Notärzte und Rettungswagen sind in Stuttgart im Dauereinsatz – und kommen häufig kaum noch hinterher. Foto: Lichtgut/Achim Zweygarth

Die Zahl der Einsätze steigt und es fehlt an Mitarbeitern: Trotz zusätzlicher Rettungswagen sind die Hilfskräfte in Stuttgart massiv überlastet. Wegen des Personalmangels bleiben immer öfter Fahrzeuge stehen. Die Stadt will jetzt eine Übersicht über die Ausfälle.

Stuttgart - Der Rettungsdienst in Stuttgart ist erneut in Schwierigkeiten. Was unsere Zeitung bereits vor einigen Monaten anhand von Einsatzprotokollen berichtet hat, ist jetzt offiziell. Zwar sind in den vergangenen eineinhalb Jahren zwei zusätzliche Rettungswagen und ein weiterer Notarzt in Dienst gegangen, doch die Lage hat sich dennoch verschlechtert. Weil es massive Probleme gibt, genug Mitarbeiter zu finden, fallen immer wieder Schichten aus. Fahrzeuge, die eigentlich Entlastung schaffen sollten, bleiben deshalb zu oft stehen. Jetzt reagiert die Stadt als Rechtsaufsicht.

„Wir haben den zuständigen Bereichsausschuss aus Krankenkassen und Rettungsorganisationen angeschrieben. Wir wollen die Besetzung der Rettungswagen sehen“, sagt Stadtdirektor und Feuerwehrchef Frank Knödler. Er betont, dass das für alle Organisationen gelte, die in der Landeshauptstadt am Rettungsdienst beteiligt sind – auch die Feuerwehr. „Die Branddirektion wird ebenfalls darlegen, wann sie Autos stillegen muss“, so Knödler. Das Einsatzaufkommen steige stetig, es gebe aber kaum noch neues Personal: „Es ist zurzeit sehr eng. Der Markt hat sich verändert, viele Hilfsorganisationen bekommen gewaltige Probleme, Leute zu finden.“

Gesetzliche Vorgabe wird nicht eingehalten

In Stuttgart wirkt sich das bereits aus. Im vergangenen Jahr wurde die gesetzliche Hilfsfrist noch eingehalten. Sie besagt, dass die Retter in 95 Prozent aller Fälle in höchstens 15 Minuten am Einsatzort sein müssen. Inzwischen hat sich die Situation aber verschlechtert. „Wir liegen in diesem Jahr bisher unter dieser Marke“, sagt Knödler. Grund genug, jetzt erneut einzugreifen.

Auswirkungen hat die Lage auch auf so manches private Krankentransportunternehmen. Die werden nämlich immer wieder angefragt, als First Responder, also Ersthelfer, zu Notfalleinsätzen zu fahren, wenn kein Notarzt oder Rettungswagen zur Verfügung steht. „Grundsätzlich ist das legal. Ich halte es aber für fragwürdig, wenn solche Einsätze nicht als hilfsfristrelevante Notfälle im System auftauchen“, sagt ein Betroffener. Auf diese Weise würden die Zahlen schöngerechnet: „Die veröffentlichten Werte sind Makulatur. So kann es nicht weitergehen.“

Beschwerden beim Innenministerium

Inzwischen liegen deswegen Beschwerden gegen die Stuttgarter Rettungsleitstelle sowohl beim Innenministerium als auch beim Regierungspräsidium vor. Im Ministerium bestätigt man ein „intensives Prüfverfahren“, zu dem man nichts sagen könne, weil es noch laufe. „Wir nehmen das ernst“, heißt es auch aus dem Regierungspräsidium. Man höre derzeit die Beteiligten an.

Die Stuttgarter Feuerwehr und das DRK haben inzwischen eine Stellungnahme zu den Vorwürfen verfasst. Für Knödler sind sie schlicht „Quatsch“. Wenn jemand anderes als Notarzt oder Rettungswagen als Erster zum Einsatzort fahre, gehe diese Fahrt nicht in die Hilfsfristerfassung ein – sehr wohl aber die des nachfolgenden offiziellen Rettungsfahrzeuges. Es werde also nicht geschönt. „Selbst die Feuerwehr muss immer wieder auf diese Weise aushelfen“, so Knödler. Rund 500 Rettungsdiensteinsätze pro Jahr mache man als First Responder mit Löschfahrzeugen, weil nichts anderes verfügbar sei. Auch das zeigt, wie eng es bei den Rettern derzeit ist.

Hintergrund: Landesweit Probleme

Die Einsatzzahlen von Rettungswagen und Notarzt steigen seit Jahren. Dafür gibt es mehrere Gründe. Als Hauptursache vermuten Experten, dass die Menschen einfach schneller die 112 wählen als früher. Auch in Fällen, in denen es nur um Lappalien geht oder eigentlich der ärztliche Bereitschaftsdienst unter der Rufnummer 116 117 zuständig ist.

Hinzu kommen massive Personalprobleme. Grund dafür ist das neue Notfallsanitätergesetz. Es sieht eine Umstellung vom bisher üblichen Rettungsassistenten auf Notfallsanitäter vor. Sie haben größere Kompetenzen, müssen allerdings auch länger ausgebildet werden. Deshalb ist ein kompletter Ausbildungsjahrgang weggefallen, der nun überall fehlt. Bundesweit suchen deshalb Hilfsorganisationen händeringend nach geeignetem Personal. Manche Kreisverbände setzen inzwischen Prämien für neue Mitarbeiter aus.

Probleme machen auch immer häufiger Gaffer oder Übergriffe auf Rettungsdienstmitarbeiter.

Die landesweite Bilanz für das vergangene Jahr liest sich sehr bescheiden. Von den 34 Rettungsdienstbereichen in Baden-Württemberg konnten bei den Rettungswagen nur acht, bei den Notärzten gar nur zwei die gesetzlichen Vorgaben einhalten. Zu viele Fahrzeuge haben nach wie vor zu lange gebraucht, um am Einsatzort einzutreffen. Das Problem setzt sich fort bei den Krankentransporten. Die Wartezeiten für Patienten, die zur Dialyse oder zum Arzt gebracht werden müssen, liegen oft weit außerhalb der einen Stunde, die die Landesregierung als sinnvolle Grenze nennt.

In der Region Stuttgart hat sich die Lage im vergangenen Jahr unterschiedlich gezeigt. Der Rettungsdienstbereich Böblingen hat die Vorgaben deutlich verfehlt. Auch Esslingen, der Rems-Murr-Kreis und Ludwigsburg haben es nicht geschafft, oft genug innerhalb der gesetzlich gesetzten Frist ihre Einsätze zu fahren. Verschiedene Bereiche haben bereits Gegenmaßnahmen angekündigt oder umgesetzt. In Stuttgart und Göppingen dagegen sah es gut aus – sowohl Notärzte als auch Rettungswagen konnten die Vorgaben erfüllen. Allerdings bleibt das System auch hier auf Kante genäht, wie sich nun an den Problemen in Stuttgart zeigt. (jbo)