Mit viel Beifall bedacht wurde das Ensemble der Oper "Ermione", die von Jochen Schönleber inszeniert und von Antonio Fogliani dirigiert wurde (Bühnenmitte). Foto: Ferenbach

Bis zum tragischen Ende – ja sogar darüber hinaus – werden sie Amor nicht los: Der personifizierte Liebesgott führt die unglücklich Liebenden in Gioachino Rossinis "Ermione" mit seinen exzessiven, blinden Wüten in eine Sackgasse voller Schmerzen.

Bad Wildbad - Bei der Premiere der "Azione tragica", die 1819 am Teatro di San Carlo in Neapel uraufgeführt wurde, sind die damit verbundenen Energien – in erster Linie Wutausbrüche – bis in die hintersten Winkel der Trinkhalle spürbar. Am zweiten Aufführungsabend des Belcanto Opera Festivals "Rossini in Wildbad" knistert es an allen Ecken und Enden. In der rund zweieinhalbstündigen Inszenierung des mythologischen Stoffs aus dem Sagenepos des Homer (nach einem Libretto von Andrea Leone Tottola auf der Basis von Racines Tragödie „Andromaque“) lässt Intendant Jochen Schönleber den Protagonisten Pirro, Sohn des Helden Achilles und König von Epirus, sogar um Amor würfeln, was seine Willkürherrschaft einmal mehr unterstreicht. Unter den Gefangenen, welche er aus dem trojanischen Krieg mitbrachte, ist der kleine Astianatte, Sohn von Andromaca und deren von Achilles getötetem Gatten Hektor, somit letzter Thronfolger der besiegten Stadt Troja. Auch der Königspalast, in welchem Pirros Gefolgschaft, die Gefangenen und Oreste, Botschafter der griechischen Allianz, im Verlauf des Liebesdramas immer wieder in unterschiedlichen Konstellationen aufeinandertreffen, ist ein Bühnenkonstrukt aus überdimensionalen Würfeln und einer Art Laufsteg, der im Hintergrund in einen von stilisierten Säulen gerahmten, schmalen roten Vorhang mündet.

 

Verschmähte Verlobte

Für die Heirat mit der angebeteten Andromaca würde Pirro seine Allianz mit den Griechen opfern und einen Krieg mit dem künftigen Rächer Astianatte riskieren, dessen Herausgabe Oreste verlangt. Auch die spartanische Prinzessin Ermione, seine verschmähte Verlobte, empört sich über das Ansinnen ihres Geliebten und sieht die verhasste Konkurrentin bereits auf dem Thron. Andromaca weist die Avancen Pirros zunächst zurück, willigt dann aber doch zum Schein in die Hochzeit mit dem König ein, um diesen den Schutz ihres geliebten Sohnes schwören zu lassen und danach Hektor in den Tod zu folgen. Die durch und durch dramatische Musik der Oper, um deren extreme Tragik sich so mancher Mythos rankt, etwa dass das Werk laut seines Schöpfers "für die Nachwelt bestimmt" sei, erfordert herausragende Sänger. Schönleber hatte auch hier – wie bereits in "Armida" – ein glückliches Händchen und fand in der Sopranistin Serena Farnanocchia die ideale Besetzung für die Titelfigur. Ihre reife Stimme, die sie bereits im Vorjahr als "Elisabetta" unter Beweis stellte, ist von dramatischer Durchschlagskraft und meistert scheinbar mühelos die virtuosesten Koloraturen bis in schwindelerregende Höhen.

Blutiges Messer

In ihren Wutausbrüchen wächst die Protagonistin auch stimmlich über sich hinaus. Im Anblick des Hochzeitszuges völlig verzweifelt, beauftragt sie Oreste, den zugleich geliebten und gehassten Verräter Pirro zu töten und ihr damit seine Liebe zu beweisen. Als ihr beim Anblick des blutigen Messers das ganze Ausmaß ihres Befehls bewusst wird, bleibt sie mit erstklassig intonierter, gebrochener Stimme zurück und fällt schließlich ohnmächtig zu Boden. Dass er neben seinem komödiantischen Talent auch das nötige Rüstzeug für dramatische Opernpartien hat, stellte der zum Publikumsliebling avancierte Patrick Kabongo bereits in den zurückliegenden Festivals unter Beweis. Den Oreste gibt er mit ergreifender Tenorstimme als den von der unerwiderten Liebe zu Ermione Getriebenen und am Ende als das von Schuldgefühlen rasende Intrigenopfer. Eine tragende Rolle hat auch Moisés Marín, der als Pirro mit dessen Zynismus, Egozentrik und zügelloser Begierde die Szenerie und nicht zuletzt die Gefühle der Frauen über weite Teile beherrscht. Sein stählerner und beweglicher Tenor verleiht seinem unberechenbaren, maßlosen Verhalten Nachdruck. Aurora Faggioli gibt der Rolle der liebenden und verzweifelt flehenden Mutter mit ihrem weichen Mezzosopran Kontur. Chuan Wang (Tenor) als Orestes Freund Pilade, Jusung Gabriel Park (Bassbariton) als Fenicio, Bartosz Jankowski (Tenor) als Pirros Vertrauter Attalo sowie Mariana Poltorak (Sopran) als Ermiones Vertraute Cleone und Katarzyna Guran (Sopran) als Andromacas Vertraute Cefisa runden das beeindruckende Gesangsensemble ab.

Schmerz- und hasserfüllt

Unter der musikalischen Leitung von Antonio Fogliani lässt das Philharmonische Orchester Krakau die schmerz- und hasserfüllten, auf sich selbst bezogenen Charaktere musikalisch differenziert unter einem emotionsgeladenen Spannungsbogen, der kaum Luft zum Atmen lässt, aufleben. Der gemischte Chor unterstreicht den historischen Kontext vom eingangs zu vernehmenden Wehklagen der Gefangenen bis zum tödlichen Ende als Orestes Gefolgsleute und Rache sinnendem Volk in der ansonsten zeitlos gehaltenen Ausstattung (Kostüme von Cennet Aydogan). Für die von den sensationslüsternen Medien verwöhnten Zuschauer gibt es zu Orestes ausführlicher Schilderung von Pirros Ermordung gleich zwei auf die Bühne schwankende blutende Opfer obendrauf. Schönleber lässt im Schlussbild Andromaca ihr Versprechen einlösen, obwohl die Treue zu ihrem Gatten mit dem Tod Pirros nicht mehr gefährdet ist, sie vielmehr als dessen Witwe auf dem Thron von Epirus sitzen könnte. Bei so viel Mutterliebe ist das in einer ansonsten schlüssigen Inszenierung nur schwer nachvollziehbar. Tosender Applaus für eine grandiose Ensembleleistung in einer zu Unrecht eher selten gespielten Oper, die noch einmal am Samstag, 23. Juli, um 19.30 Uhr, in der Trinkhalle über die Bühne geht.