Vor der Großen Strafkammer am Tübinger Landgericht muss sich ein 29-jähriger Rottenburger verantworten. Er soll seine Mutter und seinen Stiefvater im vergangenen August mit einem Messer attackiert haben. Foto: Bernklau Foto: Schwarzwälder Bote

Prozess: Ein 29-jähriger Rottenburger, der sich vor dem Landgericht verantworten muss, soll dauerhaft in die Psychiatrie

Wohl im Wahn hat ein 29-Jähriger vergangenen Sommer in Rottenburg seine Mutter und den Stiefvater angegriffen und mit einem Messer schwer verletzt. Am Tübinger Landgericht wird der Fall jetzt verhandelt.

Tübingen/Rottenburg. Was vorig es Jahr im Morgengrauen des 2. August in dem Rottenburger Einfamilienhaus geschah, ist weitgehend klar. Die Große Strafkammer am Tübinger Landgericht arbeitet das Familiendrama trotzdem genau auf, obwohl auch Oberstaatsanwalt Martin Klose den voll geständigen Angeklagten für schuldunfähig hält. Es geht um seine dauerhafte Unterbringung in einer psychiatrischen Klinik.

"Ich wollte sie töten, ja", erinnerte sich der Sohn – wie an viele andere Details der Tat und ihre Vorgeschichte. Er ließ aber dann von seinem schon schwer durch Stiche und Schläge verletzten Stiefvater ab, der bei der Attacke ein Auge verlor. Der Mutter hatte der Sohn einen Nerv im Arm durchtrennt bevor er die (von ihr noch geistesgegenwärtig, aber vergeblich) verschlossene Tür eintrat und im Elternschlafzimmer über den 67-Jährigen herfiel. Auch wegen dieses Rücktritts lautet die Anklage nicht auf versuchten Mord, sondern nur auf schwere und gefährliche Körperverletzung.

Nach seinem Realschulabschluss hatte für den damals 17-Jährigen – später lernte er Glas- und Fensterbauer – eine sehr ungewöhnliche Drogenkarriere begonnen; und parallel seine Krankengeschichte mit schizophrenen und psychotischen Schüben, stationären und ambulanten Therapien. Über Sportstudio-Kontakte hatte er damals angefangen, verschiedenste muskelaufbauende Anabolika zu spritzen und schluckte dazu einige aufputschende Amphetamine: kaum Cannabis, kein Koks, kein LSD und kein Heroin. Die Cocktails machten ihn reizbar, aggressiv und wohl auch immer wieder schizophren und psychotisch.

Nach Vergewaltigungs-Vorwürfen vor etwa sieben Jahren wurde er erstmals von Klaus Foerster begutachtet, der auch in diesem Prozess forensischer Sachverständiger ist. Eine medikamentöse Therapie brach der junge Mann nach vier Jahren eigenmächtig ab, weil er sich wieder gesund fühlte und die Arzneien ihn "müde und völlig antriebslos" gemacht hätten. Er begann wieder mit Anabolika und Amphetaminen. Inzwischen in der mietfreien Einliegerwohnung bei den Eltern untergebracht, machte er Krafttraining.

Die zeitweilige Freundin führte ihn in eine sektenartige Pfingstgemeinde ein, die zweimal wöchentlich in Reutlingen Gottesdienst hielt. Sie bestärkte ihn auch in seinem aufkommenden Hass auf die amtskirchliche Religion der Eltern. Eine Halluzination, dass der Stiefvater den Großvater im Krankenhaus erwürgt hätte, woran auch die Freundin glaubte, verstärkte die Wut. Im vergangenen Frühjahr, so seine eigenen Angaben, war der Angeklagte noch einmal stationär in Therapie.

Etwa zwei Wochen vor der Tat habe er sich eine besonders hohe Dosis Anabolika gespritzt, am Vorabend des verhängnisvollen Anfalls Amphetamine genommen. Daraufhin meinte er laut eigener Schilderung, das von der Mutter zubereitete Abendessen mache ihn impotent, und überhaupt gehörten die Eltern einer "satanischen Vereinigung" an, die ihm das Leben nehmen wolle. Trotz der Wahnbilder erledigte der junge Mann seinen frühmorgendlichen Job als Zeitungsausträger, war in der Nacht aber schon einmal nach Rottenburg zurückgekehrt und hatte dabei – nach eigenen Angaben "aus Hass" – das Auto des Stiefvaters bepinkelt und bespuckt.

Nach der Heimkehr gegen 5 Uhr zerrte er dann zunächst die Mutter aus dem Zimmer, verletzte sie und ging dann unter wüsten Drohungen und Beschimpfungen auf den im Bett liegenden Stiefvater los, der sich nach Kräften zu wehren versuchte. Scheinbar ruhig fuhr der Sohn nach der Tat zum Frühstück an eine Tübinger Tankstelle. Nachbarn hatten wegen der Schreie sofort die Polizei und den Notarzt alarmiert. Die schweren Verletzungen waren blutig, folgenschwer, aber nicht lebensgefährlich.

Auf dem Rückweg nach Rottenburg stellten zwei Polizeiautos den zur Fahndung ausgeschriebenen Wagen am Sülchenknoten. Der 29-Jährige leistete keinen Widerstand gegen die Festnahme. Bei der Vernehmung räumte er die Taten und Motive vollständig ein. Statt eines Haftbefehls wurde bald die Einweisung ins Haftkrankenhaus Hohenasperg, dann in die Psychiatrie verfügt.

Inzwischen ist der (bei seinen detaillierten Aussagen völlig normal und klar wirkende) Angeklagte in der geschlossenen Abteilung der Psychiatrie Wiesloch untergebracht. Durch ein neues Medikament fühle er sich "jetzt wunderbar". Von der Verwandtschaft bekommt er regelmäßig Besuch. Mutter und Stiefvater, die nicht als Zeugen aussagen wollen, verfolgten den ersten Verhandlungstag im Gerichtssaal. Man sah sie in einer Verhandlungspause im fürsorglich familiären Gespräch mit ihrem angeklagten Sohn und Stiefsohn.