Fotos: Schnekenburger Foto: Schwarzwälder-Bote

Premiere von "Der Hofmeister" am Zimmertheater

Wieviel Ordnung sein muss? Ganz einfach: So viel die Aristokratie will. Ihre Vorstellungen definieren das Leben der anderen – und das der eigenen Kinder. Sie sind in dieser Ordnung zu erziehen. Wie das funktioniert, zeigt das Zimmertheater.

Rottweil. Es funktioniert natürlich nicht, und es funktioniert doch vorzüglich. Jakob Michael Reinhold Lenz blättert in seinem Stück "Der Hofmeister" diese Antinomie auf. Er selbst bezeichnet es 1774 als "eine Komödie", und tatsächlich lässt sich das mit dem Abstand, den wir heute haben, so beschreiben. Denn die durchaus tragischen Aspekte sind so grotesk aufgelöst, dass sie sich anders kaum ertragen ließen. Regisseur Peter Staatsmann gibt dem Publikum gestern Abend nicht nur den Hinweis auf Brechts Adaption, die Ausgangspunkt für die Rottweiler Arbeit ist, mit auf den Weg, sondern verweist auch auf die Puppe Leopold, das Kind, jedes Kind, das Objekt der Erziehung ist. Nicht nur die Puppe, oder die Filmeinspieler, die beispielsweise Schiller am Testturm die neue Welt zu verstehen versuchen zeigen, schlagen einen Bogen in die Gegenwart.

Die Inszenierung trägt der Antinomie Rechnung: Beide Seiten lässt Staatsmann ausspielen. Und er schafft es auch, zwei andere Ebenen, die Lenz thematisiert, offen auszubreiten. Da ist der Aspekt der Erziehung, das Hauptthema des Stücks mit dem Untertitel "Vorteile der Privaterziehung". Die Erziehenden, die den Nachwuchs der institutionalisierten Eliten fit fürs Leben, die höhere Schule, Beruf, die Ehe machen und ihnen das bessere Blatt für Schwätzchen unter ihresgleichen geben sollen, sind Domestiken. Nicht nur finanziell kurz gehalten, übernehmen sie alle möglichen Aufgaben – notgedrungen. Der Gegenentwurf zum "Hofmeister" ist der "Schulmeister", dessen Erziehung, so ist zu befürchten, kaum bessere Ergebnisse zeitigt. Der Rangordnung begegnet er mit einem Ordnungsprinzip, das zum Funktionieren bildet. Die zweite Ebene in Lenz’ Stück ist neben der Relativierung der realen Erziehung die Anklage des Systems, über das sich auch die Geistesmenschen nicht erheben. Der gestrauchelte Hauslehrer, der Kantianer, der die Lehre seines Idols Examensversuch um Examensversuch gegen seinen Professor verteidigt, der schwärmerische Jungaristokrat mit angesagter Italienbildung: Alle fügen sich in diese Ordnung.

Im Zimmertheater geschieht das in einem spießigen Raum, der Kammer und Salon ist, und in dem Protz und kleinbürgerliches Ambiente eine beredte Kombination bilden. Die zweite Fläche ist die Spielfläche, auf die Handlungen ausgegliedert, auf der Abläufe abstrahiert werden. Eingefügte Textelemente erinnern an den mündigen Menschen und den Wert der Erziehung – und sie führen immer wieder vor Augen, wie aktuell das Stück eigentlich ist.

Das aufzuarbeiten braucht Zeit, die gerade in den Zwischenszenen gut investiert ist. Die Auslagerung kann spielerisch auf zentrale Aspekte fokussieren, die sonst in der Handlung untergehen könnten. Für die Schauspieler bleibt "Der Hofmeister" in Rottweil mit den Mehrfachbesetzungen trotz der Distanz schaffenden Zwischenspiele eine Herausforderung. Niklas Leifert fällt, neben anderem, als "Läuffer" – übrigens: Lenz’ Namenswahl ist schlicht köstlich – die Wandlung vom aufstrebenden jungen Akademiker bis zum zurechtgestutzten Funktionsträger mit Sonderverwendung zu. Und man nimmt ihm das Schwärmerische, immer wieder Verletzte, das in biedermeierlicher Idylle endet, durchaus ab. Ihm gegenüber steht Frank Deesz etwa als hochfahrender Geheimer Rat, besonders köstlich, da knochentrocken, aber als Schulmeister Wenzeslaus. Petra Weimer lebt die schrille Herrin des hohen Hauses genau so wie die Hauswirtin der polyglotten Studenten-WG in der Stadt: mit großer Präsenz. Heidrun Fiedler, erstmals in Rottweil zu erleben, wahrt eine faszinierende Balance zwischen einfach Liebender und poetischer Figur. Das Quintett wird von Isabelle Groß de García komplettiert, gewohnt sicher in den verschiedensten Rollen, ob als Liebhaber, Student, schmachtendes Mädchen – oder eben sprechen- und spielender Kommentator.