Beim Bürgerdialog in Ergenzingen: Baubürgermeister Thomas Weigel (von links), Finanzbürgermeister Hendrik Bednarz und Oberbürgermeister Stephan Neher sowie Angelika Bentfeld vom Aktionsbündnis (rechts, Mitte) Foto: Lück Foto: Schwarzwälder Bote

Stadtgespräch: Klartext zum Flächenverbrauch gefordert / Neher: "Wer fragt die Bürger so früh wie wir?"

Drei Bürgermeister in der Mangel: Rottenburgs OB Stephan Neher, Finanzbürgermeister Hendrik Bednarz und Baubürgermeister Thomas Weigel stellten sich im DRK-Heim Ergenzingen den Fragen von mehr als 100 Bürgern.

Rottenburg-Ergenzingen. Wut, Unverständnis, aber auch Kooperationsangebote. Teilweise sieht es so aus, als ob die drei Bürgermeister (Weigel kam später), auf der Anklagebank sitzen. Kein Wunder.

Hatte das Aktionsbündnis vor dem Kiebinger Bürgerentscheid am 21. Oktober vergangenen Jahres doch gefordert, dass dieser Bürgerdialog eigentlich vor dem Bürgerentscheid geführt wird. Und die 60 Fragen aus dem Aktionsbündnis schon damals beantwortet werden. 191 Tage später kommt es endlich dazu. Deshalb steckt bei einigen aus dem Aktionsbündnis schon jede Menge Wut im Bauch.

OB Stephan Neher rechtfertigt sich: "Wir Bürgermeister sind an sechs Tagen fast rund um die Uhr im Einsatz. Da ist es schwierig, einen Termin zu finden. Schon jetzt haben wir Probleme, gemeinsame Termine im November zu finden." Angelika Bentfeld vom "Aktionsbündnis für nachhaltige Entwicklung" sagt: "Jetzt findet der Bürgerdialog vor der Kommunalwahl statt. Das ist auch nicht so schlecht."

Erstes Thema: das Wachstum-Credo. Braucht es wirklich neue Gewerbegebiete und neuen Flächenverbrauch?

Wirtschaftsbürgermeister Bednarz erklärt: "Wir streben ein qualitatives Wachstum an – nicht durch Flächenverbrauch, sondern durch gute Produkte. Am Beispiel der E-Mobilität sieht man aber, dass das nicht ohne einen gewissen Flächenverbrauch geht. Eine ganze Zeit lang werden sowohl Autos mit Verbrennungsmotor hergestellt als auch mit Akku-Betrieb. Das kann man nicht in einer Halle machen und auf einmal den Schalter umlegen. Wir sind allerdings dabei, ein Standortprofil zu entwickeln, welches auf regionale Vernetzung setzt. Und auf Wertschöpfung vor Ort."

Ein Bürger kritisiert: "Das politische System ist auf Wachstum ausgelegt. Das zieht einen ganzen Rattenschwanz nach sich. Auch, dass der Flächenverbrauch durch Neubaugebiete weiter ansteigt."

Rottenburgs OB Neher sagt: "Ich halte nichts davon, dass der Staat dem Bürger vorschreibt, wie er leben soll. Wir Politiker reagieren auf das, was der Bürger wünscht. Ich selbst wohne in einer kleinen Wohnung, fahre privat einen zehn Jahre alten Golf. Ich höre so viele Leute, doch keiner ändert etwas. Klar ist auch: Deutschland und Europa haben die besten Ingenieure und die beste Technik, die auch die Umwelt schont."

Der nächste Bürger meldet sich zu Wort: "Beim Lidl in Rottenburg sagt die Politik nicht: Packt die Parkplätze oben drauf. Man kann auch Hochhäuser bauen. Wir haben das Gefühl, die Politik ist nur noch Handlanger der Wirtschaft." Die Antwort von Rottenburgs OB: "Die Politik sind Sie – die Bürger."

Es gibt viele Siedlungen in Rottenburg, in denen Grundstücke nicht genutzt werden. Was tut die Stadt dagegen? Wirtschaftsbürgermeister Bednarz erklärt: "Wo es geht, kaufen wir Flächen zurück. Auch bei Gewerbegebieten. Die Tage geht ein Schreiben raus an Eigentümer, wo wir denken, dass ihre Grundstücke nicht so bebaut sind, wie wir das wollen." Und was können die Bürger tun, um solche Flächen zu bekommen? Neher sagt: "Nerven Sie die Eigentümer, wenn Sie sie treffen. Am Stammtisch, auf der Straße – sprechen Sie sie immer wieder an."

Nächstes heikles Thema: Wie können Rottenburgs Gewerbebrachen wie das Elsässer- oder das Queck-Areal wieder aktiviert werden? OB Neher: "Beim Elsässer-Areal gibt es das Problem: Wenn der Eigentümer es verkaufen würde, müsste er es aus dem Betriebsvermögen rausnehmen und um die 50 Prozent Steuern darauf zahlen. Wir sind deshalb in regelmäßigen Gesprächen mit der Familie und versuchen, Kontakt zwischen den Eigentümern und Investoren zu vermitteln."

Beim Queck-Areal habe der Gemeinderat entschieden, dass man als Kommune nicht die Altlastenentsorgung übernehme. Bürgermeister Bednarz betont, dass man – egal ob jetzt ein Abschwung kommt oder nicht – schon jetzt nicht genug Flächen für ansiedlungswillige Unternehmen habe. Bednarz: "Wenn wir jetzt in die Entwicklung von neuen Gewerbeflächen gehen, dauert es mindestens fünf Jahre, ehe der erste Bagger kommen kann. Dann kann wieder der nächste Aufschwung da sein."

Ein Bürger kommentiert: "Diese Gewerbebrachen, die uns wie Baustellen vorkommen, schaffen ein Misstrauen gegenüber der Politik." Bednarz erwidert: "Interessant. Dabei sollten die Bürger wohl eher ein Misstrauen gegenüber den Eigentümern haben." Neher sagt: "Ich finde es schön, dass sie fordern, wir sollen Gewerbegebiete ausweisen." Höhnisches Gelächter und Applaus.

Dann das letzte heikle Thema: die Bürgerbeteiligung. Laut OB Neher sei Rottenburg dort schon fast deutschlandweit vorbildlich unterwegs: "Wer fragt die Bürger so früh wie wir?" Eine Bürgerin bemängelt, dass bei der Beteiligung zum Landschaftsplan der Bürger so gut wie nicht mitgenommen wurde. Auch beim Beschluss für den Neubau in Hailfingen habe es eine "Erpressung" bei der Bürgerbeteiligung durch Neher gegeben. Die Bürgerin: "Er hat gesagt: entweder Standort Marktplatz oder Schublade." OB Neher dazu: "Ich kämpfe für meine Ideen." Baubürgermeister Thomas Weigel: "Bei der Entscheidung über den Standort haben wir 80 Hailfinger beteiligt. 45 haben sich für die Dorfmitte ausgesprochen. Das ist ein klares Meinungsbild. Alle Optionen lagen auf dem Tisch. Dann entscheiden die gewählten Politiker – so ist das in der Demokratie!"