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Banken können erstmals in der Nachkriegsgeschichte Deutschlands verstaatlicht und ihre Eigentümer enteignet werden. Die Bundesregierung billigte am Mittwoch das "Rettungsübernahmegesetz".

Berlin - Banken können erstmals in der Nachkriegsgeschichte Deutschlands verstaatlicht und ihre Eigentümer enteignet werden. Die Bundesregierung billigte am Mittwoch das "Rettungsübernahmegesetz", das eine Verstaatlichung maroder Banken als letzte Option vorsieht.

Das umstrittene Gesetz soll nur bis Ende Juni gelten und ist auf die Rettung der ums Überleben kämpfenden Hypo Real Estate zugeschnitten. Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) und Finanzminister Peer Steinbrück (SPD) verteidigten den massiven Eingriff des Staates als letzte Option. Merkel nannte das Gesetz "alternativlos". Man habe international zugesichert, keine Bank mit großer Bedeutung für die Volkswirtschaft - wie die Hypo Real Estate (HRE) - in die Pleite gehen zu lassen. Steinbrück warnte, ein HRE-Kollaps könne eine globale Erschütterungsdynamik auslösen. "Niemand in der Bundesregierung will den staatlichen Einfluss erweitern." Grüne und Gewerkschaften lobten den Plan, Kritik kam von Wirtschaft, Aktionärsschützern und FDP.

Steinbrück bekräftigte, dass eine Enteignung nur letztes Mittel zur Rettung der HRE sei. Die Regierung habe keine anderen Banken im Visier. Auch sei dies für keinen anderen Fall absehbar. Zuvor müssten alle anderen Maßnahmen zum Erwerb einer Kontrollmehrheit des Staates bei der Bank gescheitert sein. Er verwies darauf, dass in den USA und Großbritannien ohne großes Getöse Banken verstaatlicht worden seien. In Deutschland werde dagegen eine Debatte geführt, "als geht es um mehr als Leben und Tod". Niemand wolle die soziale Marktwirtschaft aushebeln.

Laut Steinbrück wird nach den Abstimmungen im Bundestag eine Zustimmung des Bundesrates am 3. April angestrebt. Auch ein Übernahmeangebot an alle Aktionäre ist noch möglich. Anfang April könnten auf einer Sonder-Hauptversammlung der HRE die Maßnahmen - Herabsetzung des Grundkapitals plus hohe Kapitalerhöhung - zur Rettung beschlossen werden. "Dafür gibt es Chancen", sagte Merkel. Nur wenn dies misslinge, werde zur "ultima ratio" gegriffen.

Steinbrück betonte, sollten Aktionäre nicht mehrheitlich zustimmen oder klagen, werde es notfalls eine Enteignung geben. Die Gespräche mit dem amerikanischen HRE-Großaktionär J.C. Flowers würden fortgesetzt: "Bisher sind diese Gespräche nicht zu einem Ergebnis geführt worden, die uns von diesem Weg abbringen können."

Verstaatlichte Banken sollen wieder privatisiert werden, sobald sie stabilisiert sind. Aktionäre sollen entschädigt werden. Zudem können sie nach der Sanierung bevorzugt Anteile zurückkaufen. Die Möglichkeit, ein Enteignungsverfahren einzuleiten, endet am 30. Juni 2009. Die Rechtsverordnung für die Umsetzung kann nur bis 31. Oktober erlassen werden. Das Wirtschafts- und das Justizministerium sollen jetzt "Restrukturierungsmodelle" prüfen, wie der Staat in künftigen Fällen auch in anderen Branchen ohne Enteignung eingreifen könnte.

Die HRE wird mit Garantien und Kapitalhilfen von 102 Milliarden Euro gestützt. Davon sind 87 Milliarden Steuergelder. Der Münchner Finanzkonzern, der auf Pfandbriefe und Immobiliengeschäfte spezialisiert ist, benötigt noch mehr Milliarden. Laut Steinbrück ist der Kapitalbedarf der HRE "exorbitant hoch". Auch um Interessen der Steuerzahler zu wahren, dringt der Bund bei der HRE jetzt auf eine Kontrollmehrheit (75 Prozent und eine Aktie oder 95 Prozent).

Das Kabinett beschloss auch Änderungen am Banken-Rettungspaket von 480 Milliarden Euro. Die Zeit staatlicher Garantien für Bank- Anleihen wurde auf fünf Jahre bis maximal Ende 2014 ausgeweitet. Auch werden Abstimmungsquoten auf Hauptversammlungen für Kapitalmaßnahmen gesenkt sowie Fristen zur Einberufung von Aktionärstreffen verkürzt. Es soll ein Schadensersatzanspruch eingeführt werden, wenn Aktionäre Hilfsmaßnahmen blockieren. Übernahmeangebote werden erleichtert.

Der Präsident des Bundesverfassungsgerichts, Hans-Jürgen Papier, wies in der Zeitung "Die Welt" darauf hin, dass Enteignungen immer nur das letzte Mittel sein dürften. Die Deutsche Schutzvereinigung für Wertpapierbesitz (DSW) drohte mit einer Klage gegen eine mögliche Enteignung bei der HRE.

Arbeitgeberpräsident Dieter Hundt zeigte sich entsetzt: "Ein solch gravierender Tabubruch muss verhindert werden." FDP-Chef Guido Westerwelle sagte: "Hundert Konjunkturpakete können nichts bewirken, wenn ein einziges Enteignungsgesetz die Investoren aus Deutschland vertreibt." Der DGB nannte eine Verstaatlichung überfällig.

Links-Parteichef Oskar Lafontaine warf Merkel vor, "keine klare Linie" in der Finanzkrise zu haben. Der Grüne Jürgen Trittin sagte: "Es ist richtig, dem Steuerzahler bei einer Bank, die er mit über Hundert Milliarden Steuergeldern gerettet hat, auch Kontrolle und Sicherheiten zu verschaffen."