Der 23-Jährige führt trotz seiner chronischen Krankheit inzwischen ein fast normales Leben. Foto: Thiercy

Bei Manuel Raff wird mit 16 mit Morbus Crohn diagnostiziert. Er erhält Cannabis auf Rezept.

Renningen - Bis zu 30 Mal am Tag auf Toilette. Kräfteraubende Bauchkrämpfe, blutiger Durchfall. Mit nicht einmal 16 Jahren bekommt Manuel Raff die Diagnose Morbus Crohn und konnte über viele Jahre hinweg nicht mehr aus dem Haus. Sein Darm zerstört sich selbst. Der Körper rebelliert, seine Seele leidet. Er sucht einen Weg, weg von den Symptomen. Seinen Weg. Der heißt Cannabis. Seit über anderthalb Jahren ist er legaler Cannabis-Patient, bezahlt von der Krankenkasse.

 

Lange denkt Manuel Raff nach auf die Frage, wie sein Leben heute ist. Man merkt dem jungen Mann an, dass er mit seinen 23 Jahren reifer ist als viele seiner Altersgenossen. Vielleicht, weil er mehr als acht Jahre seines jungen Lebens mit einer schweren und chronischen Krankheit verbracht hat. Vielleicht, weil er das Bestmögliche aus seiner Situation gemacht hat. Und für seine Begriffe seine vielleicht letzte Chance genutzt hat. Manuel Raff aus Renningen (Kreis Böblingen) ist einer von wenigen Cannabis-Patienten, die den Wirkstoff auf Rezept erhalten.

Der Weg bis dahin war lang. Raff ist das Kind einer Reprografin und eines Zahntechnikers. Er führt ein geselliges und zufriedenes Leben. Bis er Mitte 15 ist – und die ersten Symptome sich bemerkbar machen. Den Teenager quälen Hämorrhoiden und Blut im Stuhl. Nach einer schmerzhaften Erfahrung bei einer kaleidoskopischen Untersuchung schwört er sich, nie wieder einen Arzt aufzusuchen, trotz schlimmster Symptome. Als er 16 ist und eigentlich das Leben genießen will und Party feiern angesagt wäre, erhält er die Diagnose: Morbus Crohn.

Im Rausch verschwanden die Symptome

Und damit beginnt die schulmedizinische Suche nach der helfenden Nadel im Heuhaufen. Cortison und magensaftresistente Tabletten? Eine kurze Linderung. Gängige Standardmedikationen? Der Tropfen auf den heißen Stein. Bei einer Geburtstags-Party raucht er mit Freunden seinen ersten Joint. "Ich war damals total gegen Drogen", sagt Raff. Trotzdem kifft er, lässt sich mireißen. Im Rausch verschwanden die Symptome. Eine Dauerlösung ist das für ihn allerdings nicht. Er will sich nicht ständig zudröhnen. Regelmäßiger Konsum passt damals nicht in sein Weltbild.

Die Ärzte sehen irgendwann keine anderen Mittel mehr, als hoch-aggressive monoklonale Antikörper, die vergleichbar mit einer Chemotherapie sind. Die Therapie war mit heftigen Nebenwirkungen verbunden. Dieses Medikament fährt das Immunsystem herunter und kann als Spätfolge Krebs auslösen. Manuels Großeltern starben an Krebs, die Mutter kämpfte gegen die bösen Zellen. Nach der Aufklärung eines Arztes über die Nebenwirkungen hatte Manuel Angst vor dem Medikament. Alpträume suchten ihn heim, dass er daran sterben würde.

Dennoch lässt er sich auf die Therapie ein. Mit einem mulmigen Gefühl. Anfangs wirkt die Chemie. Aber nur kurzfristig. Bereits nach einem halben Jahr reicht die monatlich intravenös injizierte Dosis nur noch für drei bis vier Tage. Die Durchfälle und Symptome kommen zurück. Für ihn steht die abgeschwächte Wirkung in keinem Verhältnis zu den Risiken. Er bricht die Behandlung auf eigene Faust und ohne die Absprache mit seinem Arzt ab.

In seiner Not baut er selbst heimlich Hanf an

"Ich wollte nicht wie meine Familie an Krebs erkranken", sagt der junge Mann. Hinzu kommen die Nebenwirkungen. Raffs Gesicht quillt auf, die Haare fallen ihm aus. Die 40  Minuten bis hin zur Ausbildungsstelle kann er nicht mehr bewältigen, geschweige denn einen ganzen Arbeitstag durchstehen. Er schmeißt die Lehre zum Industriekaufmann und erinnert sich an die wohltuende Wirkung von Cannabis. Auf der Straße kaufen will er allerdings keinen Stoff. "Man weiß nie, welche Streckmittel enthalten sind. Außerdem wollte ich nicht abhängig sein von einem Dealer."

In seiner Not baut er selbst heimlich Hanf an. Und lernt, dass Tabak und Cannabis nicht zusammenpassen. Seine Ernte raucht er pur. Mit grandiosem Erfolg. Er fühlt sich zum ersten Mal seit Langem gesund und kann in dieser Zeit nach vielen Jahren das erste Mal endlich wieder durchschlafen. Doch der erzielte Ertrag reicht nur für kurze Zeit.

Selbst wenn die Ärzte Verständnis zeigen für seinen Wunsch, medizinisches Cannabis auf Rezept zu bekommen, bleibt ihm das vorerst versagt. Das Cannabis-Gesetz trat erst Anfang 2017 in Kraft. Raff sucht einen Weg, von zu Hause aus Geld zu verdienen. Im gut gehenden Onlinehandel muss er pausieren. Ihm fehlt die Kraft, wieder und wieder ist er im Krankenhaus. Ein Jahr lang hat er sich nur mit seinem Crohn und seiner Ernährung und alternativen und natürlichen Behandlungsmethoden beschäftigt. Auf blähende Lebensmittel, Fleisch, Milch, Zucker, Alkohol und Tabak verzichtet er vollständig.

Cannabis auf ärztliches Rezept

Raff entdeckt CBD-Öl. Das ist legal zu erwerben und zu verwenden und enthält kein berauschendes THC. Er macht den Selbstversuch, fuchst sich ins Thema und beginnt zu experimentieren. Heute vertreibt er in Deutschland hergestelltes CBD-Öl über seine eigene Marke Heal Nature und hat seine eigenen biologischen Kosmetiklinien mit Hanfrohstoffen entwickelt. Er brennt für das Thema und hat ein großes Ziel: ausschließlich nachhaltige und ökologisch sinnvolle Produkte zu verkaufen.

"2017 verabschiedete die Politik das Cannabis-Gesetz. Jetzt konnte ich endlich Patient werden. Dass Cannabis mein Leben gerettet hat, klingt übertrieben. Für meine Gefühlswelt war es damals so. Die Symptome der Krankheit waren nicht mehr auszuhalten. Cannabis hat mir ein Leben zurückgegeben. Eines, das mich tatsächlich wieder zufrieden macht. Wieder glücklich zu sein, war die schönste Erfahrung seit dem Beginn der Erkrankung."

Raff ist einer der ersten Patienten in Baden-Württemberg, die Cannabis auf ärztliches Rezept erhalten. Die Kasse zahlt. Gut 1200 Euro kosten die Blüten im Monat, je nach Blütensorte etwas mehr. Raff rechnet vor: "Das ist viel billiger, als meine vorherigen Medikamente und die ständigen Klinikaufenthalte."

Manuel Raff hat einen medizinischen Vaporisator bezahlt bekommen. Damit verdampft er die Cannabis-Blüten, anstatt sie zu verbrennen. "Das ist quasi gesundes Rauchen", lacht er. Lachen – das kann er erst wieder, seit die Pflanze für ihn legal ist. In seinem Blog auf seiner Website macht er anderen Patienten Mut, verrät seine Rezepte und tauscht sich mit anderen aus. Legal, gesund und voller Lebensfreude.