Die künftige Gewerbestrategie der Stadt Rottenburg bewegt den Gemeinderat. Unser Foto zeigt Ergenzingen, wo eines der wichtigsten Industriegebiete Rottenburgs liegt. Archiv-Foto: Hopp Foto: Schwarzwälder Bote

Kommunales: Erste öffentliche Debatte im Gemeinderat / Zahlreiche Einwohner verfolgen Sitzung

Hoch her ging es in der öffentlichen Debatte des Rottenburger Gemeinderats um das Strategie- und Handlungsprogramm für die Wirtschaftsflächen.

Rottenburg. Nach mehreren Diskussionen um neue Gewerbegebiete in Ortschaftsratssitzungen und in Informationsveranstaltungen ging das Thema zum ersten Mal in eine öffentliche Sitzung des Rottenburger Gemeinderats. Man wollte allen Fraktionen die Gelegenheit geben, sich nochmals intensiv mit dem Entwurf dieses Planes auseinander zu setzten, Fragen zu stellen und ihre Meinung hierzu zu formulieren.

Bevor es jedoch soweit war, wurde bereits im Rahmen der Bürgerfragestunde dieses Thema, vor allem von Einwohnern aus dem Ortsteil Kiebingen, thematisiert. Einer der Fragesteller hatte recherchiert, dass weltweit täglich 90 Hektar Ackerflächen unwiederbringlich verbaut würden. "Das reicht jetzt gerade mal noch für 500 Jahre, dann haben wir unsere Erde zubetoniert", lautete seine Schlussfolgerung. Er wollte wissen, ob die Stadtverwaltung einer Begrenzung des Flächenverbrauchs zustimmt und was die Stadtspitze hierfür bereits getan habe und wann sie eine Wende einleiten werde. Oberbürgermeister Stephan Neher merkte hierzu an, dass Rottenburg eine "Vorbildkommune" in Baden-Württemberg sei, und trotzdem müsse die Stadt auch auf Wachstum setzen. "Wir können den Unternehmen nicht vorschreiben, wo sie sich ansiedeln wollen. Doch wohnen und arbeiten zu zivilen Preisen muss möglich sein."

Eine Kiebingerin erinnerte daran, dass der Ortschaftsrat eine Gewerbeansiedlung einstimmig abgelehnt hat und dass keine Grundstücksbesitzer bereit seien, dort ihre Flächen zu verkaufen. Das Motto der Gartenschau-Bewerbung – "Ich glaube, hier blüht uns was" – könne ihrer Ansicht "auch ganz anders interpretiert" werden. Der OB konterte, dass die Stadt die Meinungsfindung zu diesem heiklen Thema auf eine breite Basis stellen wolle, doch letztendlich zähle am Ende das Votum des Gemeinderats, der alle Für und Wider genau abwägen werde.

Seit 1992 ist die Stadt nun schon an diesem Thema dran. Immer wieder wurden Gutachten erstellt, verworfen, neu überdacht, und jetzt scheint man sich auf einen Konsens einigen zu können, gab Bürgermeister Hendrik Bednarz zu bedenken.

Julia Bubbel von dem beauftragten Institut "Imakomm Akademie GmbH" aus Aalen fasste die relevanten Punkte ihres Gutachtens nochmals in Kurzform für das Gremium zusammen, aber auch für die vielen interessierten Bürger, die den Sitzungssaal restlos füllten. Sie hob hervor, dass Rottenburg eine hohe Auspendlerquote und bezogen auf die Stadtgröße geringe Beschäftigtenzahlen aufweise, so dass einer weiteren Stärkung des Wirtschaftsstandortes, unter anderem über eine entsprechende Flächenentwicklung, eine hohe Priorität zukomme. Ziele ihres Gutachtens seien die Erarbeitung eines qualifizierten Bedarfsnachweises zur künftigen Flächenentwicklung sowie die Erarbeitung eines Flächenkonzepts.

In bestehenden Gewerbegebieten stünden derzeit noch etwa 19,5 Hektar Fläche zur Verfügung. Diese verteilten sich allerdings nicht gleichmäßig über das Stadtgebiet und seien auch nicht in allen Fällen kurzfristig verfügbar. "Insgesamt ist das noch vorhandene Angebot an Gewerbeflächen also eingeschränkt, und in der Kernstadt sind kaum noch Flächen gegeben", so die aktuelle Bestandsaufnahme.

Wo sollen die Interessenten also hin? Bedarf ist auf jeden Fall gegeben. Laut Verwaltung gab es 139 konkreten Anfragen im Zeitraum von 2014 bis 2017. 80 bis 85 Hektar Gewerbefläche hätte die Stadt vergeben können. Das Hauptinteresse lag dabei auf einer Ansiedlung in Ergenzingen. Es bestehe also ein Nachfrageüberhang.

Eine vom Gutachten gestartete Unternehmerbefragung ergab, dass 45 Prozent der Firmen in den nächsten fünf Jahren expandieren wollen. Fehlende Grundstücksreserven sowie nicht ausreichende Parkmöglichkeiten machen dies jedoch schwer. Ebenfalls ergab die Umfrage, dass überwiegend Lager- und Produktionsflächen nachgefragt werden.

Die Diskussion und der Austausch von Sachargumenten nahm in der fünfstündigen Mammutsitzung des Rottenburger Gemeinderates den größten Zeitblock in Anspruch. Die Fraktion der Grünen reichte vier Anträge ein (Info). Eine Entscheidung fiel nicht. Die Abstimmung über das Gewerbegebiet ist für den 20. März geplant.

 Antrag eins: Neues Kernstädtisches Gewerbegebiet auf 3,5 Hektar im Bereich "Unter der Straße" bei Kiebingen begrenzen. Als Gewerbefläche für den Typ II (zentral/flexibel) soll die Fläche "Unter der Straße" im Umfang von 3,5 Hektar entwickelt werden. Die Entwicklung der Flächen im Gebiet Ähneshalde/Oberes Feld und Herdweg/Galgenfeld wird nicht weiter verfolgt.

 Antrag zwei: Grundstücksverkäufe nur an Unternehmen, die ein Nachhaltigkeitskonzept vorlegen.

 Antrag drei: Anreizprogramm "Innenentwicklung gestalten für Gewerbetreibende" auflegen.

 Antrag vier: Erfassung von brachliegenden Gewerbegrundstücken, deren Eigentümer kein Unternehmen führen. Eine ausführliche Begründung der Anträge wurde in schriftlicher Form vorgelegt.

(pm). Für Lagerflächen sind Emanuel Peter von "Die Linke" Natur und wertvolle Ackerböden "zu schade". Er und sein Fraktionskollege Christian Hörburger lehnen das 133-seitige Konzept- und Strategiepapier ab. Hörburger sprach von einem "Gefälligkeitsgutachten", das auf "sehr fragilen Erkenntnissen" beruhe. Wegen der vielen bunten Fähnchen, die man zur Standortbestimmung in Kiebingen bei der dortigen Sitzung an die Karte pinnte, werte er das Ganze als eine Art "folkloristischen Beitrag". Peter gab zu bedenken: "Morgens schlagen wir die Zeitung auf und lesen vom Untergang irgend einer Insel im Pazifik. Mittags gehen wir in den Weltladen einkaufen und abends marschieren wir froh gelaunt in die Gemeinderatssitzung und stimmen über ein neues Gewerbegebiet ab." Das passe nicht zusammen. Rottenburg sei von einem demokratischen Handeln in Bezug auf Gewerbegebiete weit entfernt.

Nehle Bälz von der "Ja-Partei" entgegnete ihrem Vorredner, dass "Polemik dieser Art völlig fehl am Platze" sei. "Nur zu sagen, was die Leute hören wollen, das ist zu einfach." Ihre Fraktion stimme in der nächsten Sitzung für das neue Konzept. Trotzdem gab sie zu bedenken, dass die Situation in Kiebingen "problematisch" sei und man sich jeden Schritt "genau überlegen" müsse. "Doch die ideale Fläche wird es sicher nirgends geben", so Bälz. Sie gab auch zu bedenken, dass der Ortschaftsrat Kiebingen "derzeit keinen leichten Stand" hat und das Vertrauen in den Gesamtgemeinderat "wieder aufgebaut" werden müsse. "Stimmungsmache bringt aber gar nichts", so ihr Appell an den Gemeinderat.

Auch die SPD zeigte sich von der Neuentwicklung von Gewerbeflächen überzeugt. "Für die Zukunft Rottenburgs neue Flächen zu entwickeln, ist immens wichtig, macht aber die Entscheidung schwer." Die Sozialdemokraten betonten, dass sie nicht nur der kommenden Generation eine intakte Natur, sondern auch Arbeits- und Ausbildungsmöglichkeiten bieten müssen.

Horst Schuh, Sprecher der CDU-Fraktion zu diesem Thema, bedankte sich für den interessanten Bericht, den er in der Zwischenzeit schon sechsmal gehört habe. Seine Meinung: "Wir sind auf dem richtigen Weg." Als "Top-Adressen" sind das Flugfeld Baisingen und das Industriegebiet Ergenzingen genannt. Zudem ist er der Ansicht, dass für eine Neuentwicklung der Herdweg die wenigsten Probleme machen wird.

Die "Grünen" um Fraktionsvorsitzende Ursula Clauß sind hingegen der Meinung, dass man sich nicht auf dieses Gutachten verlassen solle. Als "konstruktiven Beitrag" hat die Fraktion zu diesem Themenbereich vier Anträge formuliert (Info).

Peter Cuno von der "Wir"-Fraktion wertete das vorliegende Strategiepapier als "fundiertes Gutachten". Dem Gutachten eine Alibifunktion vorzuwerfen, sieht er "schlicht als frech" an, so seine Rüge in die Ecke der "Linken". Für ihn stelle sich jedoch die Frage, warum eine Stadt wie Rottenburg sein kernstädtisches Gewerbegebietsproblem nicht in den Griff bekommt. Seiner Einschätzung nach wird "die Suppe von einigen Räten jedoch heißer gekocht als sie gegessen" werde. "Wir haben doch die gesamte Planungshoheit, wir haben doch jede Entscheidung im Griff", so sein Hinweis an anderen Ratsmitglieder. Er empfahl, die Angelegenheit mit etwas mehr Ruhe anzugehen.

Die Kollegen von der FDP fassten sich kurz. Ihr Fraktionsvorsitzender Alfons Heberle stellte schlicht fest, dass die Freidemokraten für eine Gewerbegebietsausweitung sind.