Der Eckhof: Was läuft da gerade? Foto: Schulz

Gegen das geplante Aus des Ausflugslokals gibt es Widerstände. Projektverantwortliche schweigen lange.

 

Rottweil - Der Eckhof: Es gibt schnell über 3000 Stimmen, die sich für den Erhalt des Ausflugslokals aussprechen. Die andere Seite schweigt. Auch Oberbürgermeister Ralf Broß zögert und will sich lange nicht äußern. Dabei gäbe es einiges zu erklären. Das passiert mit Verspätung. Da steht es bereits 3355 zu 0.

Man hat es vor Augen. Es gehört zu den unvergessenen Bildern. Es zeigt, wie das Wasser überläuft. Wie bei einer zu voll gelaufenen Badewanne. Wie sich die schlammige, schwarze Soße in den Straßen ergießt und mitreißt, was sich gerade im Wege befindet: Fahrräder, Autos, Häuser. Schiffe und Tanker werden in die Stadt gespült. Eine Welle mit ungeheurer Kraft, eine Welle, der sich niemand entgegenstellen mag.

Mit welcher Kraft der Tsunami vor zwei Jahren an Japans Küste wütete, ist kaum vorstellbar. Ebenfalls kaum vorstellbar ist indes, was eine Meldung vom Wochenende ausgelöst hat. Es geht dabei um den Eckhof, ein Ausflugslokal bei Bühlingen. Wir berichteten in unserer Samstagsausgabe.

Es ist bekannt geworden, dass die Stadt über ihre Liegenschaften nachdenkt. Für den Eckhof und den Vaihinger Hof gibt es Überlegungen, über die niemand öffentlich sprechen mag. Was aber nach außen dringt, ist dies: Der langjährige Pächter, Armin Daler, müsste sich etwas Neues suchen, ebenso der Schäfer, der sogar seit 50 Jahren den Schafstall gepachtet hat. Ein Tierheim befindet sich ebenfalls dort. Ein Mitarbeiter der Stadt soll die Beendigung des Pachtverhältnisses bereits angedroht haben. Daler geht davon aus, seine Zelte im Oktober abbrechen zu müssen.

Keine Frage: eine schwerwiegende Kommunikationspanne. Denn beschlossen ist noch nichts, der Gemeinderat im Gesamten noch nicht einmal informiert, wie der Sprecher der Stadt, Tobias Hermann, uns gegenüber bestätigt. Was aus dem Eckhof mitsamt Schäfer und Tierheim werden soll, weiß kaum jemand. Erst gestern Nachmittag findet hierzu eine Fraktionssprechersitzung statt.

Zu dieser Panne gesellen sich weitere Fehler. Doch zunächst rollt die Welle. Sie wird im Internet, im sozialen Netzwerk Facebook, entfacht. Die Seite "Rettet den Eckhof", am Sonntag ins Leben gerufen, erhält erst 1000, dann bald 2000 Stimmen. Am Dienstag sind es schon über 3000 Unterstützer.

»So ein Ausflugsziel kann man nicht einfach so schließen«

Auf den Nenner gebracht geht es ihnen darum: »Schnitzel!« So lautet ein Kommentar. Ein anderer: »So ein Ausflugsziel kann man nicht einfach so schließen.« Fotos von tellergroßen Fleischscheiben werden hochgeladen, Schnappschüsse von geselligen Schunkelrunden auf die Seite gestellt. Manch ein Rottweiler, mittlerweile in den besten Jahren, erinnert sich, wie er als Kind dort immer Eis gegessen habe.

Für sie ist es, als würden sie aus einem Paradies vertrieben werden, aus einem Garten Eden, in dem es einem an nichts fehle, in dem Fleisch, Süßes, Unterhaltung und eine immergrüne Landschaft vorherrschten. Gegen die Gefahr, dies alles zu verlieren, schwillt die Protest- und Sympathie-Welle an. Sie tut es mit ungeheurer Dynamik. Dabei ist nicht einmal im Ansatz bekannt, was aus dem Eckhof werden soll, welche neue Ideen es gibt. Es gibt lediglich eine dürre Information: Es geht um eine Art Schule.

Auf der anderen Seite herrscht: Schweigen. Beinahe vier Tage lang. Die Kommunikationspanne entwickelt sich zu einem Desaster.

Die Retter-Seite zählt indes über 3200 Unterstützer. Und es werden mehr, immer mehr.

Vier Tage zurück: Am Freitag haben wir nicht nur mit der Stadtverwaltung gesprochen, sondern auch Kontakt zu dem möglichen Interessenten aufgenommen. Sein Name: Martin Busch, Psychologe aus Lackendorf. Er lässt über einen Sprecher ausrichten, dass es »informelle Gespräche« gebe. Mehr will er dazu nicht sagen.

Busch hat sich auf dem Feld der Pädagogik einen Namen gemacht. Seit dem Frühjahr 2008 läuft an der staatlichen Grundschule Pattonville in Remseck (Kreis Ludwigsburg) ein Projekt, das er zusammen mit der dortigen Leiterin, Ulrike Schiller, verantwortet.

Im Kern geht es nach eigener Darstellung darum: »Die Integration von Lernen durch Bewegung und mentaler (Neu-)Orientierung hat sich als hocheffizient für die Unterstützung und Förderung der Selbstentwicklung aller Schüler erwiesen«, heißt es in einem Positions-Papier. Selbst diejenigen, die im Rahmen von Schule oft nur schwer erreichbar seien, wie etwa bei Vorliegen der Diagnose ADHS, profitierten in so hohem Maße, dass für sie Schule eine ganz neue Qualität erhalten habe, steht dort weiter.

Im Rahmen dieses Konzepts wird an den Aufbau eines Schul-Bauernhofs in Pattonville gedacht, eine Idee in Kooperation zwischen der Grundschule und der pädagogisch-therapeutischen Tierfarm in Lackendorf.

Das Konzept mit den Stichworten »Natur und Bewegung« wurde bereits in einer geheimen Runde im Rathaus Schulleitern und Lehrern vorgestellt und soll auf fruchtbaren Boden gefallen sein.

Inzwischen wurde die Stiftung »Selbstentwicklung« gegründet mit den beiden Stiftern Martin Busch und Ulrike Schiller. Stiftungszweck ist »die Förderung von Gesundheit und Bildung vorrangig von Kindern und Jugendlichen«.

Der Eckhof würde in dieses Konzept gut passen. Es braucht weitere vier Tage und weitere Gespräche mit dem OB und seinem Pressesprecher, bis es Informationen gibt. Für den Eckhof und den Vaihinger Hof ist demnach Ähnliches geplant. OB Broß spricht von einer »großen Chance für den Bildungsstandort Rottweil« mit den beiden Schwerpunkten Bildungszentrum und Fortbildung. Sorge bereitet ihm indes die öffentliche Wahrnehmung des Themas und seine Reduktion auf das drohende Aus des Ausflugslokals.
OB Ralf Broß: Sorge wegen öffentlicher Wahrnehmung

Die Sorgen sind berechtigt: Als der Oberbürgermeister seine Stimme erhebt, steht der Ticker auf der Seite »Rettet den Eckhof« bei 3355. Die Forderungen sind gleich geblieben: »Das Schnitzel bleibt im Dorf!«

Die Welle scheint unaufhaltsam zu sein. Und keiner kann genau sagen, was sie am Ende alles bewirken mag. Gut möglich, dass das Projekt hier in Rottweil bereits vor dem Aus steht, bevor es überhaupt richtig publik wurde. Mittlerweile steht es: 3468:1.

Seite 2: Erklärung der Stadt

Am Dienstagabend hat die Stadt Rottweil zum Thema Eckhof folgende Stellungnahme abgegeben:

"Der Stadt Rottweil liegt das Angebot der Stiftung ›Selbstentwicklung‹ vor, die im ›Vaihinger Hof‹ und im ›Eckhof‹ ein Bildungskonzept verwirklichen möchte. Der Gemeinderat berät in einer öffentlichen Ausschuss-Sitzung am Mittwoch, 3. Juli, erstmals öffentlich über das Angebot."

Oberbürgermeister Ralf Broß äußert, das Projekt biete eine große Chance, um den Bildungsstandort Rottweil weiterzuentwickeln und zu stärken. Über das Konzept habe die Verwaltung in den vergangenen Monaten Gespräche mit der Stiftung geführt. Es sei aber noch keine Vorentscheidung gefallen. "Es ist Sache des Gemeinderats als demokratisch legitimierte Vertretung der Bürgerschaft, über das Angebot zu beraten", so der OB. Zunächst werde sich der Gemeinderat ein Gesamtbild machen und Chancen und Risiken des Projekts abwägen. Erst am Ende dieses Prozesses werde es eine Entscheidung geben.

Der Stadtverwaltung gehe es der Mitteilung zufolge über die Stärkung des Bildungsstandortes Rottweil hinaus auch darum, langfristig eine Perspektive für ihre Liegenschaften "Vaihinger Hof" (Hofgut im gleichnamigen Weiler bei Rottweil-Neukirch) und "Eckhof" (im Eschachtal) zu entwickeln und damit die Gebäude für die Stadt zu erhalten (wir berichteten). Bislang sei niemandem gekündigt worden, ein Verkauf der Höfe sei nicht geplant. Denkbar sei aber ein sogenanntes Erbpacht-Modell. Demnach könne die Stadt ein Gebäude für einen vertraglich bestimmten Zeitraum übertragen, die Stadt bleibe aber Grundstückseigentümerin. Bei Wegfall des Pachtzwecks oder bei Auslaufen des Pachtvertrags habe die Stadt wieder vollen Zugriff auf die Gebäude. Damit sei sichergestellt, dass die Nutzung der Gebäude nur so erfolgen könne, wie von den Rottweiler Bürgervertretern im Gemeinderat beschlossen. "Wir geben den Eckhof und den Vaihinger Hof nicht aus der Hand und können die künftige Entwicklung mitgestalten", wird Broß zitiert.

Angesichts des sich abzeichnenden großen öffentlichen Interesses werde die Stiftung "Selbstentwicklung" das Projekt am heutigen Mittwoch öffentlich vorstellen. Informationen soll es ab spätestens 14 Uhr unter www.projekt-zukunft-rottweil.de geben.

Zudem will die Stadtverwaltung zum nächstmöglichen Termin zu einer öffentlichen Sitzung des zuständigen Gemeinderatsausschusses einladen (Mittwoch, 3. Juli). Dabei würden die Vertreter der Stiftung ihr Konzept ausführlich erklären.

Die Sitzung diene zunächst einmal der Information der Räte und der interessierten Bürgerschaft "aus erster Hand". Mit einer Entscheidung sei daher frühestens in einer der nächsten Sitzungen des Gemeinderats zu rechnen, heißt es.