Regionale Wirtschaft und Politik stehen Sondierungsergebnissen mit gemischten Gefühlen gegenüber

In Berlin stehen die Zeichen auf GroKo. CDU/CSU und SPD haben sich auf eine Zusammenarbeit einigen können. Im Kreis Rottweil verfolgen Politik und Wirtschaft die Ergebnisse der Sondierungen mit Interesse.

Kreis Rottweil. Der CDU-Landtagsabgeordnete und Vorsitzende des Kreisverbands, Stefan Teufel, ist zuversichtlich, dass es zu einer Neuauflage der großen Koalition kommen wird. "Die SPD wird sicher auch ein zuverlässiger Partner sein. Allerdings muss, wie bekannt, die SPD-Basis dann auch noch der Aufnahme von Koalitionsverhandlungen zustimmen", kommentiert er die aktuellen Entwicklungen.

Winfried Hecht sitzt seit vielen Jahren für die Sozialdemokraten im Kreistag. Er glaubt, dass sich mit den bisher bekanntgewordenen Ergebnissen der Sondierungsgespräche etwas bewegen lässt. Europa, Soziales, Umwelt, fasst Hecht die Kernbereiche zusammen, die ihm selbst wichtig sind. "Ich denke, dass Schulz – auch wegen seiner beruflichen Herkunft – der richtige Mann ist, um das voranzubringen", meint der Kreisrat. Die Wiederherstellung der Parität bei den Beiträgen zur gesetzlichen Krankenkasse, nennt Hecht einen Fortschritt. Handlungsbedarf sieht er jedoch vor allem beim Thema Umwelt. Eine steigende Feinstaubbelastung und ein kaum mehr erreichbares Ziel beim Klimaschutz – "hier muss dringend etwas passieren. Auch, wenn die Grünen nicht mehr dabei sind."

Der Mut fehlt

Den "großen Wurf" vermisst der Rottweiler FDP-Landtagsabgeordnete Gerhard Aden im Sondierungspapier: "Den in den letzten Wochen und Monaten geforderten Mut zur Erneuerung und Veränderung kann ich nicht erkennen. Das Motto für Merkel IV ist im Grunde ein ›weiter so‹ mit verstärkter sozialdemokratischer Handschrift." Interessant ist für Aden hingegen, dass "das Thema Europa an erster Stelle steht, was wohl eine Reaktion auf neue außenpolitische Schwerpunktsetzung der USA ist". Indes: "Die vorgeschlagenen Maßnahmen für Europa mögen für Frankreich und Deutschland richtig sein, fördern aber meines Erachtens ein Europa der verschiedenen Geschwindigkeiten und bewirken ungewollt kein Mehr, sondern ein Weniger in Europa".

Insgesamt wird nach Meinung Adens im Papier ein Politikstil entworfen, der den Bürger die Eigenverantwortung nicht zutraue. "Mir missfällt, dass man meint, mit Geld alle Probleme lösen zu können." Dass man trotz explodierender Steuereinnahmen, das Versprechen, den Soli bis 2019 abzuschaffen, nicht einhalte, fördere sicher bei vielen Menschen das Misstrauen in die Politik.

Und: Man merke dem Kompromiss zur Flüchtlingspolitik an, so Aden, "dass dieses Thema hoch kontrovers diskutiert wurde und bei den vermutlichen Koalitionsgesprächen noch viele Probleme aufwerfen wird". Das Papier zeige die Beliebigkeit der CDU, die unter Merkel eingezogen sei.

Frank Sucker, stellvertretender Sprecher der Grünen, Ortsverband Rottweil-Zimmern, ist hingegen enttäuscht. "In der Präambel, die die großen Fragen der Zeit benennt, tauchen Umwelt und das Menschheitsthema Klimakatastrophe überhaupt nicht auf. Das verrät viel vom Selbstverständnis der Großkoalitionäre." Passend dazu sei ein Aus für den fossilen Verbrennungsmotor nicht in Sicht – und das für die Kohleverstromung in unverbindlicher Ferne. "Auf dem Feld der Energiewende erkenne ich keinen dezentralen Ansatz. Auch keinen bürgerschaftlichen. Die alten Energieriesen dürfen sich freuen", meint Sucker. Für ihn sei es kaum vorstellbar, wie die alte Koalition sich zu einem "echten Neustart" aufraffen will. "Bei aller Wertschätzung ihrer Rolle in Europa, ja in der Welt: Angela Merkel ist keine begeisternde Zukunftsgestalterin." Spannend werde, ob die SPD-Basis die Ergebnisse der Sondierung ebenso euphorisch begrüßt wie ihr Parteivorsitzender. Und dann schlägt Sucker den Bogen zu "Jamaika". "Ich bedauere es sehr, dass Jamaika nicht klappte. Gerade diese exotische Mixtur von konservativem Denken, Liberalismus und Ökologie hätte die Chance gehabt, endlich mehr Kreativität in unserem Land freizusetzen."

Konkret betroffen

Auch die Wirtschaft in der Region verfolgt die Geschehnisse auf dem politischen Parkett in Berlin mit Interesse. Sie sind ganz konkret vom Vorhaben betroffen, die gesetzliche Krankenversicherung wieder zu gleichen Teilen aus Beiträgen von Arbeitgebern und Arbeitnehmern zu finanzieren.

"Als Unternehmer und Arbeitgeber denken wir, dass es eher zu überlegen ist, ob punktuelle Maßnahmen wirklich geeignet sind, die Herausforderungen unseres Gesundheitssystems anzugehen oder ob wir uns in Deutschland nicht Gedanken über vollkommen neue Konzepte im Gesundheitswesen machen sollten", teilt Nicolas Schweizer, Vorstand der Schweizer Electronic AG, mit Sitz in Sulgen mit. Kern Liebers, ebenfalls am Standort Sulgen schreibt auf Nachfrage: "Mit der Einführung des Zusatzbeitrages in der gesetzlichen Krankenversicherung wurde der Grundsatz gebrochen, dass die Lohnnebenkosten nicht weiter steigen sollten, um die Wettbewerbsfähigkeit des Standortes Deutschland zu stärken.

Sollten diese Zusatzbeiträge in Zukunft paritätisch aufgeteilt werden, nimmt man Abstand von diesem Grundsatz. Eine weitere Steigerung der Lohnnebenkosten wäre die Folge. Für den Kern-Liebers-Standort in Schramberg wären dies bei einem aktuellen durchschnittlichen Zusatzbeitragssatz von 1,1 Prozent und der Übernahme von 0,55 Prozent der Kosten eine Steigerung der Lohnnebenkosten über 280 000 Euro pro Jahr. Unter der Annahme, dass dieser Beitragssatz auf 1,8 Prozent im Jahr 2019 steigen wird, würde sich die Steigerung der Lohnnebenkosten auf 458 000 Euro pro Jahr erhöhen". Für die Entwicklung der Lohnkosten in Deutschland und in Schramberg wäre dies keine gute Entscheidung, so das Unternehmen.