Natur: Vogelart soll um Ergenzingen wieder vermehrt vorkommen / Hoffnung, dass Landwirte bei Projekt mitmachen
Richard Anhorn erzählt: "Noch vor drei Jahren hatte ich ein Gelege im Garten in der Öhmdhalde. Da habe ich die letzten Rebhühner durchgefüttert." Doch inzwischen ist der Bodenbrüter in Ergenzingen und auch in Starzach wissenschaftlich nicht mehr nachzuweisen. Kann man das Rebhuhn überhaupt noch retten?
Rottenburg-Ergenzingen. Das ist das brisante Thema in der "Zwitscherstunde" des Natur- und Vogelschutzvereins. Gut 40 Naturschützer und Profis der Kulturlandschaft sind die Gäste im Ergenzinger Sportheim: Hauptsächlich Landwirte und Jäger.
Karin Kilchling-Hink von den "Rebhuhn-Rettern" fand gleich den passenden Einstieg: Zeigt ein Kochbuch ihrer Großmutter mit Rebhuhn-Rezepten. Zitiert aus der jährlichen Jagdstrecke im Landkreis Tübingen – zwischen 1957 bis 1963 zwischen 300 und 600 Vögel. Die dann auf dem Teller gelandet sind. Die Biologin Kilchling-Hink: "Die Älteren kennen die Rebhühner noch. Es war normal, sie zum Abendessen zu schießen."
Heute undenkbar. Gab es 1980 noch 300 Reviere im Landkreis, 2005 nur noch 70 – im Starzacher Raum gar keins mehr. 2015 nur noch 33 Reviere. 2016 starteten dann die "Rebhuhn-Retter": Das Nabu-Vogelschutzzentrum Mössingen mit dem Verein Vielfalt, die Initiative Artenvielfalt Neckartal (IAN), das Landratsamt Tübingen und die Uni-Tübingen im sogenannten "Plenum"-Projekt. Offenbar in letzter Sekunde: Denn die Zahl der wissenschaftlich dokumentierten Reviere im Landkreis konnte jetzt erhöht werden. 2017 – im ersten Jahr – wurden 34 Reviere gezählt. Ein Jahr später waren es 50, in diesem Jahr 43.
Doch wie hat man das geschafft? Kilchlink-Hink: "Mit Streifen nach dem Göttinger Modell. Die müssen mindestens 20 Meter breit sein, müssen weit weg von Feldwegen, Straßen oder hohen Gehölzen sein. Die Feinde des Rebhuhns sind beispielsweise Raubvögel, die von oben lauern, wo sie die Vögel sehen." Auch Hunde, Spaziergänger oder Füchse sind die Feinde. Jäger Anhorn: "Wenn ich jetzt einen Fuchs sehe, den ich schießen will, brauch ich eine Genehmigung. Wenn ich die habe, ist der schon längst erwachsen und weg. Das müssen wir nach den neuesten Regelungen auch noch dokumentieren. Das macht keinen Spaß mehr – wir sind Jäger und keine Bürokraten."
Sabine Geissler-Strobel von der IAN: "Als Jäger können sie dieses Problem, so wird uns gesagt, mit Hilfe eines Hegerings lösen." Anhorn: "Bondorf hat schon versucht, einen Hegering einzurichten. Die sind an den Behörden gescheitert!"
Deshalb machen Kilchling-Hink und Thorsten Teichert von Vielfalt (dem Landschaftserhaltungsverband des Landkreises) Werbung für die "Rebhuhn-Streifen". Teichert: "Sie schließen einen Vertrag über fünf Jahre. Die Fläche darf in dieser Zeit nicht weiter bearbeitet werden – außer, dass eine Hälfte immer umgebrochen wird. Das hat den Sinn, dass dort in der umgebrochenen Fläche die Kinderstube der Rebhühner ist. Hier können sie sich im Sand baden in der nicht so dicht bewachsenen Fläche. In der anderen Fläche gibt es Altgras – ideal zum Brüten."
Teichert: "Für einen Hektar bekommen die Landwirte gut 940 Euro – das Saatgut ist umsonst. Ergenzingen hat zwar sehr gute Böden, aber ich denke, das könnte sich trotzdem lohnen." Fakt ist, so weist die Biologin anhand der Statistik nach: Dort, wo diese Rebhuhn-Streifen angelegt worden sind, ist die Zahl der dokumentierten Rebhuhnreviere von 16 auf 32 in 2018 und 30 in 2019 angestiegen. In Gebieten ohne Schutzstreifen ist die Zahl der Reviere von 18 auf 12 gesunken.
Doch würde sich das Anlegen von Schutzstreifen in Ergenzingen lohnen, obwohl hier wissenschaftlich kein Revier nachgewiesen wurde? Kilchling-Hink: "Definitiv. Es gibt einen einsamen Hahn südlich von Baisingen." Jäger Daniel Stopper, selbst ehrenamtlicher "Rebhuhn-Zähler" aus Ergenzingen: "Wir haben nur ein schmales Zeitfenster zwischen Ende Februar bis Ende April. Und auch nur in der Dämmerung, weil das Rebhuhn dort aktiv wird. Wir versuchen mit Attrappen zu erreichen, dass die Hähne antworten. Falls sie das tun, wird das dokumentiert." Kilchling-Hink: "Es gibt aber auch Hähne, die gar nicht antworten."
Ein Zuhörer erzählt, dass man in Ergenzingen in der Nähe der "Berghelden" in diesem Jahr drei Rebhühner gesehen hat. Stopper: "Das macht uns Mut. Wir hoffen, dass sich weitere ehrenamtliche Menschen für das Monitoring melden. Und wir sind dankbar, wenn uns solche Rebhuhn-Beobachtungen gemeldet werden – möglichst mit genauer Ortsangabe." Und die drei "Rebhuhn-Retter" Kilchling-Hink, Geissler-Strobel und Kollege Teichert hoffen, dass es den einen oder anderen Landwirt im Ergenzinger Raum gibt, der einen Schutzstreifen für die Rebhühner anlegt.
Ansprechpartner für Landwirte ist Thorsten Teichert. Er kann per E-Mail an T-teichert@vielfalt-kreis-tübingen.de kontaktiert werden. Die anderen Experten sind unter info@nabu-vogelschutzzentrum.de zu erreichen. Rebhuhn-Beobachtungen in Ergenzingen und Umgebung sollen an info@naturschutzergenzingen.de gesendet werden.