Der Kandidat für das Europaparlament der SPD Südwürttemberg: Dieter Heidtmann Foto: Straub Foto: Schwarzwälder Bote

Europawahl: Theologe stellt sich mit Grundsatzrede vor / Beim Thema Brexit hält er ein zweites Referendum für angemessen

Rottenburg. Wie geht der europäische Traum weiter? Wie kann die europäische Idee gestärkt werden? Und lässt sich eine neue Leidenschaft für Europa entfachen? Diesen Fragen ging der SPD-Ortsverein Rottenburg zusammen mit Dieter Heidtmann, dem Kandidaten für das Europaparlament der SPD Südwürttemberg, im evangelischen Gemeindezentrum in Rottenburg nach. Nur knapp zwanzig Interessierte waren gekommen.

Die Vision des geeinten Europas, bereits 1950 von Robert Schuman propagiert, bröckelt, die innere Entwicklung stagniert. "Die ältere Generation kennt noch die Grenzen zwischen europäischen Ländern samt Passkontrollen und unterschiedlichen Währungen", sagte Erika Piscart, die selbst mit einem Franzosen verheiratet ist. "Die Jüngeren nehmen es oft selbstverständlich."

Zur Einstimmung zeigten die Genossen einen Kurzfilm, den zwei Schüler des Geschwister-Scholl-Gymnasiums in Stuttgart erstellt haben. Darin werden – basierend auf EU-Kommissionspräsident Jean-Claude Junckers Ausführungen – fünf Szenarien für Europa skizziert. Sie reichen vom Titanic-ähnlichen Untergang über verschiedene Zusammenarbeitsmodelle bis hin zum Aufstieg einer mit den USA vergleichbaren Supermacht.

Der evangelische Theologe Heidtmann hat sein Wahlbüro in Tübingen, wohnt aber in Stuttgart. Hauptberuflich hat er einige Zeit die evangelischen Kirchen gegenüber den europäischen Institutionen in Brüssel vertreten, heute leitet er den kirchlichen Dienst in der Arbeitswelt in Baden. Heidtmann pendelt dazu täglich nach Karlsruhe. Er gehört der SPD erst seit Mai 2018 wieder an, war aber von 1980 bis 1992 schon einmal in der Partei aktiv.

Heidtmann trat aus, als die SPD einer Grundgesetzänderung zustimmte, die das Asylrecht für politisch Verfolgte einschränkte. "Das konnte ich meinen eigenen Freunden nicht mehr erklären", berichtete der Theologe. Vergangenes Jahr sei er wieder beigetreten, um den allenthalben aufkommenden Populisten etwas entgegen zu setzen. Auf Platz 46 der SPD-Liste rangierend hat Heidtmann, wie er auf Nachfrage bestätigte, allerdings keine realistische Chance, ins Europäische Parlament einzuziehen. "Da müsste die SPD schon die absolute Mehrheit holen."

Der 56-Jährige stieg biographisch in seine geschliffene Rede ein. Seine persönliche Geschichte mit Europa, erzählte er, habe 1976 mit einem Schüleraustausch mit einer Schule im südfranzösischen Manosque begonnen. "Das war für uns Jugendliche tatsächlich ein Traum", erinnerte sich Heidtmann. "Nicht nur wegen der charmanten, französischen Schülerinnen."

Damals seien die französischen Einkaufsstraßen und Geschäfte noch anders gewesen als die deutschen. Als sein Austauschpartner erstmals nach Deutschland kam, war die Heidtmanns Großmutter nicht begeistert: "Sie wollte einen Franzosen auch noch in den 70er-Jahren nicht ins Haus lassen." Später habe sie sich aber doch geöffnet, wenngleich der Gedanke an den "Erbfeind" im Hinterkopf geblieben sei.

"Europa ist meine Leidenschaft", sagte Heidtmann. Er beschrieb den Traum der Vereinigten Staaten von Europa, der sich – wie von Anfang an klar war – nicht auf einen Schlag realisieren lasse. "Aber vom Traum hat sich viel mehr erfüllt, als zunächst vorstellbar war", machte Heidtmann den Anwesenden Mut. Denn Europa habe Frieden und Freiheit für alle gebracht. Momentan sei der Blick vor allem auf den stotternden Einigungsprozess, Finanz- und Wirtschaftskrisen und die Abschottung nach außen gerichtet. Dabei gerieten die Errungenschaften in den Hintergrund.

Am Beispiel der freitäglichen Schülerdemos gegen den Klimawandel erklärte Heidtmann: "Kein Nationalstaat kann in den großen Fragen mehr etwas alleine ausrichten." Er zitierte den früheren Kommissionspräsidenten Jaques Delors, der für eine europäische "Seele" plädiert hatte. Das sei, erklärte der Theologe, nicht christlich gemeint: "Es geht darum, welche Werte unsere Gesellschaft im Inneren zusammen halten." Als Beispiele für solche Werte nannte er Menschenwürde, Demokratie, Gleichheit, Freiheit, Menschenrechte, Toleranz, Solidarität und Gerechtigkeit. "Nationalisten in Ungarn, Polen und Italien richten sich gegen diesen Kern Europas", warnte Heidtmann. Er forderte daher, den gemeinsamen "Kulturraum" weiter zu leben. "Das heißt nicht, uns nach Süden hin abzugrenzen", erklärte Heidtmann mit Bezug auf die derzeitige Migration.

Vom bevorstehenden Austritt Großbritanniens aus der EU halteer wenig, teilte er auf Nachfrage mit: "Jetzt, wo allen klar ist, was das kostet, halte ich ein zweites Referendum für angebracht." Vor allem junge Briten, denen die "Zukunft gestohlen" werde, seien bei der ersten Abstimmung nicht zur Wahl gegangen und hätten eine zweite Chance verdient. "Wir sollten unsere Verantwortung für die Welt ernster nehmen und uns weniger mit uns selbst beschäftigen", sagte Heidtmann grundsätzlich. Er wünsche sich eine Stärkung der demokratischen Institutionen und eine auf internationaler Ebene handlungsfähigere EU. Heidtmann zitierte abschließend erneut Delors, nach dem die europäische Idee neue Begeisterung und "frische Luft" braucht.