Der Bundestrainer Joachim Löw bleibt vor dem Alles-oder-Nichts-Spiel gegen Ghana optimistisch. Foto: dpa

Achtelfinale - oder Heimreise? "Wir werden weiterkommen", versichert Löw.

Pretoria - Über dem Mannschaftshotel Grande Velmore lacht seit Tagen die Sonne. Auch wenn die Temperaturen in Pretoria nachts bis auf den Gefrierpunkt sinken - tagsüber ist derjenige nicht falsch beraten, der im kurzen Hemd herumläuft. Aber wie gesagt: Es ist alles eine schöne Illusion. Der Tag verspricht mehr, als er am Ende hält. Gilt das auch für den sportlichen Bereich?

Die klugen Köpfe an der Spitze der Nationalmannschaft verbreiten einen scheinbar unerschütterlichen Optimismus, der manch einem nach dem 0:1 gegen Serbien eine Spur zu groß vorkommt. "Von so einem Spiel lassen wir uns nicht aus der Ruhe bringen", sagt Joachim Löw. "Vor Ghana muss man keine große Angst haben", sagt Teammanager Oliver Bierhoff. "Ich mache mir überhaupt keine Sorgen. Wir werden Ghana ausschalten", sagt Kapitän Philipp Lahm.

Wirklich? Ist die deutsche Elf bereit für die WM? Oder ist sie zu jung und die Hürde zu hoch? Eine Bestandsaufnahme:

Wer verteidigt hinten links?

Wer Holger Badstuber im Duell gegen den Serben Milos Krasic gesehen hat, dem musste der Jungprofi des FC Bayern leidtun. Badstuber (21) sah gegen den ausgebufften Kontrahenten selten Land. Krasic konnte ungehindert die Flanke vors deutsche Tor schlagen, die zum 0:1 führte. Trotzdem durfte Badstuber 77 Minuten lang durchspielen. "Er hat sicherlich den einen oder anderen Fehler gemacht. Er stand vielleicht bei der Flanke zum 0:1 nicht optimal, aber man kann in Unterzahl nicht jeden Angriff des Gegners abfangen", erklärte Löw. Zumal die Mitspieler Badstuber schmählich im Stich ließen - sowohl sein Vordermann Lukas Podolski, der kaum etwas für die Defensive tat, als auch seine Abwehrkollegen Arne Friedrich, Per Mertesacker oder Philipp Lahm. Erst hinterher übernahm Kapitän Lahm Verantwortung: "Per, Arne und ich sind im Zentrum nicht geordnet gestanden."

So oder so: An Badstuber scheiden sich die Geister - zumindest, solange der gelernte Innenverteidiger außen spielt. "Dort hat er seine Probleme mit schnellen, quirligen Gegenspielern", urteilte Franz Beckenbauer. Auch Lothar Matthäus sieht "auf der linken Abwehrseite ein großes Problem".

Joachim Löw hält wohl an Badstuber fest, er fühlt sich als dessen Mentor: "Holger zeigt keine Nervosität und hat viel Potenzial. Er wird für Deutschland in den nächsten Jahren eine wichtige Rolle spielen."

Wer macht das Spiel?

Keine Frage, Mesut Özil besitzt gute Anlagen als Spielgestalter. Gegen Australien lief der Bremer zu großer Form auf, gegen Serbien war von seinen Zauberpässen aber nichts zu sehen. Nach der Gelb-Roten Karte für Miroslav Klose hatte sich Joachim Löw nicht getraut, den Stürmer durch einen anderen Angreifer zu ersetzen, weil er sich vor dem 0:2 und der vorzeitigen Entscheidung fürchtete. Stattdessen schob er Özil in den Angriff vor und nahm ihn dann nach 70 Minuten völlig überraschend vom Platz - gerade, als Özil angefangen hatte, mit ein paar feinen Pässen seine Mitspieler einzusetzen. "Mesut ist sehr viel gelaufen", begründete Löw seinen Schritt. Auch Özil ist erst 21 Jahre alt und WM-Neuling. Kein Wunder, wenn ihm die Strapazen eines großen Turniers zusetzen.

Wer ersetzt Miroslav Klose?

Nach der Gelb-Roten Karte für den Münchner ist Cacau (29) die erste Option als Ersatz. "Ich möchte dahin kommen, dass ich in der ersten Elf stehen kann. Dafür gebe ich alles, und ich glaube, dass ich auch das Zeug dazu habe", sagt der Stürmer des VfB Stuttgart selbstbewusst. Cacau hat in zehn Länderspielen vier Tore erzielt, alle seit Beginn der WM-Vorbereitung. Bei der WM ist er Löws erster Sturm-Joker. "Er hätte es verdient, von Anfang an zu spielen", sagt der Trainer.

Andererseits ist Cacau ein anderer Stürmertyp als Klose. Der Münchner ist der typische Keilstürmer, Cacau dagegen kommt aus der Tiefe, weicht gern auf die Flügel aus - ein Kombinationsstürmer. Löw müsste auf ein System mit zwei Stürmern umstellen, was er am liebsten vermeiden würde. Dennoch hat Cacau die Nase vorn, denn es gibt keine überzeugende Alternative für ihn. Mario Gomez (24) spielte gegen Australien 16, gegen Serbien 13 Minuten lang, beide Male ohne jede Wirkung. Der 36-malige Nationalspieler (zwölf Tore), der beim FC Bayern in der Rückrunde der vergangenen Bundesligasaison vornehmlich die Ersatzbank drückte, hat null Selbstvertrauen. Ex-Nationalspieler Günter Netzer fällt ein hartes Urteil: "Da hilft nicht einmal mehr Hoffnung. Er drängt sich zu wenig auf, er will zu wenig." Das gilt auch für Stefan Kießling (26). Der Bundesliga-Torschützenkönig (21 Saisontore) war in der Vorbereitung außer Form und hat als Kandidat Nummer vier nicht an Selbstsicherheit zugelegt.

Wer schießt die Elfmeter?

Lukas Podolski und Bastian Schweinsteiger gelten als sichere Schützen. Gegen Serbien trat Podolski an. Nachdem er aus dem Spiel heraus einige Groß-Chancen vergeben hatte, wollte er wenigstens vom Elfmeterpunkt aus glänzen, dachte sich der Kölner - und verschoss. Schon beim Anlauf hatte seine Körpersprache auf ein geringes Selbstvertrauen hingedeutet. "Bisher war Lukas ein sicherer Schütze. Es kann aber durchaus sein, dass Bastian Schweinsteiger den nächsten Elfmeter schießt", sagt Löw.

Behält Joachim Löw die Übersicht?

Der Freiburger lässt sich anscheinend durch nichts aus der Ruhe bringen. Das war schon vor dem Turnier bei der schier unheimlichen Verletzungsserie seiner WM-Kandidaten Michael Ballack, Christian Träsch und Heiko Westermann so, und es setzte sich in Südafrika zunächst fort.

Zuletzt litt der souveräne Eindruck aber. Nach dem Spiel gegen Serbien verwechselte er den Gegner mit Bosnien und Kroatien, und über die Fifa-Regel mit den Gelben Karten wusste er trotz Einweisung nicht Bescheid. Auch für Löw ist es die erste WM als Bundestrainer. Ex-Teamchef Franz Beckenbauer hatte ihn gewarnt: "Jogi, der WM-Stress ist groß. Du wirst hinterher ein paar Kilo leichter sein."

Das sind die Gefahrenherde im deutschen Spiel, sie gilt es einzudämmen. Dazu bedarf es keiner Hexerei. Die Mannschaft ist zwar nicht so überragend, wie manche sie nach dem 4:0 gegen Australien gemacht haben. Sie ist aber besser, als es das 0:1 gegen Serbien ausdrückt - und an einem normalen Tag mit Sicherheit stark genug, um die Hürde Ghana zu überspringen.