Bei der Razzia in Pfinztal (Kreis Karlsruhe). Foto: StN/StZ/Feyder

Sie sollen bereits eine eigene Staatsform ausgearbeitet haben, die sie nach einem Umsturz einsetzen wollten. Jetzt hat die Polizei in einer Großaktion eine mutmaßliche terroristische Vereinigung ausgehoben. Ein Schwerpunkt: Baden-Württemberg.

In den frühen Morgenstunden läuft eine Aktion an, wie sie Deutschland selten zuvor gesehen hat. Unter der Regie der Bundesanwaltschaft in Karlsruhe durchsuchen Tausende Polizisten 130 Häuser in elf Bundesländern. Spezialeinheiten sind im Einsatz, weil die Zielpersonen als gefährlich und gewaltbereit eingeschätzt werden. Denn sie werden der Reichsbürgerszene zugerechnet, die die Existenz der Bundesrepublik Deutschland leugnet.

Nach einer ersten Bilanz der Bundesanwaltschaft am Morgen richtete sich die Aktion gegen 52 Beschuldigte. 25 Menschen wurden festgenommen, 21 Männer und vier Frauen. Es handelt sich um 24 deutsche und eine russische Staatsangehörige. Gegen sie lagen Haftbefehle des Bundesgerichtshofs vor. Die Ermittler griffen nicht nur in Deutschland zu, sondern auch in Kitzbühel (Österreich) sowie in Perugia (Italien).

Die Festgenommenen und weitere Verdächtige werden beschuldigt, Mitglieder oder Unterstützer einer terroristischen Vereinigung zu sein. Diese soll spätestens Ende November 2021 gegründet worden sein. Und zwar mit dem Ziel, „die bestehende staatliche Ordnung in Deutschland zu überwinden und durch eine eigene, bereits in Grundzügen ausgearbeitete Staatsform zu ersetzen“, heißt es bei der Bundesanwaltschaft. Den Angehörigen der Vereinigung sei dabei bewusst gewesen, dass dieses Vorhaben nur durch den Einsatz militärischer Mittel und Gewalt gegen staatliche Repräsentanten verwirklicht werden könne. Eingeschlossen seien dabei auch mögliche Tötungsdelikte.

Bei den Mitgliedern und Unterstützern der Gruppierung soll es sich um eine Mischung aus Verschwörungstheoretikern, Reichsbürgern und Anhängern der QAnon-Ideologie handeln. Sie seien der festen Überzeugung, dass Deutschland derzeit von Angehörigen eines sogenannten „Deep State“ regiert werde und befreit werden müsse, woran sie sich gewaltsam beteiligen wollten. Die Beschuldigten verbinde „eine tiefe Ablehnung der staatlichen Institutionen und der freiheitlich demokratischen Grundordnung der Bundesrepublik Deutschland“, so die Ermittler.

Heimatschutzkompanien geplant

Wie diese Befreiung vor sich gehen soll, davon gab es offenbar schon konkrete Vorstellungen. Die klingen völlig absurd: Die Gruppenmitglieder gingen nach Angaben der Bundesanwaltschaft davon aus, dass das Einschreiten einer sogenannten „Allianz“ unmittelbar bevorstehe. Sie bestehe aus einem technisch überlegenen Geheimbund von Regierungen, Nachrichtendiensten und Militärs verschiedener Staaten, einschließlich Russlands und der USA. Die Vereinigung sei der festen Überzeugung, dass sich Angehörige dieser „Allianz“ bereits in Deutschland aufhielten, um den Angriff vorzubereiten.

Die Gruppe selbst plante offenbar, die Macht durch eine Reihe von ihr gegründeter Heimatschutzkompanien zu übernehmen. Ein militärischer Arm sollte dabei eine Art Säuberung auf allen Verwaltungsebenen übernehmen, wobei auch Tote in Kauf genommen werden sollten. Auch die Bildung einer militärischen Übergangsregierung war vorgesehen. Sie sollte – getreu der Reichsbürgerauffassung, die Bundesrepublik gebe es gar nicht – mit den alliierten Siegermächten des 2. Weltkriegs verhandeln. Zentraler Ansprechpartner für diese Verhandlungen sollte aus Sicht der Vereinigung derzeit ausschließlich Russland sein. Einer der Beschuldigten hatte dafür offenbar bereits Kontakt mit Vertretern Russlands in Deutschland aufgenommen. „Nach den bisherigen Ermittlungen gibt es allerdings keine Anhaltspunkte dafür, dass die Ansprechpartner auf sein Ansinnen positiv reagiert haben“, heißt es in Karlsruhe

Neues Staatsoberhaupt stand bereits fest

Die Vorbereitungen der Gruppierung auf ihr selbst entworfenes Szenario waren offenbar gründlich. Sie hat verwaltungsähnliche Strukturen geplant, Ausrüstung beschafft, Mitglieder angeworben und Schießtrainings veranstaltet. Auch ein zukünftiges Staatsoberhaupt und verschiedene Ressortchefs aus den Reihen der Mitglieder standen schon fest. Der militärische Arm soll ebenfalls bereits weit fortgeschritten sein in seinen Vorbereitungen. In ihm sollen auch ehemalige Bundeswehrmitglieder aktiv gewesen sein.

Im Fokus der Rekrutierungsbemühungen der Vereinigung sollen vor allem Angehörige der Bundeswehr und der Polizei gestanden sein. Im Sommer soll es in Baden-Württemberg zu vier Treffen gekommen sein, bei denen für die Gruppe geworben wurde. Im November soll es in Norddeutschland entsprechende Versuche gegeben haben. Auch Bundeswehrkasernen in Baden-Württemberg, Bayern und Hessen sind offenbar ausgekundschaftet worden, um dort nach einem Umsturz die eigenen Truppen unterzubringen. Möglicherweise gab es auch Pläne, gewaltsam in den Bundestag einzudringen.

15 Kreise in Baden-Württemberg betroffen

Ein Schwerpunkt der Razzien lag gemäß den Erkenntnissen in Baden-Württemberg. Dort habe es Durchsuchungen in 15 Stadt- und Landkreisen gegeben, sagte eine Sprecherin der Bundesanwaltschaft unserer Zeitung. Es soll sich um mindestens 30 Wohnungen gehandelt haben. Im Südwesten lag der Schwerpunkt des Einsatzes von Spezialeinsatzkommando (SEK) und Beweissicherungs- und Festnahmeeinheiten (BFE) nach Informationen unserer Zeitung in den Landkreisen Karlsruhe und Pforzheim.

In Pfinztal-Wöschbach (Landkreis Karlsruhe) drangen Elitepolizisten des SEK in das Haus eines Beschuldigten ein, nachdem sie zur Ablenkung einen Knallkörper gezündet hatten. Die Beamten hatten sich dem Mehrfamilienhaus in einem gepanzerten Einsatzfahrzeug genähert.

Schusswechsel im April

Im April hatte ein mutmaßlicher Reichsbürger bei einer Razzia einen SEK-Beamten niedergeschossen und schwer verletzt. Es entwickelte sich der längste Schusswechsel zwischen Polizisten und einem Straftäter seit der Festnahme des RAF-Terroristen Andreas Baader 1972. Damals musste Baden-Württemberg nach Beginn der Schießerei ein gepanzertes Fahrzeug vom SEK in Nürnberg anfordern, weil das eigene SEK noch nicht über einen derartigen Panzer verfügte.

Aktuell sind bei den Durchsuchungen auch Ermittler des Bundes- und Landeskriminalamtes, Bereitschaftspolizisten, Diensthunde sowie Sprengstoffexperten eingesetzt.