Die 34-jährige Angeklagte hat vor Gericht die brandstiftung gestanden. Foto: Symbol-Foto: © neosiam – stock.adobe.com

Eine junge Frau setzt ihre Dachgeschosswohnung in Rottenburg in Brand. Danach verreist sie. Die Frau leidet an psychischen Störungen. Der Staatsanwalt fordert zwei Jahre und sechs Monate Haft – ein schwieriger Prozess.

Rottenburg/Tübingen - Die Angeklagte ist 34 Jahre alt, sie gilt als hochintelligent, sie besitzt einen akademischen Grad in Soziologie. Nur mit dem Leben, mit anderen Menschen und letztlich mit sich selbst kommt die junge Frau irgendwie nicht zurecht. Jetzt sitzt sie auf der Anklagebank im Tübinger Landgericht, aufmerksam verfolgt sie die Verhandlung, schaltet sich mitunter mit kurzen Bemerkungen in das Geschehen ein. Die Anklage lautet auf schwere Brandstiftung, eine Verurteilung erscheint unumgänglich.

Doch viel wichtiger als das Strafmaß, dass auf sie zukommen dürfte, ist die Frage: Soll die Frau ins Gefängnis oder in ein psychiatrisches Krankenhaus? Fast zwei Stunden lang nimmt ein Gutachter vor dem Schwurgericht Stellung. Der Gutachter, ein Mann, der 25 Jahre als Gerichtspsychiater tätig ist, wird an diesem Verhandlungstag gleichsam zum wichtigsten Mann in dem Prozess. Doch angesichts der schwierigen und komplizierten Persönlichkeit der Angeklagten ist auch er ratlos – und räumt seine Ratlosigkeit auch offen ein. Auch die eigene Einschätzung der Beschuldigten, dass sie unter Autismus leide, betrachtet er durchaus mit Skepsis.

Die Brandstiftung selbst hat die Beschuldigte bereits gestanden. Am 14. Dezember vergangenen Jahres – nur einen Tag nach ihrem 34. Geburtstag – habe sie ihrer Ein-Zimmer-Wohnung in einem Mehrparteienhaus in Rottenburg Feuer gelegt. Zur Tat habe sie sich am Vortage, ihrem Geburtstag, entschlossen. Als Brandbeschleuniger habe sie Aceton verwendet, die anderen Bewohner in dem Haus habe sie aber nicht verletzen wollen. Ihr Ziel sei es vielmehr gewesen, die Wohnung – die ihr laut Gutachter sozusagen als "Symbol ihres Scheiterns" erschienen sei – zu zerstören. Tatsächlich kamen bei der Tat auch keine Bewohner zu Schaden, Nachbarn entdeckten das Feuer, die Feuerwehr konnte wenig später löschen.

Polizeibeamte in Hessen sind erstaunt, als Frau auf die Wache kommt

Doch geradezu bizarr mutet ihr Verhalten nach der Tat an. Sie habe ihre Sachen gepackt, auch Geld habe sie sich besorgt und sei mit dem Zug in Richtung Frankfurt gefahren. Doch kurz zuvor, in Offenbach, sei sie ausgestiegen und zur Polizei gegangen. Ein Polizeibeamter, der als Zeuge aussagt, beschreibt die Szene: "Sie kam rein auf die Wache und sagte, sie bräuchte dringend Hilfe, bei ihr zu Hause habe es gebrannt." Die erstaunten Beamten, so der Zeuge weiter, fragten nach, schließlich habe sie gesagt, sie selbst habe die Wohnung angezündet. Darauf hätten die Offenbacher Beamten bei den Kollegen in Rottenburg angerufen: "Die waren in heller Aufregung und baten um Festnahme der Frau."

Wie sei denn der Eindruck der Frau gewesen, will die Verteidigung von dem Zeugen wissen. Antwort: Etwas schüchtern und verängstigt habe sie gewirkt, beinahe ein wenig unterwürfig und duckmäuserisch, aber klar bei Verstand und kooperativ sei sie gewesen.

Hier schaltet sich die Angeklagte in die Verhandlung ein. Ihr geht es darum klarzustellen, dass sie in Offenbach keinesfalls duckmäuserisch aufgetreten sei. Die junge Frau spricht präzise und intelligent, ihre Sätze sind geradezu geschliffen. "Ich denke, mein Verhalten in Offenbach ist durch den Stress leicht nachzuvollziehen." Im Übrigen habe sie ihre Straftat "so schnell wie möglich zur Selbstanzeige gebracht". Hier allerdings widerspricht Richterin Manuela Haußmann. Wenn sie die Tat möglichst rasch hätte zur Anzeige bringen wollen, "dann wäre das doch eher in Rottenburg geschehen".

Die äußerst schwierige und unberechenbare Persönlichkeit der Beschuldigten skizziert auch ein weiterer Zeuge, ein junger Mann und Ex-Kollege der Angeklagten. Beide hätten praktisch Schreibtisch an Schreibtisch in einem kleinen kaufmännischen Unternehmen gearbeitet. Zunächst sei die Stimmung zwischen ihnen ganz normal gewesen, doch dann, "völlig aus dem Nichts", habe sie ihn schwer beschimpft, berichtet der 23-Jährige. Wenig später habe es dann eine ganz andere Wendung gegeben, die Kollegin habe ihm unvermittelt ihre Liebe gestanden. "Ich liebe Dich", habe sie zu dem Entgeisterten gesagt. Wieder sei dies "völlig aus dem Nichts gekommen", das Verhalten der Kollegin sei ihm ein Rätsel gewesen. Auch für ihre gelegentlichen Weinkrämpfe habe er keine Erklärung gefunden.

Angeklagte hat mehrfach psychiatrische Hilfein Anspruch genommen

Der wichtigste Teil des Prozesstages sind jedoch die Ausführungen des Gutachters Peter Winckler, ein erfahrener, einfühlsamer und besonnener Psychiater. Die Angeklagte stamme aus Rheinland-Pfalz, die Kindheit sei zunächst unproblematisch gewesen, in der Realschule sei sie aber nach eigenen Aussagen gemobbt worden. "Sie glaubt, dass sie schon immer anders gewesen sei", so der Gutachter. "Wegen des Autismus sei sie schon immer ruhiger und ernster gewesen, meint sie. Fröhliche Unbeschwertheit habe sie ihr ganzes Leben nicht gekannt."

Schwierigkeiten habe es auch mit der Sexualität gegeben, sie sei niemals verliebt gewesen, das sei ein Gefühl, "das sie gar nicht kenne" habe sie gesagt. Dennoch, in Düsseldorf habe sie schließlich Soziologie studiert, mit dem Bachelor-Grad abgeschlossen, das Studium später in Tübingen fortgesetzt, dort nach weiteren sieben Jahren Studium auch den Master geschafft.

"Sie ist sicher hochgescheit", fährt Winckler fort, der Grad ihrer Intelligenz liege "locker im überdurchschnittlichen Bereich". Doch trotz dieser Intelligenz habe sie eine "Biografie des Scheiterns", lautet sein trauriges Urteil.

Nach dem Studium sei es im Leben nicht wirklich vorangegangen, ihre Ausbildungsstelle zur Kauffrau im E-Commerce sei ihr gekündigt worden. Sie habe das Feuer aus völliger Frustration gelegt, habe alles zerstören wollen. Sein Fazit: "Hochfunktional ist nur ihr Verstand, alles andere funktioniert ziemlich schlecht."

Seelische Störungen schwer einzuordnen

Mehrfach habe sie in den vergangenen Jahren psychiatrische Hilfe in Anspruch genommen, habe mehrere Monate in einer Tagesklinik in Tübingen besucht. Winckler spricht von einer "düsteren Biografie", tut sich aber schwer, ihre schweren seelischen Störungen genau einzuordnen. Eine Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus sei nicht angesagt, er schließt allerdings die Wiederholung schwerer Straftaten nicht aus. Stattdessen bringt der Gutachter eine Unterbringung in einer betreuten Wohngemeinschaft und eine Therapie ins Spiel – doch hier widerspricht die Angeklagte sofort und energisch. "Sorry, das geht nicht! Ich will nicht in eine betreute Wohngemeinschaft!" Da lebe sie lieber auf der Straße. Reaktion des Gutachters: "Ich wundere mich nicht über Ihre Antwort."

Staatsanwalt Marian Jander plädiert kurz und prägnant, vorsätzliche schwere Brandstiftung sei eine schwere Straftat. Als strafmildernd gelte zwar, dass die Angeklagte geständig sei und keine Vorstrafen habe, doch die Sozialprognose sei nicht günstig. Er fordert daher eine Freiheitsstrafe von zwei Jahren und sechs Monaten. Am 4. November plädiert die Verteidigung und ein Urteil dürfte gefällt werden – man darf gespannt sein.