Thomas Bauer (links) und Frank Hertkorn richten eine Verstorbene her (linkes Bild). Das Modell "Lebensfluss" gehört zu den ausgefalleneren Särgen (rechts oben). Ihre letzte Reise legen die meisten Verstorbenen im Bestatterwagen zurück. Fotos: Schickle Foto: Schwarzwälder-Bote

Wenn alle weinen, muss einer sachlich bleiben / Für Bestatter ist der Tod mehr als ein Geschäft

Von Verena Schickle Rottweil. Der Tod trägt keine Armbanduhr. Bestatter arbeiten auch nach 17 Uhr noch, wenn andere Feierabend machen. Wenn nötig, sind sie rund um die Uhr im Einsatz. Der Fluss aus kleinen, fast transparenten Steinen schlängelt sich über ebenen Grund. Die Kanten abgerundet, die Oberflächen glatt, stehen manche fast senkrecht, andere liegen quer. Ihr Bett werden sie nicht mehr verlassen. Bis es vergeht.

 

Das Modell "Lebensfluss" gehört zu den ausgefalleneren Särgen. Zu haben in der klassischen sowie in Truhenform. Und der, der im Ausstellungsraum des Bestattungsunternehmens Hertkorn steht, ist bereits verkauft. Eine Frau hat ihn sich ausgesucht, bevor sie ins Hospiz zog. Sie wartet auf das Ende ihres Lebens, das Modell "Lebensfluss" auf seinen ersten und letzten Einsatz.

Finale Entscheidungen sind Frank Hertkorns Geschäft. Seit mehr als 80 Jahren betreibt seine Familie ein Bestattungsunternehmen, seit einem Vierteljahrhundert arbeitet er mit. Dass der Tod zum Leben gehört, das braucht dem 41-Jährigen keiner zu erzählen.

Früher, sagt er, hätten die Frauen Sterbehemden genäht, wenn das Ende nahte. Und wenn es da war, dann blieb der Verstorbene zu Hause, im Kreise seiner Familie, bis zu seiner Beerdigung. Heute warten die meisten Leichen in Friedhofshallen oder im Kühlraum beim Bestatter auf ihre Beerdigung. Leiche, dieses Wort mag Hertkorn nicht. Er sei seit Jahren bemüht, es durch den Begriff Verstorbener zu ersetzen, erklärt er. "Es handelt sich um Menschen, nicht um Sachen." Und Verstorbene dürfen per Gesetz aus hygienischen Gründen maximal 36 Stunden lang zu Hause bleiben. Eine Verlängerung muss das Ordnungsamt genehmigen.

Dass der Tod im Alltag oftmals keinen Platz hat, erleben Hertkorn und seine Mitarbeiter dann, wenn mancher Nachbar nur verstohlen hinter dem Vorhang hervorlugt, weil der Bestattungswagen vorm Haus steht. Oder, wenn sie 16-Jährigen begegnen, die noch nie einen Friedhof betreten haben.

Im Leben von Thomas Bauer ist der Tod seit gut einem Jahr allgegenwärtig. Seither arbeitet der Verwaltungsangestellte als Bestatter. Über eine Zeitungsannonce ist er zu seinem neuen Job gekommen. Quereinsteigen, sagt sein Chef – gelernter Industriekaufmann – "ist immer am besten". Man müsse im Leben etwas anderes gemacht haben, um zu wissen: Das kann ich.

Thomas Bauer kann es. Auch wenn er sagt: "Es gibt Tage, an denen es gut läuft, und Situationen, wo man auch irgendwann mal schluckt." Beispielsweise wenn er eine Leiche an einer Unfallstelle abholen muss, wenn er ein Kind zu versorgen hat oder einen Toten in seinem Alter. Trotzdem muss einer sachlich bleiben, wenn alle weinen.

Der Rest ist Routine: Das Ausheben von Gräbern, Beerdigungen, die Überführung von Verstorbenen. Oder der Transport von Särgen aus dem Lager zum Unternehmenssitz, wie an diesem Tag um 17 Uhr. Mit einem Tuch staubt der 41-Jährige das Modell "Lebensfluss" ab, nachdem er es aus dem Regal geholt hat.

Sterben ist eine individuelle Sache, mit der Auswahl des Sarges ist es nicht getan. Auch bei Kissen und Decken für den Verstorbenen haben die Angehörigen die Wahl, von den Urnen ganz zu schweigen. "Was bleibt, wenn alles Vergängliche geht, ist die Liebe", steht auf der einen. Eine andere ziert ein Strandmotiv samt Leuchtturm. Von Särgen blickt auf Wunsch ein Fußballspieler herab, oder der hölzerne Kasten wird bemalt als ob er ein Klavier wäre.

Eines haben alle Produkte gemeinsam, da können sie noch so individuell gestaltet sein: Sie sind nicht für die Ewigkeit gemacht. "100 Prozent biologisch abbaubar", steht auf der Unterseite der Urnen.

"Da ist nichts aus Plastik", sagt Frank Hertkorn auch, als er kurz vor 18 Uhr Herta (Name von der Redaktion geändert) vor sich liegen hat, gebettet in einen hellen Sarg. Gestorben vor anderthalb Tagen, gewaschen und gewickelt. Die Windel soll Körperflüssigkeiten auffangen, fast jeder Tote trägt eine.

Hertkorn und Bauer tragen Gummihandschuhe. Vorsichtig ziehen sie der Verstorbenen zwei schwarze Kniestrümpfe an, eine beige Hose über die bleichen Beine und ein mintgrüne Strickjacke über die dünnen Arme und den knochigen Kopf. Herta wehrt sich nicht. "Je jünger der Mensch, desto stärker und früher die Totenstarre", hat Hertkorn die Erfahrung gemacht. Herta war über 80 und von der Krankheit geschwächt.

An dem Abend möchte sich die Familie von der alten Dame verabschieden. "Es gibt kein Alter, in dem man zu jung ist", sagt Frank Hertkorn über die letzte Begegnung mit dem Verstorbenen. Die Tür seines Unternehmens stehe offen, wann immer es geht. Weil er möchte, dass sich die Lebenden bereits mit dem Sterben auseinandersetzen, bevor sie es müssen.

Und Thomas Bauer nimmt eine pinke Bürste und kämmt vorsichtig Hertas weiße Haare. Das Haarspray, das er in der Hand hat, benötigt er nicht. Die Frisur hält so. Der Tod ist mehr als ein Geschäft. Erst recht für die, die beruflich damit zu tun haben.