Aotea hat schon Erfahrung mit Pferden und sitzt rückwärts auf einem galoppierenden Pferd. Foto: Rahmann

Auf dem Bleichhof können die Kinder mit der Lebenshilfe eine Woche lang auf Pferden reiten und voltigieren. Dabei machen sie teilweise spektakuläre Turnübungen auf den Rücken der Pferde. Hofbesitzerin Birgit Quinzio ist promovierte Psychologin.

„Knie dich mal hinter den Jonas hin“, sagt Birgit Quinzio, Betreiberin der Pferdehaltung „Bleichhof Nagold“. Aotea setzt den Vorschlag um, kniet auf dem Rücken eines großen weißen Pferdes – während es läuft. Später steht sie sogar auf dem trabenden Pferd und tanzt mit Trainer-Assistentin Lotte Hoffmann die „Macarena“-Choreografie.

 

Beim Sommerprogramm der Lebenshilfe können die Kinder eine Woche jeweils von 10 bis 13 Uhr auf den Pferden im Bleichhof reiten und voltigieren. „Wir schaffen es nie um eins weg“, sagt Dorothea-Siedle-Winter von der Lebenshilfe, die Kinder seien zu begeistert um pünktlich aufzubrechen. Die spektakulärsten Übungen machen die Kinder beim sogenannten Voltigieren. Dabei lassen Qinzio und Hoffmann das Pferd abwechselnd an einer langen Leine in einem regelmäßigen Takt im Kreis traben und galoppieren.

Da die Leinenführerinnen dabei die Kontrolle über das Pferd behalten, können die Kinder sich voll auf ihren Körper und das Gleichgewicht konzentrieren, sagt Quinzio. „Reiten ist viel gefährlicher als voltigieren“, fügt sie hinzu, da die Reiter dort selbst die Kontrolle über das Pferd behalten müssen.

Voltigieren ist ein Gruppensport

Voltigieren sei außerdem anders als Reiten ein Gruppensport, so helfen die Großen den Kleinen, wenn sie gemeinsam auf dem Pferd akrobatische Übungen machen. Der Bleichhof betreibe das Voltigieren als Breitensport und Leistungssport, betreue aber auch inklusive Gruppen durch therapeutisches Voltigieren. So sei die Kooperation mit der Lebenshilfe über zehn Jahre alt, so Quinzio. Neben dem Sommerprogramm kooperieren Bleichhof und Lebenshilfe noch in Form eines wöchentlichen Pferdekurses.

Therapeutische Effekte

Quinzio sieht sich vor allem als Reitlehrerin – therapeutische Effekte passieren großteils nebenbei, sagt sie. Ein wichtiger Effekt passiere durch die dreidimensionale Bewegung vom Pferd. Oben, unten, rechts, links – die Kinder auf dem Pferderücken müssen die Bewegungen des Pferds beim Laufen ausgleichen, ihre Hüfte zeichnet dabei „eine liegende acht“, fährt Quinzio fort.

Das wirke beruhigend, fördere eine „entspannte Wachsamkeit“ und könne insbesondere zum einen bei körperlichen Problemen wie mit der Wirbelsäule, mit Spastiken oder auch mit dem Gleichgewicht und der Koordination, aber auch bei Autismus, ADHS , allgemeinen Entwicklungsverzögerungen oder auch Trisomie 21 therapeutisch wirksam sein.

Kinder kommen in den Wald

Zudem gehen viele der Kinder nicht gerne raus, weil sie beispielsweise nicht gut laufen könnten. Daher gehe sie mit den Kindern oft in den Wald, der fünf Reitminuten vom Hof entfernt ist, den die Kinder auf dem Pferderücken „mit allen Sinnen genießen“ können. Im Rahmen des Sommerprogramms sei sie mit den Kindern auch schon zur Burgruine Hohennagold geritten.

Entspannter als in anderen Gruppen

„So entspannt hab ich ihn selten erlebt in irgendeiner Gruppe“, sagt Gundel Bandelow von der Lebenshilfe über ein teilnehmendes Kind. „Auf dem Pferd oder hier im Bleichhof überhaupt sind sie ganz anders, sonst können sie sehr unruhig sein“, sagt ihre Kollegin Dorothea Siedle-Winter über die Kinder. Die Erfolgserlebnisse mit den Pferden und das Spüren des eigenen Körpers seien bedeutsam für die Pferdetherapie.

Pferde sind keine Sportgeräte

Sich getragen fühlen, Selbstsicherheit, aber auch die Beziehung zum Pferd selbst seien zentral, ergänzt Quinzio: „Das Pferd ist nicht einfach ein Sportgerät.“ Beim Putzen, Fertigmachen und Zurückführen merken die Kinder, wie es dem Tier an dem Tag geht und können sich darauf einstellen.

Promovierte Diplompsychologin

Auch wenn sie sich vor allem als Reitlehrerin sieht, helfen Quinzio, die promovierte Diplompsychologin ist, ihre fundierten Kenntnisse. Die Diagnose der Kinder wolle sie oft gar nicht wissen. Sie schaue lieber selbst wie das Kind ist und was es mit dem Pferd erreichen könne. Oft gibt sie den Kindern beim Reiten Rechenübungen: „Rechnen hat viel mit Takt- und Rhythmusfähigkeit zu tun“, sagt sie. Einige Kinder entspannen sich auch sichtbar beim Rechnen – vermutlich, weil sie dabei nicht mehr daran denken können, auf dem Pferd vielleicht etwas falsch zu machen.

Freies Fliegen

Der neunjährige Mino liebt es, mit dem Pferd durch einen Vorhang aus Plastikbändern zu reiten. „Wer kommt aus dem Vorhang heraus, ein König?“, fragt eine Betreuerin. „Ich bin immer noch Mino“, antwortet dieser.

Größe, Stärke und Schönheit faszinieren Aotea an den Pferden, sie reitet bereits seit ungefähr einem Jahr. Besonders Galoppieren sei „als ob man fliegt und nichts unter einem ist“.