Diese Betten einer Intensivstation in Indien zeigen, wie schwer es gelingen wird, dort hygienische Mindeststandards umzusetzen. Foto: DRS Foto: Schwarzwälder Bote

Interview: Leiter der Hauptabteilung "Weltkirche" im Bischöflichen Ordinariat hofft angesichts der Corona-Krise auf ein Umdenken

Rottenburg. Heinz Detlef Stäps ist Leiter der Hauptabteilung "Weltkirche" im Bischöflichen Ordinariat und damit für die weltweite Auslands- und Katastrophenhilfe der Diözese Rottenburg-Stuttgart zuständig. Im Interview spricht er über seine Sorgen und Hoffnungen im Zusammenhang mit der Corona-Pandemie.

Derzeit erleben wir, welche Auswirkungen das Coronavirus auf die wohlhabenden Industrieländer hat. Sorgt es Sie, welche Folgen die Pandemie noch auf die Länder des Südens haben wird?

Ich sage Ihnen ganz ehrlich: Ich habe große Angst. Ich habe große Angst, dass das, was nun auf uns zurollt und was uns große Sorgen macht, nichts ist im Vergleich zu dem, was sich in den Slums von Kenia, Indien oder Brasilien anbahnt. Wir leben mit hohen hygienischen Standards, wir können uns in die eigenen Wohnungen und Häuser zurückziehen, wir haben fließendes Wasser und ausreichend Nahrung. All das gibt es aber bei den Ärmsten der Armen nicht. Wenn dort das Virus einmal Einzug gehalten hat, wird er unzählige vollkommen ungeschützte Menschen dahinraffen. Hinzu kommt, dass viele, welche dort eine Familie ernähren müssen, Tagelöhner sind und schon längst durch die Krise ihre Einkommen verloren haben; da gibt es keinen Staat, der rettend für sie einspringt, sie wissen nicht, wie sie morgen ihre Kinder durchbringen sollen.

Was bedeutet Corona für die Entwicklungszusammenarbeit?

Es ist offensichtlich, dass die derzeitige Krise dazu beitragen wird, dass die Länder des Südens noch viel mehr vom reichen Norden abhängig werden. Sie haben gar keine Chance, aus eigenen Kräften aus der Misere wieder herauszukommen. Die vielen kleinen hoffnungsvollen Projekte, wo Menschen im Süden ihre eigenen Einkommen erwirtschaften konnten und auf eigenen Füßen zu stehen lernten, werden in sich zusammenbrechen. Wir werden die Krise in Deutschland relativ gut überstehen, da bin ich mir sicher. Aber das gilt nicht für die Länder des Südens, wo die Arbeitnehmer nicht durch ein Arbeitsrecht geschützt werden, wo es keine Kurzarbeit gibt oder andere Unterstützungsmaßnahmen.

Immer wieder wird in diesen Tagen die Notwendigkeit des Zusammenstehens betont. Was bedeutet Ihnen das aus einer weltkirchlichen Perspektive heraus?

In der Krise hat sich leider gezeigt, dass auf nationaler Ebene selbst in Europa jeder doch sich selbst der Nächste ist. Nach der Krise wird sich zeigen, ob wir bereit und in der Lage sind, das, was wir erneut erreicht haben, mit denen zu teilen, die überhaupt keine Chance hatten, einen solchen Weg ebenfalls zu gehen. Und für mich ist es selbstverständlich, dass wir zu einer Zeit, in der die ganze Welt gegen einen unsichtbaren Feind kämpft, alle Feindschaften und kriegerischen Auseinandersetzungen untereinander beenden müssen, um unsere Kräfte zu bündeln und gemeinsam die Krise zu bewältigen.

Ihre Hauptabteilung hilft weltweit. Wie sind die Rückmeldungen, die Sie in diesen Tagen von Ihren Projektpartnern erhalten?

In unseren weltkirchlichen Partnerschaften registrieren wir sehr genau, was sich nun verändert. Im Moment erreichen uns immer weniger Anfragen unserer Projektpartner, weil diese, über den ganzen Globus verteilt, nun durch Ausgangssperren und andere Maßnahmen auf sich selbst zurückgeworfen werden und sich neu ausrichten müssen, wie wir es ja auch machen mussten: Wie funktioniert Pastoral unter diesen neuen Umständen? Wie kann Kirche den Menschen trotzdem nahe bleiben? Wie können wir gerade den Ärmsten helfen, die nun in ihrer nackten Existenz bedroht sind? Wir werden vermutlich viele gute Projekte, die jetzt starten sollten, zumindest zum derzeitigen Zeitpunkt nicht durchführen können, weil die Voraussetzungen dafür vor Ort nicht gegeben sind.

Was wird besonders gebraucht?

Von uns wird Hilfe erwartet wenn es darum geht, Krankenstationen auszubauen, Intensivpflege zu ermöglichen, Beatmungsgeräte zu kaufen, Schutzkleidung und Desinfektionsmittel zu besorgen, aber auch dafür zu sorgen, dass die Menschen Zugang zu Trinkwasser erhalten, Lebensmittel zu verteilen, Hygienestandards einzuziehen und Menschen in diesen Belangen auszubilden und zu trainieren. Wir stehen für diese Hilfe bereit.

Wie schätzen Sie die Entwicklung in diesem Zusammenhang ein?

Die Welle ist bisher nur abzusehen, aber sie wird kommen. Wir müssen schnell und ohne bürokratische Hürden in dieser Krisensituation helfen, aber wir müssen auch die langfristige Perspektive im Blick behalten und unseren Partnern helfen, die eigenen Kräfte wieder zu aktivieren.

Konkret steht vor allem die Situat ion der Flüchtlinge in Griechenland und Syrien im Fokus der Öffentlichkeit. Was sollte aus Ihrer Sicht getan werden, um dort einer humanitärer Katastrophe vorzubeugen?

Die Lage der Menschen in den Flüchtlingscamps ist ganz besonders prekär, nicht nur in Griechenland und Syrien. Hier sind Verbesserungen der Hygienebedingungen, eine ausreichende Lebensmittelversorgung und wirksame Präventionsarbeit dringend erforderlich. Sicherlich werden wir in diesen Punkten unsere bewährte Zusammenarbeit mit Caritas International in Freiburg intensivieren, da von dort aus gut eingespielte Kanäle zu den Caritasstrukturen in den jeweiligen Ländern genutzt werden können.

Papst Franziskus sprach in seiner Predigt auf dem leeren Petersplatz vom kranken Planeten und rief uns dazu auf, unseren Lebensstil zu ändern. Denken Sie, dass die Corona-Krise ein Umdenken in Gang setzen kann?

Meine große Hoffnung ist, dass die derzeitige Krise ein wirkliches Umdenken bei uns bewirkt, bei den Politikerinnen und Politikern, bei den Wirtschaftslenkern, aber auch bei jedem und jeder einzelnen von uns. Wir müssen viel mehr auf die Gesundheit unseres Planeten und seiner vielen Menschen achten, es kann nicht weiter darum gehen, den eigenen Gewinn zu maximieren und den eigenen Lebensstandard auszubauen auf Kosten der Menschen in anderen Teilen der Welt. Wir müssen lernen, dass unsere Art zu leben, zu wirtschaften, zu reisen und Ressourcen zu gebrauchen einen noch viel höheren Effekt auf der anderen Seite des Globus hat und uns entsprechend zu verändern. In der derzeitigen Krise sehen wir, zu welchen Einschränkungen wir fähig sind, um das Wohl aller zu schützen. Wenn die Krise in unseren Köpfen einen Perspektivwechsel nach sich ziehen würde, so könnten wir ihr im Nachhinein immerhin eine gute Seite abgewinnen. Mir geht in diesen Tagen immer wieder ein Satz des indischen Pazifisten Mahatma Gandhi durch den Kopf: "Sei du selbst der Wandel, den du in der Welt sehen willst."