Gebäude der Universität Tübingen waren mehrfach Tatorte von Exhibitionisten. Foto: Begemann

Exhibitionismus ist verstörend und kann Opfer traumatisieren: In der Gegend um Rottenburg ereigneten sich mehrere Fälle.

Rottenburg/Tübingen - Starzach, Ergenzingen, Tübingen, Oberjettingen: An diesen Orten in der Region Rottenburg kam es in diesem Sommer zu drei Fällen von Exhibitionismus und einem ähnlich gelagerten Fall von mutmaßlichem sexuellem Missbrauch eines Kindes. 

In der Region sind die Exhibitionismus-Fälle seit Jahren ein Thema, das die Polizei beschäftigt. Tatverdächtige gibt es kaum, Tatorte und Opfer sind unterschiedlich, Muster sind selten zu erkennen. -

Die Fälle in diesem Sommer

Dienstag, 23. August: Wegen des Verdachts des sexuellen Missbrauchs eines Kindes hat die Kriminalpolizei gegen einen 69-Jährigen Ermittlungen eingeleitet. Der Mann soll gegen 16.30 Uhr in der Sammeldusche des Tübinger Freibads vor einem sieben Jahre alten Jungen onaniert haben. Der 69-Jährige wurde zunächst vorläufig festgenommen, danach freigelassen.

24. Juli: Auf einem Spielplatz am Kiefernweg in Starzach-Wachendorf ist laut Polizei ein Exhibitionist aufgetreten. Die Eltern eines neunjährigen Mädchens und ihres siebenjährigen Begleiters teilten mit, dass sich gegen 18.10 Uhr ein Mann am Spielplatz vor den Kindern ausgezogen und sein entblößtes Glied gezeigt habe.

21. Juni: Ein Unbekannter sitzt gegen 17 Uhr in der Regionalbahn von Böblingen in Richtung Freudenstadt. Ihm gegenüber fuhr eine 22-Jährige mit. Kurz vor dem Halt in Ergenzingen musste der Zug bremsen, wodurch der Rucksack auf dem Schoß des Unbekannten verrutschte. Die Frau konnte so den entblößten Unterleib des Mannes sehen und verließ ihren Platz.

17. Juni: In Oberjettingen war ein Unbekannter als Exhibitionist auf einem Einkaufsmarktparkplatz unterwegs. Zwei 21-jährige Frauen hatten sich, wie der Tatverdächtige auch, zuvor auf einer Liegewiese am Stausee aufgehalten. Als die Frauen gegen 20.45 Uhr zu ihrem in der Grosselfinger Straße geparkten Fahrzeug liefen, entdeckten sie den offenbar onanierenden Mann in einem nahegelegenen Gebüsch. Dieser entfernte sich anschließend in Richtung Ortsausgang und fuhr mit einem weißen Kleinwagen davon.

Ältere Fälle in Uni-Gebäuden

In den vergangenen Jahren kam es in der Region immer wieder zu Fällen von Exhibitionismus. Schwerpunkte gab es in Tübingen, wo die Polizei bis heute den "Brechtbau-Exhibitionisten" sucht, der seine Taten im gleichnamigen Gebäude der Universität verübte. Auch andere Orte der Uni waren betroffen. Gut versteckt hatte sich beispielsweise ein Exhibitionist am 17. Oktober 2018: Der 25 bis 30 Jahre alten Mann soll sich am Mittwochvormittag im Theologicum in der Liebermeisterstraße vor einer jungen Frau entblößt und onaniert haben. Die 21-jährige Studentin bemerkte gegen 10.30 Uhr in der Bibliothek, dass sie durch einen Spalt in einer Trennwand beobachtet wurde. Unmittelbar darauf trat ein Mann mit geöffneter Hose hinter der Trennwand hervor und onanierte vor der Studentin. Dann flüchtete er in unbekannte Richtung.

Immer wieder war die Uni Tatort. Der Brechtbau-Täter schlug am 10. Juni 2020 zu: Einer Zeugin fiel laut Polizei gegen 10.30 Uhr ein am Eingang des Brechtbau-Cafés stehender Mann auf, der den Reißverschluss seiner Hose geöffnet hatte und an seinem Glied manipulierte. Als der Exhibitionist die Zeugin bemerkte, flüchtete er durchs Treppenhaus in den Keller des Gebäudes.

In der Landschaft aufgelauert

Doch nicht nur junge Frauen sind die Opfer, wie ein Fall vom 20. Juni 2018 zeigt: Um kurz nach 11 Uhr parkte ein 67-jähriger Mann seinen Wagen auf einem Platz am Waldweg in der Verlängerung der Alten Rottenburger Straße in Richtung Dettingen. Als er ausstieg, so berichtet die Polizei, sah der 67-Jährige einen Mann auf einem Fahrrad, der ebenfalls auf dem Waldweg unterwegs war und ihn anstarrte. Kurz darauf tauchte der Radler wieder auf, starrte den 67-Jährigen wieder an, öffnete nun vor ihm seine Hose und entblößte sich.

Tatort Zug

Manchen Tätern (es sind in der Regel Männer) ist es offenbar egal, ob sich nach ihrer Tat fliehen können. Sie schrecken nicht davor zurück, sich in Zügen zu entblößen. Ende Mai 2021 hat sich in der Regionalbahn 6 auf der Strecke Stuttgart - Tübingen - Horb zwischen den Bahnhöfen Eyach und Mühlen bei Horb ein zirka 25 Jahre alter Mann vor einer Jugendlichen im Zug befriedigt. Die Jugendliche hatte in einer Doppelsitzreihe Platz genommen, als sich der Täter in der daneben befindlichen Sitzreihe niederließ. Anschließend führte der Unbekannte sexuelle Handlungen an sich durch, woraufhin die Jugendliche aufstand und am Bahnhof Mühlen ausstieg.

Tatort Spielplatz

Auch bei Spielplätzen lassen sich immer wieder Exhibitionisten blicken. So auch am 10. September 2021 in Horb-Talheim: Der Tatverdächtige soll sich gegen 16.30 Uhr in der Forellenstraße an der Rückseite des Feuerwehrhauses aufgehalten und in Sichtweite zweier Mädchen sexuelle Handlungen an sich durchgeführt haben. Dabei soll er auch ein Mobiltelefon in der Hand gehalten haben. Die beiden Kinder waren den Nachmittag über mit ihren Fahrrädern die Forellenstraße auf und ab gefahren, als sie auf den Unbekannten stießen.

Sind die Täter psychisch krank?

Dass Exhibitionist nicht gleich Exhibitionist ist, zeigen 2018 vier Vorfälle in Rottweil, Schramberg, Bisingen und Geislingen. Bei drei Vorkommnissen genügte dem jeweiligen Mann wohl das Erschrecken. Bei dem Vorfall in Bisingen masturbierte der ältere Mann jedoch auch in der Öffentlichkeit.

2020 haben sich die Meldungen über Exhibitionisten gehäuft, beispielsweise in Oberndorf, Bad Dürrheim, Freudenstadt und Rottweil. schwarzwaelder-bote.de hat nachgefragt, wie dieses Phänomen zu erklären ist. Da es immer wieder zu Häufungen von exhibitionistischen Vorfällen kommt, hat sich schwarzwaelder-bote.de bereits 2018 bei der Psychologin Ingrid Rothe-Kirchberger nach der klinischen Komponente des Phänomens erkundigt. Beim Krankheitsbild des Exhibitionismus handelt es sich laut der Expertin um eine Paraphilie, einer Abweichung vom "normalen" Sexualverhalten. Zwar unterscheide sich die Krankheit in ihrer konkreten Ausprägung oft von Fall zu Fall, habe jedoch stets eines gemeinsam: Die Angst des Opfers dient als Quelle der sexuellen Stimulation. Bei den Tätern gehe oft ein gestörtes Selbstwert-Bewusstsein, sexuelle Vernachlässigung oder Gewalt voran.

Sexueller Missbrauch

Der aktuelle Fall im Tübinger Freibad wiegt besonders schwer. Laut Polizeisprecher Christian Wörner handelt es sich nicht "nur" um Exhibitionismus. Weil die Straftat gegenüber einem Kind stattgefunden hat, ermittelt die Polizei gegen den Beschuldigten wegen des Verdachts des sexuellen Missbrauchs von Kindern. "Fälle des Exhibitionismus haben wir in allen vier Landkreisen unseres Zuständigkeitsbereich", so Wörner.

Die Serie an der Uni Tübingen in den Jahren 2016 bis etwa 2019 mit ihren zirka 17 Fällen sei auffällig gewesen, weil der unbekannte Täter immer wieder am Brechtbau auftauchte. "Die ähnlichen Personenbeschreibungen ließen vermuten, dass es sich stets um ein und denselben Täter handeln könnte. Dieser konnte bislang nicht ermittelt werden."

Anzahl der Fälle schwankt

"Die Anzahl der Fälle schwankt immer wieder", so Wörner. "In den kalten Wintermonaten weniger, in den warmen Sommermonaten mehr." Von den Zahlen her seien diese Schwankungen üblich, doch das Wort "üblich" sei unpassend.

Wörner: "Jede dieser Straftaten ist für die Opfer belastend und eine Straftat zuviel und wir gehen jeder Anzeige mit der gebotenen Gründlichkeit und Sorgfalt nach. Signifikante Häufungen wie damals in Tübingen verzeichnen wir derzeit noch nicht."

Zu dem Fall in Starzach ermittelt die Kriminalpolizei ebenfalls wegen des Verdachts des sexuellen Missbrauchs von Kindern. Bislang ohne Erkenntnisse.

Wie sollen sich Opfer verhalten?

Bei dieser Art von Straftaten kann auch das Verhalten des Opfers einen Beitrag zur Ermittlung des Täter leisten. Daher rät die Polizei:

Tat möglichst ignorieren: Von Exhibitionisten keine Notiz nehmen.

Betroffene sollten zügig weitergehen und unverzüglich über den Notruf 110 die Polizei verständigen.

Keine Panik zeigen: Es gilt, Ruhe zu bewahren und sich möglichst normal zu verhalten. Am besten ist es, die Person zu beobachten und zu schauen, wo sie hingeht. Eventuell ist es sogar möglich, über Notruf laufend den ständigen aktuellen Standort durchzugeben, bis die Polizei vor Ort eintrifft.

Klartext reden und Hilfe suchen: Sollte der Täter auf einen zukommen, ihm klarmachen, dass er das Unterlassen soll und androhen, die Polizei anzurufen. Befinden sich Personen in der Nähe, diese konkret ansprechen, zum Ausdruck bringen, dass man belästigt wird und um Hilfe bitten.

Aufmerksam bleiben: Weiterhin sollte man sich äußerliche Tätermerkmale wie Alter, Statur, Körpergröße, Haarfarbe, Farbe und Art der Kleidung oder andere Auffälligkeiten merken, um der Polizei im Nachhinein eine möglichst genaue Personenbeschreibung zu liefern.