Wer bei einem Notfall am Wochenende einen Augenarzt in Reichweite erwischt, hat Glück gehabt. Foto: ©  Dangubic – stock.adobe.com

Wer Pech hat, muss zum Notdienst nach Bad Saulgau fahren. Dann lieber in die Klinik?

Kreis Rottweil - Die Anruferin meint erst, sich verhört zu haben: Auf ihre Frage, wo der nächste augenärztliche Notdienst ist, erhält die Oberndorferin am Wochenende die Antwort: "Da müssen Sie nach Bad Saulgau fahren." Das sind 120 Kilometer. Kann das wirklich sein?

Die Notfalldienstregelung ist speziell seit der Reform 2014 immer wieder Thema und sorgt nicht selten für Verwunderung – oder Ärger. Mittlerweile ist zwar jedem bewusst, dass ein Notdienst schon mal etliche Kilometer weit weg sein kann – "aber 120 Kilometer für eine Strecke, das konnte ich jetzt doch fast nicht glauben", erzählt die Oberndorferin.

Fünf Landkreise sind zusammengefasst

Ihr war eine Kontaktlinse im Auge zerbrochen. Sie hatte Schmerzen und bekam die Stücke selbst nicht heraus. Deshalb wählte sie die zentrale Nummer 116 117, um zu erfahren, welcher augenärztliche Notdienst für den Kreis Rottweil zuständig ist.

Das DRK in Rottweil, das im Landkreis die Vermittlung übernimmt, bestätigt auf unsere Nachfrage, dass an diesem Tag nach Bad Saulgau verwiesen wurde. "Das liegt daran, dass für diesen Notdienst-Bereich fünf Landkreise zusammengefasst wurden", erklärt der zuständige Mitarbeiter. Für die Kreise Rottweil, Tuttlingen, Zollernalb, Villingen-Schwenningen und Sigmaringen gibt es einen gemeinsamen Augenarzt-Notdienst. Und wenn man Pech hat, befindet der sich eben in Bad Saulgau.

Ausgedacht hat sich das freilich nicht das DRK, sondern die Kassenärztliche Vereinigung Baden-Württemberg (KVBW). Auf unsere Nachfrage erklärt eine Sprecherin, dass man diesen speziellen Fall "nicht genau rekonstruieren" könne. Aber: "Der nächste augenärztliche Notfalldienst, der für Oberndorf zuständig war, war tatsächlich in Bad Saulgau". Dort gebe es einen fachärztlichen Bereitschaftsdienst, den die niedergelassenen Ärzte von ihrer Praxis aus verrichten. "Vermutlich ist Ihrer Leserin daher der lange Weg von 120 Kilometern empfohlen worden.". In Oberndorf habe es an diesem Tag keinen diensthabenden Augenarzt gegeben

Zur Begründung heißt es, dass die fachärztlichen Dienste nach der Reform mit weiteren Strecken ausgelegt worden seien, "damit in Zeiten des Ärztemangels eine ausreichende Menge an diensthabenden Augenärzten zur Verfügung stehen kann". So kam es zur Zusammenfassung von gleich fünf Landkreisen. Ein enormes Gebiet. In einer Broschüre der KVBW wird erklärt, dass eine "möglichst geringe Dienstbelastung für alle Ärzte" im Mittelpunkt der Reform stehe. Jeder Arzt solle maximal sieben Notfalldienste pro Jahr leisten.

Die KVBW verweist darauf, dass Betroffene wie die Oberndorferin in so einem Fall natürlich auch die allgemeine Notfallpraxis im regionalen Gebiet – also in Oberndorf oder Rottweil – aufsuchen können, wenn sie den weiten Weg zum Facharzt nicht auf sich nehmen wollen. "Die allgemeine Notfallversorgung sollte im Umkreis von 30 Kilometern angesiedelt sein oder einen Fahrtweg von 30 Minuten nicht überschreiten", so die Regelung. Klar sei: Möchte ein Patient eine Behandlung vom Facharzt erhalten, muss er weitere Wege in Kauf nehmen.

Angesichts aktueller Nachrichten, dass die Kliniken von Patienten überrannt werden, die beim Haus- oder Facharzt besser aufgehoben wären, wollte die Oberndorferin es eigentlich richtig machen. Sie habe dann noch in der Augenklinik in Tübingen angerufen, wo man ihr erklärt habe, dass das Wartezimmer schon rappelvoll sei und sie mit etlichen Stunden Wartezeit rechnen müsse – eben wegen der Notdienstregelung bei den Fachärzten. "Die haben sich am Telefon auch ganz schön darüber aufgeregt."

Wie auch immer: Die 120 Kilometer nach Bad Saulgau ist die Frau aus Oberndorf dann natürlich nicht gefahren. Sie hat vor Ort trotz des Wochenendes einen Optiker ausfindig gemacht, der ihr half, die Kontaktlinsen-Bruchstücke zu entfernen. Letztlich ging alles gut. Die Verwunderung aber bleibt.