Für Radfaher kein Problem, für Mauereidechsen aber Endstation: Fallrinnen nahe des Neckars. Foto: Kovalenko

Die vielen Großbaustellen in der Stadt können sich leicht zu tödlichen Fallen für zahlreiche Tiere entwickeln. Beim Bau des Rosensteintunnels sollen jetzt Fallrinnen Eidechsen schützen.

Stuttgart - Etliche Jahrhundert- und auch sonstige Baustellen gibt es derzeit in Stuttgart. Dort sind nicht nur Erdhaufen, Bagger, Schaufeln und Lastwagen in großer Zahl zu finden. Vielmehr handelt es sich auch um Einsatzgebiete für Umwelt- und Tierschützer. Denn der Artenschutz muss gewährleistet sein, Umsiedlungen oder andere Hilfsaktivitäten sind nötig.

Das betrifft nicht nur den bereits legendären Juchtenkäfer, sondern beispielsweise auch Eidechsen. Um diese geht es derzeit am Neckar. In Nähe des bekannten Holzstegs über den Fluss und entlang der neu asphaltierten Fußgängerwege, die wegen der Baustelle für den neuen Rosensteintunnel angelegt wurden, gibt es an Weggabelungen merkwürdige Vorrichtungen. Was es damit auf sich hat, darüber geben einige Schilder Auskunft: „Eidechsenfallrinnen“ ist dort zu lesen. Sicher Tausende Flaneure, Radler auf dem Weg in Richtung Schlossgarten oder Besucher der Wilhelma sind in den vergangenen Wochen bereits entlanggelaufen oder vorbeigefahren und haben das Schild zumindest im Augenwinkel gesehen.

Tatsächlich handelt es sich um Aktivitäten, die im Rahmen des Artenschutzprogramms für die dort lebenden Kleintiere notwendig sind. Konkret geht es um die Mauereidechse, unter Fachleuten auch als Podarcis muralis bekannt. An den Neckarböschungen gibt es ein erkleckliches Vorkommen dieser Eidechse, die von der Deutschen Gesellschaft für Herpetologie und Terrarienkunde zum Reptil des Jahres 2011 ausgerufen wurde.

Einige Hundert von ihnen allerdings machen gerne Ausflüge und tummelten sich zumindest bisher gern auf dem Areal etwas weiter weg vom Nordwestufer des Neckars. „Die Eidechsen haben sich gern zum Sonnen auf den Hügel begeben“, berichtet Christian Buch vom Tiefbauamt der Stadt Stuttgart.

Damit die Tiere nicht durch Baumaschinen oder Lastwagen gefährdet oder gar getötet werden, wurden rund 250 Mauereidechsen im Bereich der Baustelle tagelang aufgesammelt und zurück in Richtung Neckar transportiert, erläutert Christian Buch. Damit sie von dort nicht wieder ausbüxen, musste zuvor ein Zaun mit 40 Zentimeter hohen Gummimatten errichtet werden.

„Allerdings gab es da ein Problem“, erläutert Florian Back von der in Plieningen ansässigen Gruppe für ökologische Gutachten, die das Projekt am Neckarufer betreut. Denn eine komplette Abriegelung des Geländes war nicht möglich: Fußgänger und Radler sollten dort ja nicht ebenfalls durch Gummimatten gestoppt werden, sondern zu ihrem Ziel weitergelangen. „Zudem gibt es Müllfahrzeuge oder Getränkelaster für die Schiffe des Neckar-Käpt’n.“

Die Lösung sind jene von Gittern überdeckten Fangröhren im Untergrund, die auf den Hinweistafeln Eidechsenfallrinnen genannt werden. Tatsächlich plumpsen die Eidechsen durch die Gitter hinab, können dann aber an den seitlichen Röhrenöffnungen wieder hinauswackeln. „Auf diese Weise bleiben sie im eingezäunten Bereich“, berichtet Back.

Dass die Bauarbeiter anfangs etliche Dutzend der bis zu 25 Zentimeter langen Kriechtiere zwischen den Gittern haben verschwinden sehen, mittlerweile in den dortigen Rinnen aber eher tote Hose herrscht, ist keineswegs verwunderlich. „Die Mauereidechsen sind durchaus lernfähig und stellen sich darauf ein“, sagt Buch. Dies bestätigt auch der ökologische Experte Back. „Die sehen die Gummibarriere, laufen entlang, fallen in die Rinne rein – und machen es dann zumeist kein zweites Mal mehr, weil sie schnell kapiert haben, dass sie auf diesem Weg nicht weiterkommen.“

Auf der Asphaltfläche wollen sie im Übrigen ohnehin nicht bleiben. „Dort ist alles offen, es gibt keine Deckung, die Eidechsen haben Angst vor Greifvögeln und suchen Schutz.“ Somit mögen zwar täglich Hunderte von Fußgängern an den Hinweisschildern vorbeigehen – ohne jedoch jemals ein schwärzlich geflecktes Reptil in den Eidechsenfallrinnen gesehen zu haben.

Die Mauereidechse

Merkmale: Für gewöhnlich kann man die Mauereidechse an ihrem braunen Rücken mit dunklem Mittelstreifen erkennen. Zudem ist sie hell gefleckt und hat breite Seitenstreifen. Doch es gibt auch sehr unterschiedlich gefärbte Tiere, die mit einer stark grünlichen Färbung fast wie Smaragdeidechsen aussehen. Die Kehle ist stark schwarz bis rostbraun gefleckt.

Die schlanke Eidechse hat einen verhältnismäßig langen Schwanz, der ihr beim Klettern hilft. Bei fünf bis 7,5 Zentimeter Körperlänge ist der Schwanz knapp doppelt so lang wie der Körper.

Verbreitung: Mauereidechsen sind vor allem im Süden Deutschlands heimisch. Die Mauereidechse ist in West-, Mittel- und Osteuropa verbreitet. In Deutschland kommt sie nur in wärmeren Gebieten vor, vor allem in der Rheinebene.

Lebensraum: Das schlanke Reptil lebt in Mauerritzen und Felsspalten. In Mitteleuropa mag es die für Eidechsen typisch sonnigen und trockenen Biotope. Im südlichen Verbreitungsgebiet zieht sie aber die höheren und kühleren Gebirgslagen sowie feuchte und schattige Umgebungen (Laubmischwälder, Berghänge) den heißen Gebieten vor.

Fortpflanzung: Die Paarungszeit der Mauereidechsen erstreckt sich von März bis Juni. Vor allem in dieser Zeit verteidigen die Männchen ihre Reviere mit zum Teil heftigen Kämpfen und Beißereien. Die Eier werden zwischen Mai und Juli im Erdboden oder unter Steinen abgelegt. Ein Paar hat bis zu drei Gelege pro Jahr. Nach zwei bis drei Monaten schlüpfen die Jungen.

Gefährdung: In den Weinbergen und an Bahntrassen vor allem im Süden Deutschlands sind die Mauereidechsen zu Hause, doch die Modernisierung des Weinanbaus und der Rückgang von Trockenmauern sorgen für einen teilweise dramatischen Habitatschwund.

Schutzstatus: Aufgrund des mittelfristigen Areal- und Bestandsrückgangs sowie der schlechten Zukunftsaussichten wurde die Mauereidechse in der EU-weit gültigen Flora-Fauna-Habitat-Richtlinie (FFH-RL) als streng zu schützende Art in den Anhang IV aufgenommen. (StN