Treibt sich bei Brittheim ein Wolf herum? Laut Experten wäre das gut möglich. Foto: Büttner

Raubtier möglicherweise in der Region unterwegs. Experten wollen Bevölkerung aufklären.

Rosenfeld - Ein großes Tier. Dichtes Fell. Lange Vorderbeine. Gut zu sehen, wie es  eine Pfote vor die andere setzt, langsam trabt. Hier bei Brittheim, einem kleinen Stadtteil von Rosenfeld im Zollernalbkreis, mitten auf der Straße,  nach Einbruch der Dunkelheit. Das Fell ist dicht, hellbraun, gräulich. Die Augen spiegeln sich im Scheinwerfer. Ein stattliches, stolzes Tier. Ein Wolf! Ein Wolf?

300 Wölfe leben in Deutschland. Eine kleine Sensation. Um das Jahr 1850 waren sie durch die Jagd ausgerottet worden, mittlerweile siedeln sie sich in Ostdeutschland  neu an. Der Naturschutzbund NABU liefert Zahlen. 35 Wolfsfamilien leben inzwischen in Deutschland in  freier Natur – in Niedersachsen, Mecklenburg-Vorpommern, Sachsen-Anhalt, Brandenburg und Sachsen. Auch in Schleswig-Holstein und Thüringen wurden einzelne Wölfe nachgewiesen.

"Wenn die Tiere ein Territorium etablieren, bleiben sie"

"In ganz Deutschland muss man mit dem Auftauchen rechnen", sagt Micha Herdtfelder von der Forstlichen Versuchs- und Forschungsanstalt Baden-Württemberg (FVA). Die Strecken, die die Wildtiere zurücklegen, sind enorm. "40 bis 50 Kilometer am Tag sind möglich." Ein Wolf aus  der Lausitz wurde – ausgestattet mit einem Sender – auf seinem mehrere Tausend Kilometer langen Weg Richtung Weißrussland beobachtet. "Wenn die Tiere ein Territorium etablieren, bleiben sie." Das zeigt: Auch auf die Schwäbische Alb, in den Schwarzwald und in die Ortenau können es Wölfe problemlos schaffen. Schließlich gibt es Wolfsmeldungen auch aus Italien und der Schweiz – nicht weit entfernt von der Südwest-Grenze also.

Forstminister Alexander Bonde (Grüne) sieht den Südwesten gut gerüstet für die Rückkehr des Wolfs. Sogar einen Handlungsleitfaden hat sein Ministerium herausgegeben. Zuständigkeiten und Kommunikationswege  sowie festgelegte  Abläufe seien dadurch geklärt, sagte Bonde bei der Vorstellung.  Ein vorbildliches Monitoring also. Auch im grün-roten Koalitionsvertrag von 2011 hatte sich die Regierung dem Tier- und Artenschutz verschrieben.

"Es können jederzeit vor allem aus der Schweiz einzelne Tiere zu- beziehungsweise durchwandern", heißt es im Leitfaden. Baden-Württemberg ist  "Wolfserwartungsland". Grün-Rote geht deshalb den nächsten Schritt und startet ein neues Portal. Das Forum Großraubtiere/Wildtiere soll vor allem Ängste nehmen – durch Informationen. "Ein Diskussionsbereich ist ebenfalls geplant", berichtet Herdtfelder. Auch auf verschiedene Sichtweisen will es eingehen. Denn: Mancher Landwirt oder Jäger hätte wohl kaum etwas gegen eine Jagderlaubnis. Auf der Speisekarte der Wölfe stehen schließlich  Rehe, Rothirsche und Wildschweine – aber eben auch Schafe und Ziegen.

"Schäfer, Ziegenhalter und Landwirte mit Vieh werden sich umstellen müssen", erwartet  Hannes Huber, Sprecher des NABU Baden-Württemberg. Um sie und andere darauf vorzubereiten, dass der Wolf zurückkehrt – "und er wird kommen", sagt Huber – sind bundesweit Wolfsbotschafter unterwegs. Sie tingeln mit Vorträgen und Veranstaltungen durchs Land und besuchen auch Schulen. "Es ist absehbar, dass es Gesprächsbedarf gibt." Urängste kommen hoch. Da seien die einen, die sich fürchteten, "dass ihre Kinder gefressen werden". Und andere, die erwarteten, dass ein Kuscheltier einwandert. "Beides ist nicht der Fall", sagt Huber. "Wir versuchen, eine Balance zu finden."

Auch das FVA-Forum will informieren. "In zwei Monaten sind wir so weit", sagt Herdtfelder. Dann soll die Seite online gehen. Und hat nicht nur Wölfe als Ziel: Vor wenigen Monaten war beispielsweise ein Luchs im Südwesten entdeckt worden.

"Sie sollten keine positive Erfahrung mit  Menschen machen"

Herdtfelder ist gespannt auf das Nebeneinander zwischen Wolf und Mensch. Und er beruhigt: "Wölfe in Mitteleuropa haben bislang keinerlei Zeichen von Aggression gezeigt."  Zumindest nicht ohne Grund, sagt der Experte aus dem  Arbeitsbereich Wildtierökologie – und meint damit  Krankheiten oder Anfütterungsversuche. Den Wolf zu füttern,  sei indes keine gute Idee: "Um das scheue Verhalten aufrechtzuerhalten, sollten Wölfe keine positive Erfahrung mit dem Menschen machen. Man muss sie als Wildtiere ansehen."

Ein freundlicher Isegrim also? Ja, sagt Herdtfelder. Solange man das Tier nicht in die Enge treibe.  Üblicherweise nehme es Menschen schnell wahr – und mache sich davon. Und wenn es doch plötzlich vor einem steht: "Laut ansprechen", erklärt Herdtfelder. "99 Prozent der Tiere werden dann selbst das Weite suchen. Und der Rest, das sind möglicherweise neugierige Jungtiere."

Und das Tier aus Brittheim? Die einen wollen einen Wolf gesehen haben, Spaziergänger melden einen Wolfshund, und letztlich wird noch ein Mischlingshund in eben dieser Region vermisst. Herdtfelder will sich nicht festlegen. "Das Monitoring betreiben wir seit etwa 2008", erklärt er. "Sichtungen gibt es immer wieder, bislang war nichts Handfestes dabei." Was aber auch daran liegt, dass die entdeckten Tiere oft nicht mehr gefunden werden – kein Wunder, bei den Strecken, die sie Tag für Tag bewältigen. Ausschließen will er jedenfalls nichts.

Info: Wolf

Schutz: In Europa leben nach Angaben des World Wide Fund for Nature (WWF) mehr als 10.000 Wölfe – Russland nicht mitgerechnet. Die in Mitteleuropa meist etwa 40 Kilogramm schweren Tiere sind in Deutschland streng geschützt und dürfen nicht gejagt werden. Der Wolf ist laut NABU durch internationale und nationale Gesetze streng geschützt. In der europäischen Union unterliegt er den Anhängen II, IV und V der Fauna-Flora-Habitat-Richtlinie. Auf Bundesebene ist der Wolf durch das Bundesnaturschutzgesetz streng geschützt. Er hat damit den höchstmöglichen Schutzstatus. Das Revier eines Rudels ist häufig mehr als 200 Quadratkilometer groß.

Ausrottung:  Der Wolf wurde einst vor allem ausgerottet, da er bäuerliche Landwirtschaft gefährdete. Das Überleben der Menschen hing lange von den eigenen Nutztieren ab. Schafe, Schweine und Ziegen wurden in den Wald und auf die Weiden getrieben und waren – ohne funktionierenden Herdenschutz – eine leichte Beute für Wölfe. Der Verlust jedes einzelnen Tieres war laut NABU existenzgefährdend. Die Folge: Wölfe wurden intensiv bejagt. Bis zu seiner Rückkehr im Jahr 2000 war Deutschland mehr als 150 Jahre wolfsfrei.