Komasaufen kann große körperliche Schäden verursachen. Räusche werden immer billiger.

Kreis Rottweil - Der Abend war lustig, das Erwachen nicht mehr: Am Morgen nach der Party findet sich Marc (17) im Krankenhausbett wider. Seine Freunde hatten den Notarzt verständigt, als er nach etlichen Schnäpsen plötzlich keinen Mucks mehr von sich gab.

Marc gibt es nicht wirklich – und doch ist er überall. Seine Geschichte steht stellvertretend für eine ganze Generation, die sich gerne und regelmäßig betrinkt. Alkohol ist in, wer nicht trinkt, ist ein Spießer. Komasaufen und Generation Wodka sind brandaktuelle Schlagworte.

Endstation Krankenhaus, wie im Fall Marc – die Zahl dieser Jugendlichen ist in der Region Schwarzwald-Baar-Heuberg rückläufig, wie die Krankenkasse mitteilte. Wurden 2010 noch 108 Patienten unter 20 Jahren mit einer Alkoholvergiftung ins Krankenhaus eingeliefert, ist die Zahl in einem Jahr um zwölf Prozent auf 95 gesunken. Diese Patienten waren im Durchschnitt 16,8 Jahre alt.

AOK-Sprecherin Elke Rauls erklärt sich den Rückgang vor allem durch breit angelegte Aufklärungskampagnen sowie das Alkoholverbot nach 22 Uhr an Tankstellen, Kiosken und Supermärkten. "Wir gehen davon aus, dass die gesellschaftliche Sensibilität für das Thema Alkohol gestiegen ist", so Rauls.

"Räusche werden immer billiger"

Gestiegen – doch noch lange nicht von allen verinnerlicht. Jugendliche verbinden Alkoholkonsum mit Spaß, es schaffe ein Gemeinschaftsgefühl, wer nicht trinke und somit aus der Masse raussteche, müsse sich oftmals hämische Sprüche anhören. Polizeipsychologe Adolf Gallwitz kennt sich mit dem Trinkverhalten junger Erwachsener aus: "Räusche werden immer billiger, und es gibt keinen Anreiz für die Jugendlichen, um nicht zu trinken." Sie wollen Stress abbauen, Probleme vergessen, rebellieren. Unsichere Kinder nutzen die Enthemmung zudem, um erste erotische Kontakte zu knüpfen, lockerer zu werden.

Die Zahl der trinkenden Mädchen steigt laut vorliegender Statistik. Bei Nachfragen auf Suchtpräventionsveranstaltungen gaben junge Frauen an, dass sie nach dem Konsum von Suchtmitteln genau das Mädchen seien, das sie immer sein wollen – selbstbewusst, cool und immer einen flotten Spruch parat. "Traditionelle Rollenbilder verschwimmen immer mehr, und Mädchen versuchen verstärkt, die ›Kultur der bösen Buben‹ zu kopieren", bestätigt Polizeipsychologe Gallwitz.

Doch wer Alkohol trinkt, wandert auf einem schmalen Grad. Ist der Spaßfaktor im einen Moment noch riesig, folgt im nächsten Augenblick oft der Absturz. Und für manch einen volltrunkenen Partygänger ist die Endstation des lustigen Abends das Krankenhaus. Hier kommen Heiko Rath, Chefarzt der Rottweiler Helios-Klinik, und seine Kollegen ins Spiel. "Wenn die Jugendlichen bei uns eingeliefert werden, haben sie meist eine Bewusstseinstrübung, die bis zur Bewusstlosigkeit gehen kann", berichtet der Mediziner. Schon vor diesem Stadium gibt es Ausfallerscheinungen wie Enthemmung, Aggressivität und Fehleinschätzung der Realität.

"Je nach Bewusstseinszustand besteht vor allem eine Gefahr für die Atmung, im Extremfall kann es sogar zu Atem- und Kreislaufstillstand kommen", erläutert Rath. Dementsprechend müsse man die Patienten überwachen, bis das Gift aus dem Körper ist.

Als Marc am nächsten Morgen aufwacht, ist sein Magen ausgepumpt und er hat Infusionen bekommen. Irgendwie ist ihm das Ganze schon peinlich, aber er macht coole Miene zum bösen Spiel und zieht den Vollrausch lieber ins Lächerliche. Seine Kumpels zumindest, so überlegt er sich, haben sowas schließlich noch nicht erlebt.

"Viele Jugendliche verharmlosen ihren Krankenhausaufenthalt, prahlen damit oder werden aggressiv", bestätigt Gallwitz. Er fordert eine rigorose Präventionskultur, kein halbherziges Warnen vor den Schäden des Alkohols, wie es momentan betrieben werde. "Wir brauchen Kampagnen, die vermitteln, dass man auch dazu gehört, wenn man nichts trinkt", betont der Polizeipsychologe. Vereine, Gaststätten und Alkoholhersteller müsse man vernetzen, um bestmögliche Prävention zu betreiben. Dass diese Forderung aber utopisch ist, weiß er selbst, denn der wirtschaftliche Profit aus dem steigenden Alkoholkonsum sei einfach zu groß.