch der Teilnehmer am Kunstprojekt "Was bleibt?/ Que reste-t-il?", Elias Kopp, in Schwäbisch Hall aus einer elften Klasse des Erasmus-Widmann-Gymnasiums, erinnerte sich, dass ihn die Biografien der Häftlinge mehr berührten, als es Geschichtsabrisse im Unterricht gekonnt hätten.

Luc Demissy, Künstler und Koordinator des Kunstprojekts "Fraternite/Brüderlichkeit", erhofft sich von der Idee der Brüderlichkeit mit Blick auf die Gegenwart eine Stärkung demokratisch-kultureller Werte. Noch deutlicher sprach der Präsident des Landesamtes für Denkmalpflege, Claus Wolf, die historische Verantwortung an, die über die rein archäologische Annäherung an die einzelnen Fundorte hinauszugehen habe, angesichts wieder aufkommender verharmlosender Geschichtsklitterung.

Die Plakettenübergabe an Vertreter der zwölf bedachten Gedenkstätten durch Staatssekretärin Katrin Schütz wurde musikalisch begleitet von Bariton Sebastian Bollacher und Akkordeonist Ulrich Schlumberger mit Liedern ehemaliger Häftlinge, die den Menschen in den KZs Kraft und Mut zu Menschlichkeit gegeben hätten.