Die Experten saßen auf Augenhöhe mit den Besuchern. Fotos: Morlok Foto: Schwarzwälder Bote

Politik: CDU-Politiker diskutieren in offener Runde mit Bürgern in der Zehntscheuer für neues Grundsatzprogramm der Partei

Zusammen mit Freunden, Mitgliedern und Interessierten diskutierte die CDU in der Rottenburger Zehntscheuer die Frage "Wie halten wir unsere Gesellschaft zusammen?" Staatsministerin Annette Widmann-Mauz stellte sich dabei zusammen mit anderen Impulsgebern einer Diskussionsrunde im 360-Grad-Forum.

Rottenburg. Früher ging ein Riss durch Berlin – heute durch unseren Staat und seine Gesellschaft. Diese Entwicklung, die durch die neuesten Landtagswahlen in Sachsen und Brandenburg manifestiert wurden, gibt Grund zur Besorgnis.

"Wie halten wir unsere Gesellschaft zusammen?" Auf diese zukunftsprägende Frage sucht die CDU derzeit in ganz Deutschland Antworten für ihr neues Grundsatzprogramm. Ein Papier, in dem die Union überzeugende Antworten auf die entscheidenden Fragen der Zukunft liefern möchte. Am Freitagabend waren die Freunde der Christlichen Union und alle Bürger, die sich hierzu gerne mit ihrer Meinung einbringen wollten, von Staatsministerin Annette Widmann-Mauz in die Rottenburger Zehntscheuer zu einer Diskussionsrunde, die auf Augenhöhe stattfand, eingeladen. Es war eine Gesprächsrunde, die in eben dieses neue Grundsatzprogramm mit einfließen wird.

Und es war keine dieser gewohnten Podiumsdiskussionen, bei der sich ein paar Redner hinter einem Tisch verschanzen und ihre Meinung bekannt geben, sondern ein sogenanntes (fast) 360-Grad-Forum, bei dem die Impulsgeber – dies waren, neben Staatsministerin Widmann-Mauz, Juliane Vees, Vizepräsidentin des Deutschen LandFrauenverbandes, Gunter Czisch, Oberbürgermeister der Stadt Ulm, Johannes Schwörer, Geschäftsführer der SchwörerHaus KG sowie Bernd Villhauer, Geschäftsführer des Weltethos-Instituts Tübingen – mitten im Saal saßen und das Auditorium auf Augenhöhe rings darum herum. Im inneren Zirkel war jeder zweite Stuhl für einen Fragesteller und Mit-Diskutant frei. Moderiert wurde die Gesprächsrunde von Merve Gül, einer politisch engagierten Rechtsreferendarin, die aber kaum zu Wort kam.

"Es ist Zeit für Zusammenhalt – wer könnte diesem Eindruck wiedersprechen?" Mit dieser Feststellung eröffnete die Bundespolitikerin die Runde der Impulsreferate, mit denen die Hauptredner des Abends ihre politischen und gesellschaftlichen Claims absteckten. Die Tübinger CDU-Bundestagsabgeordnete sieht ihre Partei als eine Art Brückenbauer für ein freundliches Deutschland, für das es sich lohnt zu kämpfen und mitzugestalten. "Vertrauen ist leicht verspielt", betonte sie und fügte an, dass sich die CDU vor ungefähr einem Jahr auf den Weg gemacht habe, dieses Vertrauen zu festigen.

Eine These, der sich auch Ulms Oberbürgermeister Czisch anschloss. Für ihn ist klar, dass der Durchschnittsbürger denkt: "Ja spinnen die da oben alle?" "Die Leute haben kein Zutrauen mehr zu den Eliten." Für ihn steht fest: "Je blöder einer rausschwätzt, desto öfter wird er in Talkshows eingeladen." Und Czisch fragt in diesem Zusammenhang: "Wo sind die Persönlichkeiten, an denen wir uns orientieren können?" Sein Verbesserungsvorschlag: "Wir müssen uns darauf konzentrieren, was wir tun – und nicht nur goschen." Orientierung und christliche Wertebildung sind seiner Ansicht nach wichtige Bausteine und Veränderungen und Trends werden für ihn in den Kommunen kreiert und auch nur dann, wenn die Verantwortlichen genau hinschauen und zuhören. Und eines war für den Ulmer OB besonders wichtig. "Klare Kante zeigen und nicht immer diese Weichei-Geschwätz unter die Leute bringen. Wer die Grenzen verlässt, der muss mit Konsequenzen rechnen", lautete sein klares Statement.

Bernd Villhauer, promovierter Philosoph, sah die Grundwerte als Basis allen gesellschaftlichen Zusammenlebens und plädierte dafür, die Werteorientierung und Vertrauen in Wirtschaft, Politik und Gesellschaft zu fördern. "Werte sind uns aufgegeben und sie müssen weitergegeben werden. Sie sind die Basis von allem", erläuterte er seine Einschätzung.

Juliane Vees, mit 20 Jahren kommunalpolitischer Erfahrung im Freudenstädter Kreistag ausgestattet, legte das ehrenamtliche Engagement in die Waagschale. "Gerade bei uns auf dem Land funktioniert der Zusammenhalt noch gut – doch nur, weil hier noch das ehrenamtliche Engagement sehr ausgeprägt ist." Sie betonte aber auch, dass der Bauer, früher ein hoch angesehenes Mitglied des Dorfes, immer mehr an den Rand der Gesellschaft gedrängt wird. "Das geht sogar so weit, dass Bauernkinder in der Schule von ihren Mitschülern und teils sogar von den Lehrern gemobbt werden", so die Mutter von drei erwachsenen Kindern.

Johannes Schwörer konnte seinen Impulsvortrag etwas kürzer halten als seine Vorgänger. Er erlebte eine andere Form von Zusammenhalt direkt am Arbeitsplatz. "Ich dachte, wenn wir unserer Kernkompetenz, Häuser bauen und sie zu verkaufen, nachgehen würde, dass das für den Firmenzusammenhang reichen würde. Doch unserer Belegschaft war das zu wenig. Sie wollten wissen, was passiert und die wichtigsten Ziele unseres Unternehmens erfahren." Seine Botschaft hieß demnach, dass Transparenz und Vertrauen der Kleber für eine gute Gemeinschaft sind.

In der zweieinhalbstündigen Gesprächsrunde wurde das Thema "gesellschaftlicher Zusammenhalt" von vielen Seiten aus beleuchtet. Vieles wurde, wie immer bei solchen offenen Diskussionen, doppelt und dreifach angeschnitten, vieles bezog sich auf sehr persönliche Themen, die meist aus der persönlichen Situation heraus – sei es beruflich oder privat – entstanden und einiges war im Sachzusammenhang völlig an den Haaren herbeigezogen. Doch Eines kristallisierte sich ganz klar heraus und zwar, dass man den Riss, der durch Deutschland geht, so schnell wie möglich kitten muss.

Vorwürfe wie: "Die CDU hat in den letzten Jahren aus Angst vor der medialen Ohrfeige fast jede wichtige Entscheidung verpennt" oder "Es ist eine Schande, dass wichtige politische Ämter heute noch in den Berliner Hinterzimmern ausgekartelt werden", vielleicht auch solche plakativen Feststellungen wie, "dass man bundespolitisch viel zu sprunghaft jeder Sau hinterherrennt, die durchs Dorf getrieben wird", mögen vielleicht stimmen, bringen die Bundesrepublik allerdings keinen Millimeter weiter. "Es ist nicht gut, wenn wir immer alles schlecht reden", so Oberbürgermeister Gunter Czisch.

Doch im Grunde ist alles so einfach: Ein junger Mann brachte im Laufe der Gesprächsrunde das Thema Zusammenhalt auf den kleinsten Nenner: "Jeder, der als Auswärtiger schon einmal auf einem Dorffest war, der weiß, was Zusammenhalt ist."

Nur stellt sich jetzt für die Verantwortlichen aus der CDU die nicht ganz so einfach zu beantwortende Frage: "Wie kriegen wir den Zusammenhalt vom Dorffest auf das ganze Land übertragen?"

Trotz der großen Herausforderung, die parteipolitische Orientierung zu korrigieren ohne Grundsätze von Bord zu schmeißen, durfte Annette Widmann-Mauz ein recht positives Fazit dieser offenen Diskussionsrunde ziehen.