Die Rentenreform sorgt für Zündstoff Foto: Fotolia

Hat die abschlagsfreie Rente ab 63 das Zeug zum Koalitions-Bruch? Unions­-abgeordnete drohen schon mal mit dem Scheitern des Vorhabens. Dann wäre freilich auch Schwarz-Rot am Ende.

Hat die abschlagsfreie Rente ab 63 das Zeug zum Koalitions-Bruch? Unions-abgeordnete drohen schon mal mit dem Scheitern des Vorhabens. Dann wäre freilich auch Schwarz-Rot am Ende.

Berlin - In der Unionsfraktion gärt es. Unterschriftenlisten kursieren, mit offenem Widerstand gegen die Regierungslinie wird gedroht, heftige Vorwürfe gegen die SPD werden laut. Sie zielen alle gegen Arbeitsministerin Andrea Nahles (SPD). „Eine unglaubliche Disziplinlosigkeit“ nennt zum Beispiel Christian von Stetten, Vorsitzender des Parlamentskreises Mittelstand in der Union, ihr Vorgehen im Gespräch mit unserer Zeitung.

Auslöser des massiven Unmuts in der Union ist der Gesetzentwurf der Ministerin zur Rente mit 63. Der macht es Beschäftigten mit 45 Beitragsjahren möglich, schon mit 63 Jahren in den Ruhestand zu gehen. Bei den 45 Jahren will Nahles aber auch Zeiten des Bezuges von Arbeitslosengeld I mit anrechnen. So haben wir nicht gewettet, sagen nun viele Unionsabgeordnete. Haben wir doch, sagt die SPD – und hat im Prinzip Recht. Im Koalitionsvertrag heißt es ausdrücklich, dass die Beitragsjahre „einschließlich Zeiten der Arbeitslosigkeit“ gerechnet werden sollen. Klingt eindeutig, aber dennoch gibt es über die Auslegung Streit.

In einer Fraktionssitzung am Rande der Koalitionsverhandlungen habe Ursula von der Leyen, die Verhandlungsführerin der Union, den Abgeordneten seinerzeit versichert, „dass mündlich eine Begrenzung vereinbart worden ist“, berichtet von Stetten. Tatsächlich hatte auch Bundeskanzlerin Angela Merkel auf dem kleinen Parteitag der CDU, der den Koalitionsvertrag absegnete, per Zwischenruf vom Podium aus, aufkommende Kritik mit dem Hinweis auf eine vereinbarte Begrenzung erstickt. Es heißt in der Union, auf eine schriftliche Fixierung im Koalitionsvertrag habe man mit Rücksicht auf den noch unsicheren Ausgang der SPD-Mitgliederbefragung verzichten müssen. Allerdings gibt es weit und breit nicht einmal eine Protokollnotiz, die diese Sicht der Dinge belegen könnte.

Die Sache ist vor allem für den Wirtschaftsflügel der Union keine Kleinigkeit. Dort befürchtet man eine kostspielige Frühverrentungswelle. Sollten die Arbeitslosenzeiten angerechnet werden, könnte sich manch Beschäftigter mit 61 Jahren arbeitslos melden, bis er dann schließlich mit 63 abschlagsfrei in Rente geht. Von Stetten will die Arbeitslosenzeiten „komplett streichen“. Auch der wirtschaftspolitische Sprecher der Unionsfraktion, Joachim Pfeiffer, würde die Regelung „am besten ganz herausnehmen“. Er sagt, dass „das Unwohlsein in der Fraktion riesengroß“ sei.

Es ist jedenfalls so groß, dass es die SPD nicht ignorieren kann. Und es geht weit über den Wirtschaftsflügel der Union hinaus. CDU-Vize Julia Klöckner teilt die Kritik, auch Peter Weiß, Chef der Arbeitnehmergruppe in der Bundestagsfraktion. Ein ausgewiesener Sozialpolitiker also. Aber auch er bezeichnet die umstrittene Regelung als „Quatsch“. Die SPD, sagt er unserer Zeitung „reitet da ein totes Pferd“. Der normale Arbeitnehmer würde die Rente mit 63 Jahren als Belohnung für 45 Arbeitsjahre ansehen. „Alles andere sehen die Leute doch gar nicht ein.“ Wenn sich die SPD nicht bewege, berge das Thema „Sprengstoff“.

In der Union kursieren derweil Unterschriftenlisten. Ungefähr fünf Dutzend Abgeordnete sollen bereits eine Erklärung unterschrieben haben, die unserer Zeitung vorliegt. Darin heißt es: „Eine Anrechnung von Arbeitslosenzeiten, wie es die Bundesarbeitsministerin vorsieht, lehnen wir ab und werden diese bei der Abstimmung nicht mittragen.“ Merkel bringt der Aufstand in der Unionsfraktion in eine unangenehme Lage. Da sich die SPD kühl auf den Koalitionsvertrag beruft, bleibt ihr nichts, als die Arbeitsministerin zu stützen. Aber sie muss auch ein Signal an die Unzufriedenen senden. Über ihren Regierungssprecher lässt sie gestern mitteilen, sie stehe zum Gesetzentwurf. Man sei sich aber auch einig, „dass es mit der Ausgestaltung dieser Rentenregelung keine Anreize zu einer neuen Frühverrentungswelle geben soll“. Vermutlich werden sich die Koalitionsspitzen darauf verständigen, im Bundestag das Gesetz zur Mütterrente und das Gesetz zur Rente mit 63 als Gesamtpaket zur Abstimmung zu stellen. Und da wohl kein Unionsabgeordneter so weit gehen würde, Merkels einzig konkretes Wahlkampf-Versprechen – die Mütterrente - anzutasten, wird nichts schiefgehen. Abgesehen davon, dass selbst fünf Dutzend unzufriedene CDU-Abgeordnete die voluminöse Mehrheit der großen Koalition nicht ins Wanken bringen könnten.