Ein Freispruch ist es nicht geworden, dafür ist die Haftstrafe ohne Bewährung vom Tisch. Eine heute 49 Jahre alte Pflegemutter ist im Berufungsverfahren vor dem Landgericht Rottweil zu eineinhalb Jahren Freiheitsstrafe auf Bewährung verurteilt worden. Foto: Schnekenburger

Eineinhalb Jahre Freiheitsstrafe auf Bewährung für Angeklagte. Erzieherin hat vier Pflegekinder misshandelt. Mit Kommentar.

Rottweil/Freudenstadt - Ein Freispruch ist es nicht geworden, dafür ist die Haftstrafe ohne Bewährung vom Tisch. Eine heute 49 Jahre alte Pflegemutter ist im Berufungsverfahren vor dem Landgericht Rottweil zu eineinhalb Jahren Freiheitsstrafe auf Bewährung verurteilt worden. Sie hatte vor Jahren vier Pflegekinder misshandelt.

Die Angeklagte, eine Erzieherin aus dem Kreis Freudenstadt, hat das letzte Wort: "Ich habe die Kinder alle geliebt, ich habe es nicht aus böser Absicht getan und ich möchte mich bei allen vier ganz herzlich entschuldigen", sagt sie unter Tränen. Was sie ihren vier einstigen Schützlingen im Frühjahr 2003 angetan hat, bewertet der Vorsitzende Richter Karlheinz Münzer in seinem Urteil gestern Morgen so: Die Angeklagte habe die Kinder gedemütigt, sie habe gefühllos und gleichgültig gehandelt. Er spricht von Schikane und einer sadistischen Ader, die die Angeklagte gezeigt habe. Es ergebe sich das Gesamtbild des Quälens.

Das sind deutliche Worte in dem Verfahren vor der Ersten Großen Jugendkammer. Sie beziehen sich auf die laut Gericht nachgewiesenen Taten vor elf Jahren: Damals mussten die vier Pflegekinder um sechs Uhr aufstehen, sie wurden in einen Windfang – einen kleinen, zugigen Raum – geschickt. Halb nackt, teils barfüßig mussten sie dort eine Stunde ausharren, dann erst durften sie sich anziehen und nach einer weiteren halben Stunde das Haus verlassen. Ohne gefrühstückt zu haben. Das kam drei Mal vor. Ein Pflegekind habe zudem mehrere Male die ganze Nacht seine Zimmertür zuhalten müssen. Juristisch betrachtet handelt es sich um eine Misshandlung von Schutzbefohlenen. Ein Jahr und sechs Monate auf Bewährung lautet das Urteil.

Die Frau, so sieht es Münzer, war damals von ihrer Lebenssituation überfordert. Dabei träumte sie von einer intakten und harmonischen Großfamilie. Vier Pflegekinder aus zerrütteten Familienverhältnissen hatte sie die Jahre zuvor aufgenommen, im Sommer 2002 kam ein fünftes, ein Baby, dazu. Um weitere Kinder zur Teilzeitpflege habe sie sich gekümmert. Dass sie sich in dieser Situation nicht hilfesuchend an das Jugendamt gewandt habe, wird ihr zur Last gelegt.

Im ersten Verfahren vor dem Amtsgericht Rottweil wies die Frau die Anschuldigungen noch zurück und wollte einen Freispruch erreichen. Sie wurde zu einer Gefängnisstrafe von zwei Jahren und neun Monaten verurteilt. Daher ging sie in Berufung. Jetzt nun aber gestand sie.

Das hat mit der Verständigung gleich zu Beginn der Verhandlung zu tun. Dadurch konnte das Verfahren beschleunigt werden. So wurde auch vermieden, dass die früheren Pflegekinder intensiv vernommen werden mussten. Im Gegenzug wurde eine mildere Strafe in Aussicht gestellt. Die Staatsanwaltschaft hatte zwei Jahre gefordert, die Verteidigung ein Jahr und drei Monate.

Kommentar: Leichtfertig

Armin Schulz

Sadistische Ader, Gesamtbild des Quälens: Was sich die Angeklagte in dem Berufungsverfahren vor dem Landgericht Rottweil anhören musste, ist an Deutlichkeit nicht zu überbieten. Das geht unter die Haut. Aber Richter Münzer hat Recht. Auch wenn die Angeklagte die Pflegekinder nicht geschlagen hat, so ist das, was sie den damals Acht- bis Zehnjährigen angetan hat, völlig indiskutabel und gehört bestraft. Man wundert sich, dass die Frau im ersten Verfahren vor dem Amtsgericht die Vorwürfe bestritt. Da war sie schlecht beraten. Das gilt auch für ihre Zeit als Pflegemutter. Wie kann ein Jugendamt auf die Idee kommen, einer einzelnen Frau, die zwar ausgebildete Erzieherin ist, aber sonst keine Erfahrung hat, fünf Vollzeitpflegekinder und zwölf Teilzeitpflegekinder anzuvertrauen? Das kann doch nicht gut gehen. Da hat das Amt leichtfertig gehandelt.