Serie: Teil 11: Stefan Ruß hat Kanzlei in ehrwürdigem Gemäuer / Vor zehn Jahren vom "Neckartal-Spirit" angesteckt
Noch vor gut 30 Jahren schlummerten Kraftwerk, Badhaus, Jakobskirche und Co. im Dornröschenschlaf. Die Zukunft der riesigen Industriebrache im Neckartal war ungewiss.
Rottweil. In kleinen Schritten begann die Konversion der einstigen Pulverfabrik in einen schmucken und florierenden Gewerbepark – eine Erfolgsgeschichte. Ganz unscheinbar kommt es daher, das Gebäude mit der hübschen Adresse Neckartal 100. Doch das ehemalige Direktorengebäude der Pulverfabrik verbirgt so manchen Schatz aus längst vergangenen Zeiten: Einbauschränke, edle hölzerne Schiebetüren, Mahagonivertäfelungen, das Erkerzimmer und Bleiglasfenster lassen die Pracht der Vergangenheit nur erahnen.
Innen modern ausgestattet
Viel Pracht indes gab es nicht, als der Steuerberater Stefan Ruß das Gebäude im Jahr 2009 gemeinsam mit Hermann Klos und Günther Seitz von der Holzmanufaktur erwarb. "Man hat schon viel Fantasie gebraucht, um sich vorstellen zu können, wie es mal aussehen soll", erinnert er sich. "Wir hatten so manche schlaflose Nacht", gibt auch seine Frau Christina Ruß lachend zu. Doch mittlerweile fühlen sich ihre Mitarbeiter, Mandanten und auch sie selbst sehr wohl. Damit habe sich all der Aufwand gelohnt.
"Es ist so schön hier unten. Und es ist tatsächlich so, wie es alle erzählt haben", schwärmt Stefan Ruß. Hermann Klos und Günther Seitz seien es gewesen, die ihn mit dem Neckartal-Virus "infiziert" hätten, erzählt der Steuerberater. Und so sei schnell der Plan gereift, das Gebäude Neckartal 100 gemeinsam zu erwerben. Im März 2009 hatten die drei Herren ihren Kaufwunsch bei der Rhodia AG eingereicht. Ihr Konzept hatte überzeugt, sodass ein Jahr später, im Mai 2010, der Kaufvertrag unterschrieben werden konnte.
Das Gebäude, das im Jahr 1840 gebaut worden war, hatte seinerzeit der Verwaltung der Unteren Mühle gedient. 1866 wurde es dann die Direktion der Duttenhofer Pulverfabriken. Seit 1994 stand es überwiegend leer. Über die Jahre war das Gebäude baulich immer wieder verändert worden, und so war die Freude groß, als Architekt Alfons Bürk auf historischen Aufnahmen feststellte, dass das Gebäude ursprünglich über einen zweiten Eingang verfügt hatte, der zwar zugemauert war, aber reaktiviert werden konnte.
"Das war perfekt für uns, denn so konnten wir den linken Gebäudetrakt mit eigenem Eingang für die Kanzlei nutzen. Im rechten Trakt haben sich zwischenzeitlich vier Unternehmen in die Büros eingemietet", so Stefan Ruß.
Bis die Sanierung im Jahr 2012 abgeschlossen wurde, gab es eine Menge zu tun. Die historischen Sprossenfenster wurden aufwendig restauriert, das Gebäude wurde von innen isoliert, die Elektrik erneuert, ebenso die Wasserleitungen. Eine neue Heizung wurde eingebaut und das Gebäude mit Glasfaserkabel ausgestattet. "Ohne die Verkabelung hätten wir keine Mieter bekommen. So haben wir jetzt ein historisches Gebäude, das innen hochmodern ausgestattet ist. Besser hätten wir es nicht treffen können. Wir haben es keinen Tag bereut, die Entscheidung getroffen zu haben", so Ruß, der erzählt, dass sie die Bauarbeiten akribisch begleitet und die Baustelle Tag für Tag besucht hätten.
Sanierung ausgezeichnet
Im Neckartal fühlen sich Ruß und sein gesamtes Team sehr wohl. "Die Parkplätze direkt am Haus, die großen Räume und das moderne Arbeiten führen zu guter Laune bei Mitarbeitern und Kunden." Das Sahnehäubchen gab es dann im Jahr 2014 mit dem Landesdenkmalpreis für die gelungene Sanierung. "Die Kommission war tief beeindruckt, begeistert und voll des Lobes. Besonders hervorgehoben wurde vom Landesdenkmalamt das Nutzungskonzept als Steuerkanzlei und Büro, das der ursprünglichen Nutzung als Verwaltungsgebäude sehr nahekommt", sagt Ruß.
Übrigens: Das Direktorengebäude ist das älteste noch existierende Gebäude der Rhodia. Im Jahr 1840 wurde das klassizistische Hauptgebäude errichtet, in den Folgejahren wurde mehrfach angebaut, sodass sich heute der ursprüngliche Teil nur noch erahnen lässt. Das Direktorenbüro mit seinem Fenstererker – übrigens dem einzigen im gesamten Gebäude – wurde erst 1922 angebaut. Schön sind auch die Bleiglasfenster an der Rückseite des Gebäudes, auf denen fünf Allegorien rund um das Schießpulver sowie ein Arbeiter und eine Arbeiterin abgebildet sind. Das Interesse am Neckartal sei groß, stellt Ruß fest. "Es gibt sehr viele Führungen hier unten. Das ist nicht nur für die Besucher interessant, sondern auch für die Unternehmen hier." Bereut hat er den Umzug ins Tal nie, im Gegenteil: "Wir würden es immer wieder tun", sagt Ruß voller Überzeugung.
In der Serie "Menschen und Gebäude im Neckartal" beschäftigt sich der Schwarzwälder Bote mit der Verwandlung des Neckartals nach dem Abschied der Rhodia.