Christian Achtert und Christa Demeter-Zernich Foto: Parage Foto: Schwarzwälder-Bote

Migration: Abdi Hakim ist aus Somalia geflohen / Jetzt paukt er Deutsch und besucht die Schule

Von Verena Parage

Rottweil. Abdi Hakim sitzt auf einem Sessel und an einem runden Tisch. Seinem Tisch. Das macht den großen Unterschied. Der Somalier lebt seit Kurzem mit zwei weiteren, jungen Asylbewerbern in einer eigenen Wohnung in Rottweil, nachdem er rund zwei Jahre lang im Wohnheim in der unteren Lehrstraße untergekommen war. Plötzlich hat er ein eigenes Zimmern, und vor allem einen Tisch, an dem er in Ruhe lernen kann.

Seit zwei Jahren lebt Abdi Hakim in Deutschland. Heute ist er 20 Jahre alt, seine Heimat Somalia verließ er bereits als 17-Jähriger. Seine erste Station war Äthiopien. Über den Sudan und Libyen kam er schließlich von Tripolis aus mit einem Containerschiff nach Italien. 80 Leute hätten sich in einem Container zwischen Möbelstücken versteckt. Zuvor war er zu Fuß oder mit dem Bus unterwegs gewesen.

Sein erstes Leben war eine Katastrophe

Nach jedem Abschnitt wartete ein weiterer Schlepper. Auf seinem Weg durch die Sahara habe er in sieben Tagen kaum etwas getrunken, erzählt der junge Mann. Benzin sei in der Wüste leichter zu bekommen als Wasser. Über Österreich kam er schließlich nach Karlsruhe, zwei Monate später nach Rottweil. Und dennoch sagt er: "Es geht mir gut."

Das erste Leben in Somalia sei eine Katastrophe gewesen. Auf dem Heimweg von der Schule beispielsweise sei es passiert, dass er von Gangstern bedroht worden sei. Sie wollten Geld. "Wenn du keines bezahlst, bist du tot", sagt er. Doch seine Familie sei arm und habe nicht viel Geld. Familien, die Geld habe, fliehen gemeinsam. Seine Mutter und Schwestern dagegen sind noch in Somalia. Den Kontakt zu ihnen hält Abdi Hakim übers Handy, gesehen hat er sie seit seiner Flucht nicht mehr. "Schwierig" sei das.

Trotz allem schaut der 20-Jährige nach vorn. Christa Demeter-Zernich vom Freundeskreis Asyl kennt ihn seit Langem. Und viel wichtiger als Abdis Vergangenheit ist ihr, an seinem Beispiel zu zeigen, wie entscheidend eine eigene Wohnung und damit verbunden die Möglichkeit, in Ruhe zu lernen, für die Zukunft der Flüchtlinge sind.

Demeter-Zernich gibt Deutschkurse für die Asylbewerber. Dass allerdings ist nicht nur für die Teilnehmer, sondern auch für sie oft unbefriedigend: Weil vor ihr Leute sitzen, die entweder Analphabeten sind oder bereits mehrere Sprachen beherrschen. Wie soll sie Schülern mit dermaßen unterschiedlichen Niveaus gerecht werden? Zu Abdi Hakim sagt sie dennoch: "Ich finde es enorm, was ihr gelernt habt."

Der junge Somalier besucht seit September 2014 die Schule, und zwar eine Klasse zur "Vorbereitung auf Arbeit und Beruf". Im zweiten Jahr gehört auch jede Woche ein Praktikum dazu, Hakim macht es bei einen Reifenservice in Deißlingen. Und sein Deutsch wird immer besser.

Entscheidend für den Lernerfolg ist für Demeter-Zernich eine Wohnung mit Platz, wo man konzentriert lernen kann. In einem Wohnheimzimmer mit bis zu sechs Personen ist das praktisch unmöglich. Und ein Lernpate wie Christian Achtert ist wichtig.

Nachhilfe findet oft beim Paten zu Hause statt

Der pensionierte Gymnasiallehrer trifft Abdi Hakim zwei- bis dreimal die Woche, um mit ihm zu pauken. Seine Fächer waren Deutsch, Italienisch und Englisch. Mit dem 20-Jährigen allerdings muss er auch Mathematik üben. Darüber muss Achtert selbst lachen. Ausgerechnet. Allerdings sind es weniger die Rechenschritte, die seinem Schützling zu schaffen machen, sondern mehr das Verständnis der Textaufgaben. Hakims Vorteil: Er ist in seine Heimat bereits sieben Jahre lang zur Schule gegangen.

"Er ist immer gut drauf", sagt Christian Achtert über seinen Schützling. Er sei nett, und er bringe sich ein. Etwa im Vinzenz-von-Paul-Hospital. Dort besuche er regelmäßig einen Patienten aus Somalia. Der Mann leide an einer Psychose und habe zunächst überhaupt nicht reagiert. Bis sich die Klinik an Christa Demeter-Zernich wandte mit der Frage, ob sie einen Somalier kenne. Die Neufraerin hat sofort an den 20-Jährigen gedacht – Gespräche in der Muttersprache haben dem Mann geholfen.

Apropos helfen: Demeter-Zernich sucht weitere Paten wie Christian Achtert. Dabei hat sie festgestellt, dass die Angst unter potenziellen Ehrenamtlichen groß ist. Auch, weil es im Wohnheim keine Räume gibt, um gemeinsam zu lernen. Der "Nachhilfeunterricht" müsste also vielfach bei den Paten zu Hause stattfinden. "90 Prozent springen dann wieder ab", sagt sie über die zunächst Interessierten. Angst habe er keine gehabt, sagt Achtert. Er meint über die Flüchtlinge: "Es ist genau wie bei uns: Da gibt es tolle Typen, aber auch Dumpfbacken." Und zu letzteren gehört Abdi Hakim seiner Ansicht nach absolut nicht. "Ich würde ihm jederzeit eine Empfehlung schreiben."

Weitere Informationen: www.freundeskreis-asyl-rottweil.de