In seinem Element: Michael Jung reitet auf fischerChipmunk in der Geländeprüfung der EM in Luhmühlen. Foto: Gentsch

Reitsport: Vielseitigkeitsreiter aus Horb-Altheim bereitet sich akribisch auf Olympische Spiele 2020 in Japan vor.

An diesem Mittwochmorgen scheint es als wäre der Reiterhof Jung in Horb-Altheim im Winterschlaf versunken. Draußen ein leeres Trainingsgelände, aus der Ferne nur ein bellender Hund – doch der Schein trügt. Eine Stippvisite.

In der Reithalle der Familie Jung geht es nämlich hoch her. Wie kaum anders zu erwarten trainiert Michael Jung auf einem Pferd. Zwischendrin empfängt der mehrfache Olympiasieger, Welt- und Europameister honorigen Besuch. Plötzlich betritt Andrew Hoy mit einem Rollkoffer das Reiterstübchen, ist direkt aus Birmingham eingeflogen. Grund für das Kommen Hoys, der mit drei gewonnenen olympischen Goldmedaillen und einer Silbermedaille zu den erfolgreichsten Sportlern in der Vielseitigkeit gehört: "Er möchte sich ein Pferd ansehen und testen", sagt Michael Jungs Vater Joachim. Und schon hat sich Hoy umgezogen und steht parat.

Satteln in Spanien

Wenn sich Hoy dann die Stallung ansieht, wird ihm vielleicht auffallen, dass zwei Ausnahmepferde von Michael Jung fehlen, oder besser, "die Pferde sind seit Dienstag auf dem Weg nach Spanien. Zum letzten Mal wird Michael Jung dieses Jahr an einer SpringWeltcupprüfung teilnehmen", sagt Jung. Satteln wird er kommendes Wochenende in La Coruña dann mit der elfjährigen fischerChelsea und dem 14-jährigen Sportsmann S. Übernächstes Wochenende steht dann noch das internationale Springturnier in Frankfurt auf dem Programm.

Höhepunkt EM

Damit rundet Jung das Jahr ab, in dem er komplett im Einsatz war. Höhepunkt war dabei ganz klar die Vielseitigkeits-EM in Luhmühlen, wo er mit der deutschen Equipe Gold gewann und sich im Einzel nur seiner Teamkollegin Ingrid Klimke geschlagen geben musste. Zunehmend haben es dem Ausnahmereiter aber auch die Springturniere angetan. "Es ist nach wie vor ein Traum und ein Ziel meines Sohnes, auch im Springreiten an einem Championat für Deutschland an den Start gehen zu dürfen. Das ist natürlich eine Herausforderung und extrem schwierig, da seine Hauptdisziplin das Vielseitigkeitsreiten ist. Michael ist zur Zeit weltweit der einzige Reiter, der auf diesem Niveau im Springen und im Vielseitigkeitssport unterwegs ist", erklärt Joachim Jung und zieht Bilanz für das Jahr 2019.

Rundum zufrieden sei man, verknüpft mit vielen neuen Hoffnungen, die man sich aufgebaut hat – für beide Disziplinen. "Da sticht zum Beispiel ein zehnter Platz beim Weltcup-Springen in Helsinki, ein siebter Platz beim Großen Preis von Bordeaux oder der Sieg der Bundesrepublik in Dortmund besonders heraus", ergänzt Jung.

Zuversicht für Olympia

Diese Erfahrungen gilt es nun ganz besonders ins neue Jahr mit rüberzunehmen. Denn der Fokus, das ist klar, liegt nur auf einem Event: den Olympischen Sommerspielen im japanischen Tokio. Dort ist Gold natürlich ein Thema, und Jung weiß schon jetzt, wie es sich anfühlt, als Sieger aus Japan zurückzukehren. Mit dem erst siebenjährigen Wallach fischerWild Wave gewann er vergangenen Sommer den olympischen Testwettkampf "Ready Steady Tokyo" und bewertete anschließend die anspruchsvolle Geländestrecke auf der Halbinsel Sea Forest: "Schwierig, aber machbar. Wir sind sehr zuversichtlich", sagt er.

Luxus pur

Joachim Jung bestätigt auch, dass die Japaner ganz hervorragende Veranstalter sind, "die für die Pferde alles tun. Sie wissen seit dem Testevent auch wo sie noch nacharbeiten müssen. Nur das Klima kann man sich nicht aussuchen." Eine Änderung sei indes schon bekannt. Der Geländeritt wurde aufgrund möglicher größerer Hitze von zehn Minuten auf acht Minuten reduziert. "Es sind viele Puzzleteilchen, die zusammenkommen", sagt Joachim Jung.

Bis es Ende Juli losgeht, müssen auch Jung und seine Pferde bestens vorbereitet sein. Die erste Wahl fällt für Jung auf fischerChipmunk, als erstes Ersatzpferd fischerRocana und als zweiter Ersatz Highlighter, Luxus pur also. Gut für Jung war, dass er sich auf und mit fischerChipmunk reintrainieren konnte, das Pferd steht erst seit Februar im Stall der Jungs. "Das ist natürlich eine Umstellung für beide gewesen, aber sie hat gut geklappt, von Tag zu Tag ist es einen Tick besser geworden." Beide fanden schnell einen Draht zueinander, wuchsen gut rein in die Prüfungen, um auch auf einem Hauptchampionat wie der EM testen zu können, "das war nochmal etwas Besonderes, eine wichtige Erfahrung hinsichtlich Tokio", sagt Jung.

Damit die Olympischen Spiele ein voller Erfolg werden, müssen einige Prüfungen hintanstehen. Aus heutiger Sicht möchte Michael Jung an den Turnieren in Marbach, Aachen und Luhmühlen teilnehmen, die jeweils im Drei- und Zweiwochenrhythmus veranstaltet werden. "Ganz sicher aber werden fischerChipmunk oder fischerRocana nicht an so großen Prüfungen wie Kentucky oder Badminton teilnehmen. Da würden die Erholungsphasen zu lange dauern. Die Anforderungen sind so hoch, dass sie einer langen Regeneration bedürften", erklärt Joachim Jung. Nach Luhmühlen geht es für die Tiere Mitte Juli schon in Quarantäne.

Kader verkleinert

Mit dem Herbst hat der Ausschuss rund um Bundestrainer Hans Melzer aufgrund der Leistungen des Jahres nun auch die Kader zusammengestellt. Neben Michael Jung sind Sandra Auffahrt, Andreas Dibowski und Ingrid Klimke derzeit im sogenannten Olympia-Kader, der bis zu sechs Reiter umfassen kann. Eine ganze Reihe an Reitern folgt im Unterbau, dem Perspektivkader (erweiterte Weltspitze). Einer Nominierung für die Olympischen Spiele entspricht das noch nicht – sie folgt erst nach den Wettkämpfen in Luhmühlen.

Das Quartett hat sich jedoch bereits jetzt in eine gute Position gebracht, wenngleich nach einigen Änderungen nur noch drei Paare jeder Nation bei den Olympischen Spielen an den Start gehen dürfen, ein Ersatzreiter samt Pferd fliegt mit und darf seit Neuestem auch noch ins Geschehen eingreifen, wenn die Wettkämpfe bereits begonnen haben. "Sollte also ein Paar nach der Dressur, dem Gelände oder noch vor dem Springen ausfallen, darf der Ersatzreiter ran, damit die Mannschaftswertung nicht platzt", erklärt Joachim Jung. Allerdings werden in diesem Fall Minuspunkte aufgerechnet, um den Sieg kann es für diese Nation dann kaum noch gehen.

Die Reihenfolge der drei Prüfungen bleibt wie sie ist: Dressur, Gelände und Springen, woraus sich die Mannschaftswertung ergibt, danach zusätzlich ein weiteres Springen zur Ermittlung des Olympiasiegers in der Einzelwertung. "Allerdings wird die Vielseitigkeit an drei und nicht mehr an vier Tagen stattfinden, alle Dressurprüfungen gehen an einem Tag über die Bühne. Die Dressurprüfung ist zudem verkürzt, gleichzeitig aber erschwert worden", so Jung.

Pferd und Reiter topfit

Übrigens ist Michael Jung im Ausnahmefall nicht der alleinige Athlet vom Reiterhof, der nach Tokio fährt. Über dem Trainingsgelände wehen nämlich auch die Flaggen Japans und Polens. Für Japan macht sich Kenti Sato, der seit 2011 bei Jung trainiert, Hoffnung, während Pavel Spisak sich mit seinem Pferd Banderas deutlich größere Chancen ausrechnen darf.

Bei Michael Jung hingegen sind die Grundvoraussetzungen ganz andere, das weiß auch Joachim Jung: "Michael hat zwar gerade eine kleine Erkältung, ist sonst aber topfit. Bis Tokio muss auch sein Pferd topfit sein, dieses wird natürlich noch öfters medizinisch untersucht. Wenn das zusammen mit den Bedingungen vor Ort stimmt, ist alles möglich", sagt er, überlegt kurz und ergänzt: "Das Quäntchen Glück brauchst du natürlich auch."

Der Fahrplan für Tokio 2020

Michael Jungs Fahrplan für Tokio sieht wie folgt aus. Drei Wochen ist er unterwegs: 

13. Juli: Quarantäne in Warendorf

 20. Juli: Hinflug für Pferde und Reiter nach Tokio

 WETTKAMPFTAGE:

31. Juli: Medizinische Untersuchung der Pferde "Vet Check"

1. August: Dressurtag

2. August: Geländetag

3. August: Abschlussspringen (Team und Einzel)

6. August: Rückflug