Petra Vollmer krempelte ihren Alltag komplett um. Malen wurde zur Therapie. Fotos: Kunert Foto: Schwarzwälder Bote

Mission: Petra Vollmer aus Rohrdorf will nach verheerender Diagnose den höchsten Berg Tirols besiegen

Er ist gut 3900 Meter hoch – der "Ortler", der höchste Berg Tirols. Dahinauf will Petra Vollmer. Unbedingt. Südtirol ist ihr Sehnsuchtsort. Unendlich oft bereist. Mit dem Fahrrad jede Passhöhe bewältigt. Nun soll es zu Fuß ganz noch oben auf den Gipfel. Nachdem eine Krebsdiagnose sie "ganz nach unten" gebracht hatte.

Rohrdorf. "Sie haben Brustkrebs!" – Die Diagnose traf Petra Vollmer im Frühjahr vergangenen Jahres wie ein Schlag. Bis dahin führte sie ein Höchstgeschwindigkeitsleben: Erfolgreiche Bankerin – Spezialistin für Export-Finanzierungen. Zertifizierter Sportmentalcoach. Lizenzierte "BodyCROSS"-Fitnesstrainerin. Dozentin und Prüferin bei der IHK Nordschwarzwald. Teamchefin und Trainerin einer eigenen Radsport-Mannschaft ("#girlsbikeaction"). Extrem erfolgreich. Extrem großes Netzwerk. Extrem viel unterwegs. Extrem wenig Schlaf. Immer auf der Jagd nach Endorphinen – Glückshormonen.

Die Frage nach dem "Warum?" stellte sich Petra Vollmer nach der verheerenden Diagnose nie. "Ich weiß, wo das herkommt!" – Das Wort "Krebs" versucht sie zu vermeiden. Extremer emotionaler Stress. "Normal" kann Vollmer einfach nicht. Die Medizin sage zwar, die Ursachen seien "hormonell" – aber das ficht die gebürtige Rohrdorferin nicht an. Das Seelische liegt unter der Biochemie. Und spiegelt das Erleben der Menschen. Bedeutet aber auch: mit "Achtsamkeit", "Meditation" kann man (Frau) die Selbstheilungskräfte aktivieren. Genau das macht Petra Vollmer. Eine neue Aufgabe. Auf die sie sich mit gewohnten Elan und Power stürzt. Nur dass diesmal eben die innere Ruhe, die innere Balance die Herausforderung ist. "Dein größtes Schatzkästchen ist die Ruhe", sagte einer ihrer Ärzte zu ihr. Aber – wie macht man das: Ruhe finden mit extrem viel Energie im Blut?

Petra Vollmer ist ein extrem strukturierter Mensch. Noch ein Extrem. Sie krempelt ihren Alltag komplett um. Malen – früher für die Stressbewältigung – wird zur Therapie. Neben der Chemo-Therapie. Vollmer spricht nur von ihren "Cocktails". Das "Schlimme" sich nicht im Denken manifestieren lassen. Ist das nicht auch Verdrängung? "Ja, auf jeden Fall", sagt die 52-Jährige. Sie ist auch in "NLP" ausgebildet – Neuro-Linguistisches Programmieren. Damit kann man seinem Gehirn beibringen, was es denken soll. Gerade auch, wenn es im unbewussten Modus ist – und unsere Biochemie im Körper steuert. Das Wort "Chemo" verbreitet Angst – "Cocktails" dagegen sind positiv besetzt. Das kann einen durch die extrem schmerzhafte Therapie tragen.

"Ich bin dankbar dafür, dass die Reißleine in meinem Leben gezogen wurde"

Bei Petra Vollmer hat es gewirkt. "Nebenwirkungen der ’Cocktails’ hatte ich keine". Schlecht ging es ihr – ja. Aber nie so schlecht, dass sie nicht jeden Tag raus konnte. "Mein Körper hat mich da hindurch getragen". Das klingt auch trotzig. Mit den Nordic-Walking-Stöcken raus in den Wald – noch so ein Sehnsuchtsort. "Zu den Terpenen". Das sind die Stoffe, aus denen die ätherischen Öle sind, die wir im Wald riechen. Dass die gut für uns sind, weiß die Pharmazie schon lange. Viel mehr als nur frische Luft. Eine Kraftquelle. "Ich bin dankbar dafür, dass die Reißleine in meinem Leben gezogen wurde". Jede Sekunde wird wertvoller, jedes Erlebnis, jede Tat gewinnt an Bedeutung. Und da kommt der Ortler ins Spiel.

Im Radsport sagt man nach einem schweren Sturz: "Die Krone" – den Sturzhelm – "richten und los geht’s!" Heißt: Wieder rauf aufs Rad und weiterfahren – auch wenn’s weh tut. So sieht Petra Vollmer gerade ihr Leben. Von der "Krone richten" zum "König Ortler" war’s nicht weit, als Vollmer wieder einmal mit dem Rad auf den Passhöhen in Tirol unterwegs war. "Jede Krone braucht ’nen König". Und als in einem Gasthof einer sagte, er sei gerade auf dem Ortler gewesen, hatte Vollmer ihre Mission gefunden. "Auch wenn ich da noch gar keine Ahnung vom Bergsteigen hatte".

Aber das kann man lernen: Hochtouren-Kurs beim Alpenverein im "Silvretta Nova"-Gebiet. Eine Wanderwoche an der Suldenspitze – "das war die Generalprobe". Ein Kletterkurs in Südtirol. Alles enorm anstrengend. "Ich muss meine Stiefel noch ordentlich einlaufen", sagt Vollmer. Beim ersten Gebrauch gab’s reichlich Blasen an den Füßen. Denn am 1. September geht’s bereits los – hoch hinauf auf den Sehnsuchtsberg. Mit Petra Thaller, der Gründerin von "Outdoor Against Cancer". Mit der Österreicherin Andrea Prantner, die ebenfalls – wie es der Zufall wollte – nach einer Krebstherapie unbedingt auf den Ortler musste. Und vier Unterstützerinnen von "#girlsbikeaction". "Die geben mir jetzt was zurück, nachdem ich sie bisher immer trainiert und gecoacht habe".

"Ich seh’ mich da oben auf dem Gipfel"

Mit dabei auch ein Team vom Saarländischen Rundfunk, das in der TV-Reihe "Traumreise" über die ungewöhnliche Ortler-Besteigung berichten will (geplante Ausstrahlung: Samstag, 28. September, ab 17 Uhr im SWR). Und wenn’s scheitert? Das Wetter nicht mitspielt? Petra Vollmer schüttelt den Kopf. "Ich seh’ mich da oben auf dem Gipfel". Alles andere – kein Gedanke. Der Wille macht die Realität. Vollmer zeigt ein Foto. Es entstand im Herbst 2017 – ein halbes Jahr vor ihrer Diagnose. Es zeigt eine Wolkenformation über dem Gipfel des Ortlers in Form eines fliegenden Engels. Auch dieses Bild hat Vollmer durch die schlimmen Momente, die folgen sollten, getragen. "Ich muss da einfach rauf", sagt sie.

Und danach? Es steht noch eine weitere, große OP an – im Oktober. Der Wiederaufbau. "Das muss sein". Danach, bis Weihnachten, möchte sie ihr Buch fertig haben: "Die Überheldin in dir – Anleitung für dein Durchhaltevermögen" heißt es. Ein Probeexemplar hat Vollmer bereits mal fertiggestellt. Vielleicht Lesungen, ein Happening zum Rollout. Aber – wird das nicht wieder zuviel? Ungesunder Stress? Petra Vollmer lächelt, schüttelt den Kopf. Aktiv – ja. Stress – nein. Lebenslust – aber nie mehr Lebensfrust.