Bildung: Podiumsdiskussion befasst sich mit muttersprachlichem Unterricht / Mehr Personal an Schulen erforderlich
Migration und Sprache ist ein Dauerthema in unserer Gesellschaft. Wie lernen Schüler mit Migrationshintergrund am besten Deutsch? Wie wichtig ist die Muttersprache dabei? Und: Ist es ein Vorteil, mehrsprachig zu sein? Das waren Schlüsselfragen bei einer Podiumsdiskussion in Ergenzingen.
Rottenburg-Ergenzingen. "Mehrsprachigkeit in der Familie und der Schule – Potenziale und Herausforderungen" lautete der Titel der Veranstaltung im Adolph-Kolping-Saal in Ergenzingen, zu der der Integrationsbeirat der Stadt geladen hatte.
In einem einführenden Referat räumte Stefan Jeuk, Professor an der pädagogischen Hochschule Ludwigsburg, erst einmal mit einigen Vorurteilen auf. Leider werde Mehrsprachigkeit von Schülern mit Migrationshintergrund noch heute häufig als Nachteil, ja mitunter gar "als negativ" gesehen. Überhaupt herrsche an heutigen Schulen noch immer der sogenannte monolinguale Habitus – das heißt Fremdsprachigkeit von Schülern werde als Problem für die Integration angesehen. Dabei müsse man anerkennen, dass bereits heute rund 40 Prozent der Schüler mehrsprachig unterwegs seien.
Natürlich seien Schüler, die zu Hause Türkisch, Arabisch oder Polnisch sprechen, in der Schule zunächst einmal im Nachteil. Doch es gelte auch: "Die Erstsprache ist wichtig für das Erlernen einer zweiten Sprache." Dabei gehe es im muttersprachlichen Unterricht nicht darum, etwa das alltägliche Umgangstürkisch zu lernen, das in der Familie gesprochen wird, sondern um Türkisch als Bildungssprache.
Generell meinte der Experte: Die "Wertschätzung von Mehrsprachigkeit" lasse an Schulen des Landes noch zu wünschen übrig. "Da ist noch Luft nach oben."
Entscheidend für die Bereitschaft und die Fähigkeit, Deutsch zu lernen, sei aber die soziale Lage im Elternhaus. "Kinder in schwierigen sozialen Lagen sind oft nicht gut in Deutsch." Überhaupt, es brauche Zeit und Geduld, niemand lernt eine Sprache mal eben schnell nebenbei. "Es braucht sechs bis acht Jahre, bis Menschen eine fremde Sprache muttersprachig können."
Jugendliche berichtet: "Ich habe da nur positive Erfahrungen"
Edina Kahrimanovic, eine junge Schülerin aus Rottenburg, die an ihrer Schule auch auf Bosnisch unterrichtet wird, brach eine Lanze für den muttersprachlichen Unterricht. "Ich habe da nur positive Erfahrungen." Entscheidend dabei sei, dass sie nicht das "Alltagsbosnisch" lernt, sondern es gehe um ein Bosnisch "auf einem ganz anderen Niveau". Eben als Bildungssprache – ganz so, wie auch Deutsch an der Schule als Bildungssprache vermittelt werden sollte. Einziger Nachteil, so die Schülerin: Die zwei Stunden Zusatzunterricht fielen meist auf Freitagnachmittag, wenn andere Schüler schon Freizeit hätten, das sei irgendwie nicht so günstig.
Für mehr Anerkennung und stärkere Wertschätzung der Mehrsprachigkeit plädierte auch Isabel Platz, Lehrerin am Paul-Klee-Gymnasium Rottenburg. "Mehrsprachigkeit ist mir unwahrscheinlich wichtig." Angesichts der Wirklichkeit in unserer Gesellschaft, komme es darauf an, "Vielfalt zu akzeptieren".
In ihrer Klasse würden zwölf Sprachen gesprochen, berichtet die Lehrerin. Wenn sie mitunter die Schüler frage: "Was heißt das denn in Euer Sprache?", dann erscheine sofort "ein Strahlen auf den Gesichtern der Kinder". "Mehrsprachigkeit ist so viel mehr als nur eine Sprache", Kinder mit Migrationshintergrund und aus schwierigen sozialen Lagen könnten so auch emotional stabilisiert werden. "Muttersprachlicher Unterricht ist der Raum, wo sie zeigen können, dass sie etwas können." Allerdings, das machte die Gymnasiallehrerin mit Nachdruck deutlich: "Mehrsprachigkeit fördern braucht Personal." Und es dürfe sich nicht "um ein Strohfeuer handeln."
Dass aber Ressourcen und Personal an Schulen knapp sind, darauf verwies Roland Hocker vom Schulamt Tübingen. "Wir haben zur Zeit noch Lehrermangel, tut mir leid. Da müssen uns noch Lösungen einfallen." Hinzu komme, dass die Corona-Pandemie die Lage an den Schulen zusätzlich verschärfe. Es gehe in Sachen Mehrsprachigkeit an Schulen daher nicht nur um Personal, sondern auch um eine neue Haltung von Schulpersonal. "Der Lehrermangel wird uns noch einige Jahre begleiten."
Darauf wandte Stefan Jeuk ein: Es habe schon früher Versäumnisse in Sachen Mehrsprachigkeit gegeben, man könne nicht alles mit dem Lehrermangel entschuldigen.
Für eine entschiedene Förderung des muttersprachlichen Unterrichts setzte sich auch Ümit Kapti vom Türkischen Konsulat Stuttgart ein. Mutter- oder Herkunftssprache seien zu fördern, damit Schüler mit Migrationshintergrund "eine Basis haben". Das mache das Lernen der Deutschen Sprache sehr viel einfacher. "Es geht dabei nicht nur um die türkische Sprache, sondern auch um die türkische Kultur."
Der Integrationsbeirat, der zur Podiumsdiskussion geladen hatte, ist ein Gremium, das die Belange von Rottenburgern mit Flucht- und Migrationserfahrung gegenüber der Verwaltung und der Politik vertritt. Im Oktober finden wieder Wahlen für das Gremium statt, das allerdings lediglich beratende Funktion hat. Interessierte Rottenburger mit Migrationshintergrund könnten sich bis Ende September für einen Sitz im Gremium bewerben, heißt es.