Über das Schicksal der Horber Familien Heinrich Stern und Gustav Schwarz nach der Reichspogromnacht berichten Schüler des MGGs. Die Veranstaltung findet am Donnerstag, 9. November, um 19.30 Uhr in der Ehemaligen Synagoge in Rexingen statt.
Bilder von brennenden Synagogen, von zertrümmerten Fensterscheiben sind auf Fotos aus Großstädten, die am Morgen des 10. November 1938 aufgenommen wurden zu sehen.
Ein Foto, das nach der Pogromnacht in Horb aufgenommen wurde, zeigt das Schuhhaus Tannhauser, bei dem die zerstörten Fenster mit Bretter vernagelt sind.
Väter starben nach Haft
15 jüdische Männer im Alter zwischen 32 und 68 Jahren wurden in Horb verhaftet und zwei Tage später ins Konzentrationslager Dachau gebracht. Ihre Zeit dort war geprägt von Erniedrigungen, Folter, Hunger und Krankheit, sie durchlebten Wochen größten Elends. Freigelassen wurden sie nur unter der Auflage, so schnell wie möglich aus Deutschland auszureisen, was unter den herrschenden Umständen fast unüberwindliche Schwierigkeiten mit sich brachte. Trotzdem haben es acht von ihnen geschafft, mit ihren Familien noch in die USA oder nach Palästina zu fliehen.
Fünf der ehemaligen Dachau-Häftlinge konnten oder wollten nicht ausreisen und sind alleine oder mit ihren Familien 1941 und 1942 deportiert worden. Zwei Familienväter, Heinrich Stern vom Mühlener Torweg und Gustav Schwarz aus der Schillerstraße starben nach ihrer Entlassung an den Folgen der Haft.
Von der SS getreten
Jenny Stern schilderte 1950 die Rückkehr ihres Mannes Heinrich Stern aus Dachau: „Von dort kehrte er am 23. Dezember 1938 todkrank heim, musste sofort ins Krankenhaus Horb verbracht werden und verstarb dort trotz aller ärztlicher Bemühungen zwei Tage später. Er hatte eine Urinvergiftung. Der Krankenhausarzt in Horb war entsetzt gewesen über den Zustand, in dem mein Mann eingeliefert wurde.“
Adolf Landauer und Hermann Gideon berichteten später in einer eidesstattlichen Erklärung: „Heinrich Stern wurde mit uns am 12. November 1938 nach Dachau abgeschleppt. Nachdem wir in einer Stube zusammen waren (Block 20, Stube 2), haben wir gesehen, wie er von der SS getreten und geschlagen wurde. Er äußerte sich einige Male uns gegenüber, dass ihm das Verrichten seiner Notdurft verweigert wurde, unter Androhung weiterer Misshandlungen.
Fabrikverkauf nach KZ-Haft
Er sollte am 26. November 1938 mit uns entlassen werden. Er stand neben uns, bis der Lagerarzt am Körper blutunterlaufene Stellen bemerkte, die durch fortgesetzte Misshandlungen hervorgerufen waren. Daraufhin wurde Stern nicht mit uns entlassen, sondern noch weitere sechs Wochen im Lager zurückbehalten.“
Der Kaufvertrag für Grundstück und Gebäude der Kleiderfabrik Stern ist mit dem 7. Dezember 1938 datiert. Der Zusammenhang zwischen den ihm zugefügten Misshandlungen und dem Abschluss des Zwangsverkaufs ist offensichtlich. Jenny Stern gelang es 1939, mit ihrer Tochter, ihrem Schwiegersohn und der Enkelin nach Südafrika zu fliehen.
Steine flogen durch die Fenster
Gustav Schwarz aus der Schillerstraße wurde ebenfalls am 10. November in seiner Wohnung verhaftet. Seine Tochter Margot hat seine Verhaftung beschrieben:
„Ich bin aufgewacht vom Zersplittern von Glas. Durch alle Fenster flogen Steine ins Haus und machten alles kaputt. Das Geschäft meines Vaters gegenüber war aufgebrochen, und die Stoffballen lagen auf der Straße herum. Früh am Morgen kamen sie und verhafteten meinen Vater. Großvater nahmen sie nicht mit. Er war schon über achtzig.
Jeder kannte jeden
Horb war eine kleine Stadt und jeder kannte jeden. Der Mann, der meinen Vater verhaftet hat, ist mit ihm aufgewachsen. Sie waren zusammen im Ersten Weltkrieg gewesen. Er sagte zu meinem Vater: Tut mir leid, aber das ist ein Befehl. Später sahen wir, wie die Gemeindevorsteher der jüdischen Gemeinde auf die Polizeiwache gebracht wurden.“
Gustav Schwarz konnte nach drei Wochen nach Horb zurückkehren. Er war ein gebrochener Mann. „Er kam nach Hause, ich habe ihn nie weinen sehen, er hat die ganze Zeit geweint, er hat nur dagesessen und geweint. Er konnte das nicht fassen.
Familie flieht nach Palästina
Er, als Deutscher, als Frontkämpfer, er konnte das nicht fassen, er hat immer geweint. Und dann hat er gesagt, es war November, sie mussten stundenlang in ganz leichter Kleidung dort stehen, barfuß in der Kälte, und da hat er etwas an den Nieren bekommen.“
Gustav Schwarz starb im Februar 1939 an Nierenversagen in der Schweiz, wohin sich die Familie geflüchtet hatte. Seine Frau und die beiden Kinder emigrierten wenig später nach Palästina.
Jugendliche reden über Lebensläufe
Jedes Jahr fahren Schülerinnen und Schüler der 9. Klasse des Martin-Gerbert-Gymnasiums nach Dachau, um das Gelände des ersten NS-Konzentrationslagers in Deutschland zu erkunden und die Ausstellung in der Gedenkstätte zu besuchen.
Vor der diesjährigen Klassenfahrt haben sich die Jugendlichen mit Biografien derjenigen Männer beschäftigt, die am Morgen des 10. Novembers 1938 in Horb verhaftet und vom Gefängnis in der Wintergasse nach Dachau gebracht wurden. Ihr Wissen konnten sie beim Besuch des Lagergeländes mit dem Historiker teilen, der sie durch die Ausstellung führte und so einen direkten Bezug zu Horb herstellen.
Auch Nachkommen sind da
Am Donnerstagabend, 9. November, berichten drei Schülerinnen in der Ehemaligen Synagoge in Rexingen über ihre Dachau-Fahrt und über das Schicksal der Familien Heinrich Stern und Gustav Schwarz. Unter den Anwesenden werden sich auch Nachkommen der Horber Familie Gideon aus den USA befinden. Sie kommen aus Villingen, wo am 7. November Stolpersteine für Robert und Elsa Gideon, ihre Kinder Helga und Werner und den Großvater Michael Bloch gelegt werden.
Robert Gideon, ein Sohn von David Gideon, Gründer der Horber Seifenfabrik, hatte 1933 nach Villingen geheiratet und führte dort mit seinem Schwiegervater ein kleines Kaufhaus. Er war ebenfalls in Dachau inhaftiert und konnte 1939 mit seiner Familie in die USA fliehen.
Jugendguides haben seine Geschichte im Rahmen des regionalen Jugendprojektes „Pieces of Memory“ erforscht. Auch sie wird an diesem Abend vorgestellt.
Die Veranstaltung am Donnerstag, 9. November, in der Ehemaligen Synagoge in Rexingen beginnt um 19.30 Uhr.