Die Azteken waren für ihre massenhaft verübten Menschenopfer berüchtigt. Doch schon vor 7000 Jahren wurden in Europa Menschen und vor allem Frauen gewaltsam ins Grab gebracht – durch Selbststrangulation oder langsames Ersticken. Archäologen haben jetzt 20 solcher Ritualmorde dokumentiert.
Die Götter der mittelamerikanischen Azteken waren durstig. Sie dürsteten nach Menschenblut. Schätzungsweise 10 000 Menschen wurden von den Priestern der präkolumbianischen indigenen Kultur jedes Jahr auf den Altären geopfert. Zwischen 1519 und 1521 wurden die Azteken von den Spaniern unter Hernán Cortés besiegt. Ihre Zivilisation verschwand nach und nach fast völlig. Auf den Ruinen ihrer Hauptstadt Tenochtitlan wurde Mexiko-Stadt erbaut.
Menschenopfer in prähistorischer Zeit
Doch Menschenopfer gab es schon sehr viel früher. Bereits aus prähistorischer Zeit sind sie dokumentiert und kommen in vielen alten Kulturen vor. Sie waren die größtmöglichen Opferungen, bei denen Menschen im Rahmen einer religiösen Kulthandlung ermordet wurden. Die rituellen Opfer sollt den Göttern als Nahrung dienen, ihren Forderungen nachkommen, auf ihren Zorn reagieren, um weiteres Unheil von der Gemeinschaft abzuwehren oder um ihren Segen erbitten.
In der Jungsteinzeit vor 7000 bis 5500 Jahren wurde eine besonders grausame Form der Menschenopfer verübt, wie Grabfunde enthüllen. Vor allem Frauen wurde ins Totenreich geschickt, indem man sie fesselte und langsam erdrosselte oder ihnen durch schwere Steine die Luft abdrückte.
Pömmelte in Sachsen-Anhalt
In der Kreisgrabenanlage von Pömmelte bei Schönebeck (Elbe) in Sachsen-Anhalt, dem deutschen „Stonehenge“ haben Archäologen schon vor einigen Jahren die Skelette von Frauen und Kindern entdeckt, die vor rund 5300 Jahren zu rituellen Zwecke geopfert und danach in Schachtgruben geworfen wurden – tot oder lebendig, das ist unklar.
Auch in anderen Gegenden Europas haben Spatenforscher Hinweise auf Menschenopfer in jungsteinzeitlichen Bauernkulturen gefunden.
Saint-Paul-Trois-Châteaux in Südfrankreich
Über eine besonders qualvolle Form der rituellen Tötung berichten Bertrand Ludes von der Universität Paris und seine Kollegen jetzt im Fachblatt „Sciences Advances“. Sie entdeckten ein rund 6000 Jahre altes Schachtgrab in der Gemeinde Saint-Paul-Trois-Châteaux im südfranzösischen Département Drôme.
In der tiefen, auf die Sonnenwenden hin ausgerichteten Grube lagen die Gebeine dreier Frauen, deren Körperhaltungen und Positionen zueinander auf einen gewaltsamen Ritual-Tod hindeuteten.
Grab-Trio mit zwei Ritual-Opfern
Eine der Tote, eine rund 50 Jahre alte Frau, nahm bei dem Grab-Trio eine zentrale Position ein. „Diese Tote war für die mittlere Jungsteinzeit konventionell positioniert“, schreiben die Archäologen. Die beiden anderen lagen auf dem Bauch, ihr Brustkorb wurde von einem großen Felsen niedergedrückt.
Eine der beiden Frau war durch „positionelle Asphyxie“ gestorben. Das heißt, sie wurde getötet, indem ihnen aufgrund ihrer eingeklemmten Position die Luft abgedrückt wurde. „In einer solchen Position ereignet sich der Tod relativ schnell, selbst wenn die Opfer nicht geschlagen oder unter Drogen gesetzt wurden“, erklärt Betrand Ludes.
Mafia hat steinzeitliche Tötungsart adaptiert
Auch die zweite Frau starb an qualvoll Ersticken. Ihre gekrümmte Haltung mit stark angewinkelten, nach hinten geknickten Beinen deutet auf eine gewaltsame Selbsterdrosselung hin. „Typischerweise wird das Opfer dabei mit einem Seil um Knöchel und Hals gefesselt“, erklärt das Forscherteam.
„Durch die erzwungene Position der Beine führt dies unweigerlich zur Selbststrangulation.“ Diese noch heute etwa bei der italienischen Mafia verbreitete Tötungsart war damit in der Steinzeit bekannt gewesen.
Die Archäologen halten es für wahrscheinlich, dass die Frauen noch lebten, als sie man ins Gab warf und es sich um Menschenopfer handelte. Die mutmaßlich hochrangige zentrale Tote im Grab sowie dort aufgefundene Tieropfer, Keramiken und rituell zerbrochene Mahlsteine deuten darauf hin.
Mindestens 20 Fälle ritueller Opferung aus der Jungsteinzeit
Wie die Archäologen zudem herausfanden, ist das Grab von von Saint-Paul-Trois-Châteaux kein Einzelfall. Auf der Suche ach ungewöhnlich positionierten Toten aus der Jungsteinzeit wurden sie in mindestens 20 Fällen fündig.
„Diese Vorfälle positioneller Asphyxie und erzwungener Selbststrangulation überspannen fast 2000 Jahre der Geschichte und verschiedenste Regionen Europas“, resümieren sie. Und die Dunkelziffer könnte noch höher sein. „Unsere Zahl ist sicher stark unterschätzt“, so Ludes.
Noch früher sind die Fälle ritueller Tötung in den tschechischen Silo- und Grubengräbern der Linearbandkultur im Tal der Donau. Dort könnten schon vor gut 7000 Jahren Menschen auf diese Weise getötet worden sein.
Auch in Sachsen-Anhalt starb eine Frau vor rund 6300 Jahren durch langsames Erdrosseln. Die jüngsten Fälle solcher Tötungen ereigneten sich vor rund 5500 Jahren in Südfrankreich und Nordspanien.