Ein Beamter des Hamburger Spezialeinsatzkommandos vor dem Eingang eines Kieler Laufhauses. Um 5 Uhr hatten die Elitepolizisten die Glastür mit einer Ramme aufgebrochen. Foto: dapd

1200 Polizisten durchsuchen Bordelle, Kneipen, Häuser der Rockergruppe Hells Angels in Norddeutschland.

Kiel - Im bislang größten Polizeieinsatz gegen Motorrad-Rocker suchen Fahnder auch nach der Leiche eines verschwundenen Türken. Die Ermittler vermuten sie im Fundament einer Lagerhalle.

Das Kieler Käpt’n Flint liegt strategisch günstig: Entweder trinken sich hier Matrosen aus aller Welt vor ihrem Besuch in einem der Bordelle gleich um die Ecke Mut an. Oder sie versacken nach ihrem Trip durch das Rotlichtviertel in der Spelunke, in der weiße Blechlaternen um den Tresen rosafarbenes Licht spenden. Und weil die bizarre Kneipe wenn überhaupt, dann erst im Morgengrauen schließt, ist sie bei Seefahrern wie Jugendlichen beliebt. Wohl deshalb wollten Kieler Abiturienten hier am Donnerstagmorgen ihre Party ausklingen lassen.

Bei dem Zugriff sei ein Hund erschossen worden

Um fünf in der Früh endete die Sause abrupt: Polizisten stürmten die Kneipe, legten die Gäste auf den Boden und kontrollierten Ausweispapiere: Hell-Angels-Razzia in Schleswig-Holstein. 1200 Polizisten waren für den Schlag gegen die Rocker-Bande an die Föhrde gekarrt worden. Unter ihnen 400 Beamte von Spezialeinsatzkommandos (SEK) aus fünf Bundesländern.

Zeitgleich seilten sich in Hannover Elitepolizisten der GSG-9 aus einem Hubschrauber in den Garten des Deutschland-Chefs der Höllenengel, Frank Hanebuth, ab. Bei dem Zugriff sei ein Hund erschossen worden. Die Polizei, zeterte Hells-Angel-Anwalt Götz von Fromberg, sei „völlig unverhältnismäßig vorgegangen“. Der Jurist teilte bis September 2010 seine Kanzlei mit Altbundeskanzler Gerhard Schröder, mit dem ihm eine innige Freundschaft verbindet.

87 Objekte durchsuchten Polizei und 60 Staatsanwälte zeitgleich in Schleswig-Holstein, Hamburg und Niedersachsen. Das Ziel: Die Fahnder wollten Beweise für „Menschenhandel, Korruption, Körperverletzung und Waffenhandel – auch mit Rechtsradikalen – sicherstellen“, sagt Stefan Jung, Sprecher des Landeskriminalamtes in Kiel. Insgesamt führe die Staatsanwaltschaft 194 Ermittlungsverfahren gegen 69 Beschuldigte. Fünf führende Mitglieder der im Januar verbotenen Bande wurden verhaftet. Gegen zwei bereits in Untersuchungshaft einsitzende Hells Angels stellte die Staatsanwaltschaft Haftbefehle aus. Die Fahnder stellten eine Maschinenpistole, ein Gewehr, mehrere Handfeuerwaffen sowie 900 Schuss Munition sicher. Bei der noch andauernden Aktion, sagt Jung, gehe es auch darum, den Rockern „die wirtschaftliche Grundlagen für ihr kriminelles Handeln zu entziehen“.

Der Familienvater war im April 2010 spurlos verschwunden

Für das erhoffen sich die Ermittler vor allem Beweise in einem Gewerbegebiet am nördlichen Stadtrand von Kiel. Dort vermuteten Polizisten im Fundament einer Lagerhalle die Leiche eines 47 Jahre alten Türken. Tekin Bicer soll sich den Unmut der Rocker wegen einer Drogenlieferung zugezogen haben. Der Familienvater war im April 2010 spurlos verschwunden – genau zu der Zeit, als das Fundament der Lagerhalle gegossen wurde. Sowohl in diesem Objekt wie auch in einem guten Dutzend anderer durchsuchten auch schwerbewaffnete SEK-Beamte am Donnerstagabend noch die Gebäude. „Wir gehen davon aus, dass wir noch bis zum Freitag brauchen“, glaubt Polizeisprecher Stefan Jung.

Das Charter der Kieler Hells Angels wurde 1994 gegründet. Innenminister Klaus Schlie (CDU) bezeichnete die Gruppe zum Jahresbeginn als „Keimzelle“ und „Zentrum“ der organisierten Rockerkriminalität im Norden. Deren Chefrocker gingen strategisch vor, um ihr Imperium in Schleswig-Holstein systematisch auszubauen. So ließ der Kieler Präsident der Hells Angels, Dirk R. (41), den blutigen Kampf seiner Kumpanen gegen die verfeindete Rockergruppe Bandidos vorwiegend von den Flensburger Hells Angels ausfechten. Eine Gruppe, die er selbst gegründet hatte und die ihm deshalb bedingungslos ergeben war.

Andere Vereine zwang er, sich aufzulösen

Um möglichst leise und vor allem von der Bevölkerung der Landeshauptstadt unbemerkt zu expandieren, ließ er harmlos erscheinende Motorradklubs von Unterstützern gründen. Andere Vereine zwang er, sich aufzulösen. Die schlagzeilenträchtige Drecksarbeit im Milieu ließ die Führungsriege der Kieler Hells Angels von Schlägern der „Legion 81“ erledigen – einer Unterabteilung der Höllenengel. In der Bevölkerung entstand so der Eindruck, in Kiel sei alles ruhig. „Wenn organisierte Kriminalität gut funktioniert, läuft sie geräuschlos“, sagt LKA-Direktor Rogge. „Und die Kieler Hells Angels haben sich als Machthoheit in Schleswig-Holstein etabliert“. Das dürfte sich jetzt ändern: Rogges Fahnder haben offenbar weiteres Beweismaterial bei der Razzia gefunden.

Die Kieler Oberstaatsanwältin Birgit Heß bestätigte am Donnerstag, dass sie Ermittlungsverfahren gegen drei Unterstützer der Kieler Hells Angels eingeleitet habe. Ein Mitarbeiter des Kieler Ordnungsamtes, ein Justizvollzugsbeamter und auch ein Polizist sollen eng mit den Rockern zusammengearbeitet haben. Im Fokus der Fahnder: Sie wollen klären, ob die Staatsdiener Geld oder Vorteile als Gegenleistung angenommen haben. Das verdächtige Trio ist auf freiem Fuß.

Im Januar waren bei Durchsuchungen 37.000 Euro sichergestellt worden. Teilweise steckte dies in Umschlägen, auf die die Höllenengel „Anwälte“ geschrieben hatten.