Es ist eine Gewissensfrage: Für Anleger hat die Frage angesichts einer neuen Bedrohungslage große Aktualität. Politiker und Rüstungslobbyisten fordern mehr Engagement von der Finanzwirtschaft – eine brisante Angelegenheit.
– Rüstungsfinanzierung ist traditionell ein heikles Thema – besonders für Banken, Investmentfonds und Versicherer, die große Sparvermögen verwalten. Viele Privatanleger wollen mit Waffenproduzenten wegen ethischer und moralischer Bedenken nichts zu tun haben, ähnlich wie mit Tabakkonzernen, Glückspiel- oder Pornoanbietern. Mit dem Krieg Russlands gegen die Ukraine hat zwar ein Umdenken eingesetzt – laut Umfragen spricht sich die Mehrheit der Deutschen inzwischen für höhere Verteidigungsausgaben aus. Ob die Menschen aber auch befürworten würden, dass ihr eigenes Geld von Finanzdienstleistern in Rüstung gesteckt wird, ist eine andere Frage.
Fest steht, dass der boomende Verteidigungssektor zurzeit mit starken Renditen lockt. Seit dem russischen Einmarsch in die Ukraine im Februar 2022 sind Wehrtechnikunternehmen an der Börse im Höhenflug. Die Aktie des Düsseldorfer Rüstungskonzerns Rheinmetall ist in den vergangenen zwei Jahren von unter 100 auf über 520 Euro gestiegen. Das im Jahr 1889 gegründete Unternehmen, das im März 2023 in den Dax aufstieg, steigert Gewinn und Erlöse rasant und sitzt weiterhin auf prall gefüllten Auftragsbüchern. Auch die auf Verteidigungs- und Sicherheitselektronik spezialisierte Hensoldt AG und der seit Februar an der Börse notierte Augsburger Panzergetriebehersteller Renk stehen am Finanzmarkt hoch im Kurs.
Aktien von Rüstungsfirmen oder entsprechende Themenfonds sind für Privatanleger frei verfügbar. Doch geht es über individuelle Investmententscheidungen hinaus, so agiert die Finanzbranche zurückhaltend – kein Wunder bei dem kontroversen Thema. Politiker wie Bundesfinanzminister und FDP-Chef Christian Lindner hätten gern, dass die Finanzwirtschaft sich bei der Aufrüstung stärker einsetzt. „Banken, Versicherungen und Fonds sollten Engagements nicht mehr scheuen, weil sie um ihr Bild in der Öffentlichkeit fürchten“, sagte Lindner der Nachrichtenagentur Reuters im Februar am Rande der Münchner Sicherheitskonferenz.
Rund zwei Jahre sind vergangen, seit Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) in seiner „Zeitenwende“-Rede einen Sonderetat von 100 Milliarden Euro zur Aufrüstung der Bundeswehr ankündigte. Wie stark die Verteidigungsindustrie expandiert, machte Rheinmetall-Chef Armin Papperger kürzlich bei der Präsentation der Jahresbilanz deutlich: „Wir haben vor dem Ukraine-Krieg pro Jahr 70 000 Schuss Artilleriemunition produziert. Wir sind für dieses Jahr bei 700 000 Schuss. Und wir zielen auf 1,1 Millionen pro Jahr.“ Dennoch geht es nicht allen schnell genug – Bundesverteidigungsminister Boris Pistorius (SPD) forderte jüngst mehr Tempo von der Rüstungsbranche und mahnte, Deutschland müsse mit Blick auf Russland möglichst rasch „kriegstüchtig“ werden.
Trotz des enormen Sondervermögens, das die Bundesregierung zur Aufstockung der Militärausgaben eingerichtet hat, bleibt die längerfristige Finanzierung der Aufrüstungsoffensive ungewiss. „Der Staat ist zwar Auftraggeber und Kunde der Sicherheits- und Verteidigungsindustrie, aber dennoch benötigen die Unternehmen private Investitionen und Finanzierungen“, erklärte Finanzminister Lindner. Deshalb sei eine zweite Zeitenwende nötig, die die Reputation und Rahmenbedingungen verbessere. Bei der Rüstungslobby rennt der FDP-Chef mit seiner Initiative offene Türen ein – sie fordert von EU-Regulierern, Investitionen in Verteidigung als nachhaltig einzustufen.
Damit würde Waffenherstellern das sogenannte ESG-Siegel verliehen, das anhand der Kategorien Umwelt, Soziales und Unternehmensführung (Environmental, Social, Governance, kurz ESG) Standards für besonders verantwortungsvolle Geldanlage setzen soll. Der Bundesverband der Deutschen Sicherheits- und Verteidigungsindustrie (BDSV) sieht die Branche schon lange zu Unrecht verschmäht . Unter dem Motto „Sicherheit ist die Mutter aller Nachhaltigkeit“ trommelt BDSV-Hauptgeschäftsführer Hans Christoph Atzpodien dafür, Rüstungsfirmen attraktiver zu machen für die immensen Finanzmittel, über die Banken, Versicherungen und Investmentfonds verfügen.
Bislang kommt Verteidigung in den ESG-Regeln der EU nicht vor
Auf Anfrage unserer Zeitung hielten sich die zentralen Investment- und Bankenverbände bedeckt zu den Forderungen aus Politik und Verteidigungsbranche. In Finanzkreisen wird der Vorstoß aber kritisch gesehen. Es sei kein Geheimnis, dass viele Anleger, die sich für nachhaltige Finanzprodukte entschieden, Investitionen in Rüstungsfirmen ablehnten, sagt ein Vertreter der Fondsbranche hinter vorgehaltener Hand. Die Brisanz wird auch am Statement der Triodos-Bank deutlich, die Kunden verspricht, mit ihrem Geld ausschließlich Projekte und Firmen mit sozialem, ökologischem oder kulturellem Mehrwert zu unterstützen: „Waffen sind kein nachhaltiges Investment – wir lehnen es strikt ab, dass private Unternehmen aus der Rüstungsindustrie am Leid anderer in Kriegsgebieten profitieren.“
Differenzierter fällt die Position der Versicherungswirtschaft aus. „Investitionen in die Hersteller kontroverser und international geächteter Waffensysteme – zum Beispiel Antipersonenminen und Streumunition – werden von praktisch allen Versicherern ausgeschlossen“, teilt der Branchenverband GDV mit. Der Verband habe jedoch keine Empfehlungen oder Hinweise veröffentlicht, dass Versicherer Rüstungshersteller generell ausschließen sollten.
Bislang kommt Verteidigung in den ESG-Regeln der EU nicht vor, das könnte sich aber noch ändern. Die Regulierer haben auch schon Atomkraft und Erdgas das für Investoren am Finanzmarkt wichtige Nachhaltigkeitslabel verliehen – sehr zum Ärger von Umweltschützern.