Julian Hiller ist als Zimmerer auf der Walz. Foto: Schickle Foto: Schwarzwälder-Bote

Julian Hiller reist als wandernder Geselle um die Welt / Drei Jahre und einen Tag ist die Heimat tabu

Von Verena Schickle

 

Rottweil. Seit zwei Jahren ist Julian Hiller unterwegs. Seit zwei Jahren ist er an seine Heimat Lüneburg nicht näher als 50 Kilometer herangekommen. So ist das, wenn ein Geselle auf der Walz ist. Allein ist er dennoch nicht: Gestern traf Hiller sich mit 13 anderen reisenden Bauhandwerkern in Rottweil.

Gemeinsam wollen sie einen Horber Kollegen nach Hause bringen. Der hat die mindestens drei Jahre und einen Tag auf Tour hinter sich. Hiller nicht, und das gefällt ihm: Er ist gerne unterwegs. Obwohl die Familie weit weg ist, obwohl sich der Kontakt zu ihr zumeist auf Postkarten beschränkt. "Jeder, der mit dem Gedanken spielt, sollte losziehen", empfiehlt der 26-Jährige. Er hat nach seiner Entscheidung seine Wohnung aufgegeben, das Auto verkauft und die Freundin zurückgelassen: Dennoch fühlt sich der wandernde Geselle nicht allein. "Das ist eine große Gemeinschaft."

Der junge Zimmerer gehört den "rechtschaffenen fremden Gesellen" an, wie rund 150 andere Bauhandwerker auf Wanderschaft. Insgesamt gebe es sieben Vereinigungen, sagt einer seiner Kollegen. Was sieht verbindet: Sie alle haben ein Handwerk gelernt, das mindestens 200 Jahre alt ist und ohne Strom zu benötigen ausgeübt werden kann. Und sie pflegen Traditionen.

Auf ihrer Reise lernen sie nicht nur die Welt kennen, sondern auch ihr Metier: Schließlich wird überall ein wenig anderes gearbeitet, und mit jeder neuen Baustelle sammeln die reisenden Gesellen neue Erfahrungen.

Einer der Gesellen, die mit Julian Hiller im Pub "The Harp" gestern Abend an einem Tisch sitzt, war bis vor wenigen Tagen noch zusammen mit einem Schweizer in Venedig. "Meistens ist man zu zweit oder dritt unterwegs", erzählt der 26-jährige Hiller. Er hat als letzte Stationen Bremen, Trier und Ulm besucht. Allerdings hat es ihn auch in die Ferne gezogen in den vergangenen beiden Jahren.

Ganz Skandinavien habe er bereist, Deutschland, die Schweiz, Österreich und Frankreich. Und ein norwegischer Arbeitgeber habe ihm einen Flug nach Vietnam spendiert, zu der Zeit sei schließlich in Deutschland noch Winter gewesen. Von minus 19 auf plus 40 Grad, das war eine ziemliche Umstellung. Zumal die Gesellen immer in ihrer typischen Kluft – schwarzer Hut, weißes Hemd, schwarze Samthose, -jacke und -weste – unterwegs sind. Was sie im Charlottenburger, einem Bündel, tragen können, kommt mit: das Nötigste an Wechselklamotten, ein Schlafsack (Hiller übernachtet viel im Freien), Lieblingswerkzeuge. Die Zahnbürste zieht er aus der Hosentasche hervor.

In Laos beispielsweise hat der Lüneburger an einem Restaurant mitgebaut. In den Vereinigten Arabischen Emiraten verzichtete er dagegen aufs Arbeiten: Die Bedingungen erinnerten ihn zu sehr an Sklaverei. Doch auch außerhalb der Baustellen gibt es viel zu erleben. In Norwegen sei er in eine Gletscherspalte gestürzt, antwortet er auf die Frage nach seinem schlimmsten Erlebnis. "Ich bin dann wieder rausgekrabbelt."

Darüber und über einen Zwischenfall in Vietnam kann er inzwischen lachen. Dort wurde er zwei Stunden lang von der Polizei verhört, die ihn für einen Spion gehalten hatte, nachdem er in ein "Naturschutzgebiet" hineingelaufen war. Weil so viele Soldaten dort waren, glaubt Julian Hiller nicht an die Geschichte mit dem Naturschutzgebiet. Wohl aber konnte er den Polizisten klarmachen, dass er sich bei einem echten Spionageversuch wohl kaum so auffällig gekleidet hätte. Trotz allem überwiegt das Positive. "Ich mochte Menschen vorher weniger als jetzt."

Wo ein Geselle nicht arbeitet, bleibt er maximal eine Woche, erklärt Hiller. In Rottweil sogar noch kürzer: Heute geht es bereits weiter. Schließlich wandern die Gesellen nach Horb, dort steigt am Samstag die Fete für den Heimkehrer. Für Julian Hiller nur eine weitere Station auf seiner großen Reise.