Emil Sänze appelliert in seinem Vortrag an den politischen Mitbestimmungswillen der Zuhörer. Foto: Alt

Volkes Stimme nach Schweizer Vorbild: Landtagsfraktion startet in Rottweil landesweite Bürgerdialogreihe.

Rottweil - Die AfD-Landtagsfraktion hat am Donnerstag in der Rottweiler Stadthalle die Kampagne zu ihrem politischen Lieblingskind, dem "Demokratiestärkegesetz" gestartet. Widerworte gab es kaum, wenngleich diese der Partei dann gleich den demokratischen Willen absprachen.

Es ist überraschend wenig los vor der Stadthalle an diesem frühen Donnerstagabend. Keine Demonstranten, kein Protest – dafür ein ordentliches Aufgebot an Polizisten und Security-Mitarbeitern. Man ist auf mögliches Störpotenzial eingestellt. Kritische Stimmen wird es erst in der Diskussionsrunde geben, wenngleich diese von Einzelnen im Publikum niedergeschrien werden. Ob ein Abend, bei dem es um die Kernelemente direkter Demokratie geht, so enden sollte ist fraglich.

Der Auftakt der Bürgerdialog-Veranstaltungsreihe der AfD ist auf "Heimat" gepolt. Dem Besucher soll die Revolutionäre-Tradition Baden-Württembergs in Erinnerung gerufen werden. "Sich einmischen, politische Teilhabe fordern", darauf stellt Christiane Christen in ihrer Anmoderation ab, ehe sie das Mikro an den Fraktionsvorsitzenden der AfD im Landtag, Bernd Gögel, abgibt. Gögel ist ein Mann mit Humor und will, wohlwissend um die derzeit zunehmende Stärke seiner Partei, mit den Großen spielen. Launig lässt er wissen: "Aufgrund der Sprachgeschwindigkeit sehen Sie, dass ich ein würdiger Nachfolger unseres Ministerpräsidenten wäre." Die etwa 120 Gäste in der Stadthalle lachen bevor es ernst wird.

Hauptredner Emil Sänze, AfD-Landtagsabgeordneter des Wahlkreises Rottweil-Tuttlingen, gibt einen Crash-Kurs in direkter Demokratie. "Fühlen Sie sich machtlos? Fühlen Sie sich wie ein Spielball der Mächtigen?", fragt er in die Runde. Zustimmendes Nicken. Sänze, der in seinem silberfarbenen Anzug auf der Bühne auf und ab läuft, hat die Lösung parat. Mit ihrem bislang im Landtag gescheiterten Gesetzesvorstoß zur Herabsetzung der Hürden von Volksanträgen, Volksbegehren und Volksabstimmungen, – kurz "Demokratiestärkegesetz" – könnte dem Volk ein großes Stück Macht zurückgegeben werden. Für den Antrag gab es von den politischen Gegenspielern und verschiedenen Organisationen viel Kritik.

Sänze nennt Beispiele, bei denen er davon ausgeht, dass die Bürger gerne mitentschieden hätten: Der Bundeswehreinsatz im Kosovo, die Einführung des Euro, die Flüchtlingskrise, oder auf Landesebene: der Ausbau der Gäubahn. "Wir sind nicht schlechter als die Schweizer, deshalb beanspruchen wir das selbe, was die Schweizer haben", ruft Sänze und verspricht: "Wir werden unser Ziel ›mehr Demokratie‹ so lange verfolgen, bis wir es durchgesetzt haben." Unterm Strich bedeutet das ein Erzwingen des "Demokratiestärkegesetzes" mittels Volksabstimmung. Und dafür braucht die AfD nach heutigem Stand mindestens 50 Prozent der Stimmen der rund 7,7 Millionen Wahlberechtigten in Baden-Württemberg.

Als Experten hat sich die AfD den Vorsitzenden des in Rheinlandpfalz sitzenden Vereins "Bürgerwille" geholt. Karl-Heinz Schruder kann aus der Praxis berichten. Von einer mittels Bürgerentscheid verhinderten Moschee in Kaufbeuren oder von der Unterstützung der Initiative "Kandel ist überall", die sich für Alters-Gentests bei Minderjährigen Flüchtlingen stark macht.

Für Schruder gibt es viel Applaus. Doch er entlässt nachdenkliche Gesichter in die Pause. Kann, was in der Schweiz funktioniert, auch in Deutschland funktionieren? Wie kann ein Machtmissbrauch des Volkes oder die Majorisierung von Minderheiten verhindert werden? Die anschließende Diskussion fördert Bedenken zutage. Sänze nennt Beispiele und schlussfolgert: Das Volk entscheidet viel vernünftiger als viele erwarten. Ein anderer Gast legt dann die Lunte: Was macht die AfD, wenn sie in der Regierung ist. "Wir werden nicht in eine Koalition als Juniorpartner gehen", sagt Gögel mit Verweis auf die derzeitige Rolle der CDU bei ihrem grünen Partner.

Schließlich wagt sich ein kritischer Gast aus der Deckung. Er moniert – bei aller Liebe der AfD zur Demokratie – den Seit-an-Seit-Marsch von Landtagsmitglied Stefan Räpple mit seinem umstrittenen thüringer Kollegen Björn Höcke, den eher Allmachtsfantasien trieben. Doch zum Ausreden kommt er nicht. Einzelne übertönen den Mann mit rüden Zwischenrufen. Seine Frage: "Sind Sie nun Demokraten oder Diktatoren?", quittiert Gögel, der schon zu Beginn mit dem Nazi-Image der AfD kokettiert hatte, mit einem "wir sind natürlich Demokraten".