Gemeindereferent Michael Leibrecht, Weihbischof Johannes Kreidler und Pfarrerin Esther Kuhn-Luz (von links) feiern an Heiligabend Gottesdienst im Gefängnis. Foto: Schnekenburger

Heiligabend: Am Gottesdienst nehmen alle Insassen teil. Weihbischof hält Gottesdienst an besonderem Tag.

Rottweil - Weihnachten hinter Gittern: Nachdenklich wirken die Häftlinge an Heiligabend. 28 sind es an diesem Tag in Rottweil. Alle, gleich welcher Religion, haben sich schließlich zum Gottesdienst gemeldet. Hoher Besuch hat sich angekündigt.

Auch im Gefängnis ist Heiligabend kein Tag wie jeder andere. Den Justizbeamten ist es freigestellt, ob sie ihren Dienst in Uniform antreten. Manche mischen sich in Freizeitkleidung unter die Insassen. Gegessen wird an diesem Tag gemeinsam. Es gibt, ganz klassisch, Würstchen und Kartoffelsalat. Dann wird der Gemeinschaftsraum rasch umdekoriert. In der Ecke steht ein ansehnlicher Weihnachtsbaum, ein Kruzifix findet auf der leer geräumten Fernsehkonsole Platz, auf einem Tisch brennt eine Kerze, die Fenster sind violett verhängt, das jetzt, gegen 13 Uhr, gleißend einfallende Licht wird etwas gedämpft.

Als die Gefängnisseelsorger Esther Kuhn-Luz und Michael Leibrecht zusammen mit Weihbischof Johannes Kreidler den Raum betreten, sitzen alle an ihren Plätzen.

Dann wird es hell: Weil das Quartett des Posaunenchors, das sich zuvor im katholischen Gemeindehaus einen Steinwurf entfernt eingespielt hatte, gute Sicht auf die Noten braucht, wird bei seinen Einsätzen das Deckenlicht eingeschaltet. Als Kreidler das Wort ergreift, wird es wieder dunkler. Der Weihbischof begrüßt alle, die hier miteinander feiern wollen. "Wir feiern die Geburt Jesu, der Frieden stiften wollte zwischen den Menschen", sagt er, und: "So lange es keinen Frieden zwischen den Religionen gibt, gibt es keinen Frieden zwischen den Völkern."

Kuhn-Luz lenkt den Blick auf die Vorderseite des kleinen Programms, das alle bekommen haben. Ein Bild von Malerpfarrer Sieger Köder erzählt dort von Weihnachten als Familienfest, vom Wort Gottes, und dass, wer es aus dem symbolschwer in die Krippe gelegten Buch nicht versteht, es vom Menschen, vom Kind, hören soll.

Nach dem von Leibrecht und Kuhn-Luz vorgetragenen Evangelium verbildlicht Kreidler die Botschaft so, dass jeder, gleich welcher Religion, der zumindest irgendwie an einen Gott glaubt, sich angesprochen fühlen kann. Auch und gerade im Gefängnis, dort, wo die Menschen "Weihnachten nicht da feiern, wo sie gerne wären." Und vielleicht gehe es ihnen in diesem Moment ja so: "Ich kann mein Gefühl nicht zeigen." Muss man nicht. Jesus wisse, wie es den Menschen gehe – deshalb sei er Mensch geworden. Und dieser Gott wolle die Verbindung zu den Menschen halten, auch wenn diese sie abgebrochen hätten. Er knüpfe die Verbindung neu und ziehe den Menschen so ein Stück näher an sich heran. Man brauch deshalb Ängste, die eigenen Ecken und Kanten nicht zu beschönigen, dürfe zeigen "wie schwer es ist, aus unseren Fehlern wieder heraus zu kommen."

Ein paar Teilnehmer murmeln das Vaterunser mit, bekreuzigen sich beim Schlusssegen. Und ein paar haben auch mitgesungen, als Kuhn-Lutz sie aufgefordert hat, das "Gloria" in "Hör der Engel helle Lieder", gleich in welcher Tonlage mitzusingen, zu brummeln, wie auch immer mitzumachen. Es geht nicht ums schön Singen. Auch "Stille Nacht", bei dem der Posaunenchor fast nach erfahrenen Tenören fahndet, und "Oh, Du fröhliche" sind keine Konzertmusik. Es geht um den Anlass, um diesen Moment und das, was vielleicht von ihm ausgeht.

Länger als sonst verweilen alle im Gemeinschaftsraum. Als sich Kreidler verabschiedet, drängen einige nach vorne, um dem Weihbischof die Hand zu drücken. Einzelgespräche gibt es an diesem Tag nicht. Doch verlassen dürfen sich die Häftlinge auf die Bescherung, die diesmal ein bisschen üppiger ausfällt. Neben einem Beutel mit einigen nützlichen Geschenken gibt es Weihnachtsgebäck: Jeder bekommt ein Paket, das quasi in der eigenen "Firma", in der JVA Rottenburg, hergestellt wurde – und noch ein Paket, das Konfirmanden aus Fluorn-Winzeln gebacken haben, bei denen Leibrecht im Konfirmandenunterricht unlängst von seiner Arbeit als Gefängnisseelsorger berichtet hatte, und die unbedingt einen Beitrag leisten wollten.