Das Haus der Familie Huss in Rottweil ist für den 38-jährigen Karl-Friedrich Haberer längst zu einem Zuhause geworden. Foto: Schickle

Betreutes Wohnen in Familien bietet psychisch kranken Menschen Stück Normalität und Geborgenheit.

Kreis Rottweil - Heute, Mittwoch, ist Welttag der seelischen Gesundheit. Im Mittelpunkt steht das Thema Depression. Betroffenen im Landkreis Rottweil ermöglicht Betreutes Wohnen in Familien ein Leben außerhalb von Wohnheimen."Wir müssen alles miteinander teilen", erzählt Irma Huss über ihre Familie. Neben ihrem Mann Erwin und den Kindern, die längst erwachsen und aus dem Haus sind, gehört dazu Karl-Friedrich Haberer. Er ist Gast im Hause Huss, Mitbewohner, aber eigentlich eher wie ein Sohn. Der 38-Jährige lebt seit mehr als drei Jahren bei dem Rottweiler Ehepaar.

Zu seiner neuen Heimat ist der psychisch kranke Mann über das Betreute Wohnen in Familien (BWF) gekommen. "Pflegekinder kennt jeder", sagt BWF-Sozialpädagogin Erika Blum. Dass es aber auch für psychisch kranke Menschen, geistig- oder körperlich behinderte die Möglichkeit gibt, in einer Gastfamilie zu leben, wüssten viele nicht.

"Manche denken, da hat man jemand Fremden im Haus", sagt Irma Huss. Fremd allerdings ist "Frieder" ihr und ihrem Mann schon lange nicht mehr. Ihren Alltag beschreibt sie wie normales Familienleben. Tagsüber geht der 38-Jährige arbeiten im Garten und den Werkstätten des Vinzenz-von-Paul-Hospitals. Abends und am Wochenende ist er zu Hause. Die 65-Jährige kocht, und Karl-Friedrich Haberer deckt den Tisch. Auch an anderer Stelle hilft er mit: "Er ist unser Gärtner", erzählt Erwin Huss.

Alternative zum Leben in einem Wohnheim

Wenn Haberer möchte, kann er sich in sein Zimmer zurückziehen. Gleichzeitig weiß er: Wenn er Lust zu reden hat, sind da zwei, die ein offenes Ohr für ihn haben. Um das gehe es beim Betreuten Wohnen auch, erklärt BWF-Sozialpädagogin Anja Banholzer: "Dass man nicht allein ist." Es bietet eine Alternative zum Leben in einem Wohnheim.

Krisen gebe es dabei schon immer mal wieder, berichtet Erika Blum. Solche allerdings hat das Ehepaar Huss vor allem mit seinem ersten Gast erlebt. Der verschwand manchmal einfach eine Zeit lang. Nach fünf Jahren sei der Mann dann ausgezogen. Manchmal passe es nicht mehr, erklärt Blum. Sie und ihre Kollegen betreuen Gastfamilien und Mitbewohner – nicht nur in Krisenzeiten. Manchmal leben diese jahrelang zusammen. Einige der erwachsenen "Pflegekinder" schaffen durch Betreutes Wohnen gar irgendwann den Schritt in die eigene Wohnung.

Auch Karl-Friedrich Haberer geht es nicht immer gleich gut. In der Anfangszeit bei Familie Huss wurde er zweimal in der Klinik behandelt. Inzwischen habe er gelernt, auf seine Gastfamilie zuzugehen, wenn es ihm schlecht gehe, erzählt Blum. "Ich merk’s gleich, wenn etwas nicht stimmt, wenn er weniger redet", sagt Irma Huss. Ihr Mann (70) scherzt: "Gell, Frieder, wir machen’s so: Wenn es dir schlecht geht, dann frag ich: Willst du eine Leckerle?". "So ungefähr", entgegnet Frieder von seinem Platz auf dem Sofa der Familie Huss aus. Dort gehört er längst hin.

Weitere Informationen: Am heutigen Welttag der seelischen Gesundheit klärt das Gesundheitsamt Rottweil in Zusammenarbeit mit dem Vinzenz-von-Paul-Hospital durch Informationsbroschüren und auf Wunsch auch durch ein ärztliches Gespräch auf. Das Informationsangebot findet von 8.30 bis 11.30 Uhr im Gesundheitsamt Rottweil, Bismarckstraße 19, statt. Experten sprechen dabei über Facetten der Depression und Behandlungsmöglichkeiten.

-  Gastfamilien

Das Betreute Wohnen in Familien (BWF) ist ein Dienst des Gemeindepsychiatrischen Verbunds gGmbH, der Erkrankte außerhalb der Klinik betreut. Dieser wiederum gehört zur "Vinzenz von Paul Hospital gGmbH". BWF vermittelt psychisch kranke sowie geistig und körperlich behinderte Menschen in Gastfamilien. Nicht nur "klassische" Familie können einen solchen Mitbewohner aufnehmen. Auch Ehepaare, alleinerziehende, Einzelpersonen oder Lebensgemeinschaften sind willkommen. Neue Gastfamilien werden gesucht.

-  Mitbewohner

Derzeit hat BWF in den Kreisen Rottweil, Tuttlingen und Schwarzwald-Baar rund 25 Menschen in einer Gastfamilie untergebracht. Sie sind im Durchschnitt 35 bis 55 Jahre alt. Während Karl-Friedrich Haberer fast wie ein Sohn bei Familie Huss lebt, gibt es auch andere Modelle. Mancher Mitbewohner möchte weniger Kontakt, lebt lieber in einer Einliegerwohnung und versorgt sich selbst.

- Kontakt

BWF, Hochbrücktorstraße 27, 78628 Rottweil, Telefon 0741/ 9 49 40 08, E-Mail: BWF@VvPH.de