Andrzej Wajda (1926-2016) mit dem Goldenen Löwen für sein Lebenswerk im Jahr 2013 beim Filmfestival von Venedig Foto: dpa

Er habe sich nicht hart genug mit dem Sozialismus angelegt, warfen einige dem großen polnischen Regisseur Andrzej Wajda vor. Aber der am Sonntag im Alter von 90 Jahren Gestorbene hat mit Werken wie „Mann aus Eisen“ den Widerstand der Polen gegen das Apparatschiksystem befeuert.

Stuttgart - Sie konnten mit dem Blick durch den Kamerasucher Löcher in Eiserne Vorhänge brennen, konnten still auf einem Stuhl in einem Schneideraum sitzen und gleichzeitig Todesstreifen, Panzersperren und Stacheldrahtverhaue überspringen. Etliche Filmemacher des sogenannten Ostblocks waren wie manche Literatenkollegen subversive Superhelden des Kalten Krieges, Kämpfer für differenzierte Weltwahrnehmung, kritische Nachfrage und offene Verständigung in Zeiten der Propaganda, Vertuschung und Konfrontation. Der Pole Andrzej Wajda, der am Sonntag im Alter von 90 Jahren in Warschau gestorben ist, war einer von ihnen.

Zu Anfang seines Langfilmdebüts „Eine Generation“ (1955), der von jungen Untergrundkämpfern gegen die deutschen Besatzer erzählt, schwenkt und schwebtdie Kamera langsam über eine Armeleutesiedlung, zeigt Kinder, Hausfrauen, Arbeiter, Rentner zwischen selbstgebauten Unterkünften, kaum größer als Hühnerställe. Aber der ganz große Anklagegestus fehlt diesem Anblick, auch die Heroisierung. Die Figuren werden gleich in einen ganz alltäglichen, schmalen Rahmen gestellt, und auch das erste Opfer, das wir gleich sehen, einen jungen, der beim Kohlestehlen von einem Zugbegleiter erschossen wird, stirbt einen prosaischen Tod in einem buchstäblich dreckigen Kampf gegen das Böse.

Gleich die Fünfziger werden Wajdas erste große Zeit, er widmet sich auch in den Folgefilmen „Der Kanal“ (1957) und „Asche und Diamant“ (1958) Kriegszeit, Partisanenruhm und der Geburtsstunde der Sozialistischen Volksrepublik Polen. Aber seine frühen Meisterwerke setzen dem offiziell erwünschten Pathos- und Parteiheldenkino Bilder entgegen, die von skeptische Symbolen, Trauer um geplatzte Hoffnungen und Misstrauen gegen jede Art Totalitarismus durchspuktes werden. Die Zensur bekam nicht zu fassen, wie Wajda, der ehemalige Angehörige der patriotischen Untergrundarmee Armia Krajowa, vom stalinistischen Denkmalstil abwich.

Das Team habe bei einigen Aufnahmen zu seinem Langfilmdebüt „Eine Generation“ ganz schön gezittert, erzählt Andrzej Wajda (1926-2016). Der Grund: Es gab 1955 in Polen keine Platzpatronen, die kräftig genug gewesen wären, den Schlitten einer Pistole zurückschnellen zu lassen - und so einen weiteren Schuss zu ermöglichen. Wajda aber wollte Schussfolgen. Also wurden die Waffen mit scharfer Munition geladen. Diese Anekdote ist sehr symbolisch für das ganze Schaffen Wajdas zu Zeiten der roten Zensur.

Weg mit den Illusionen

Trotzdem gehörte der am 6. März 1926 in Suwalki Geborene zu den Vielen, die es als Wunder sahen, dass es überhaupt noch einen polnischen Staat gab. Schließlich war das Land oft genug Spielball, Beute, Siedlungsraum der Nachbarn gewesen. In „Legionäre“ (1965) etwa erzählt Wajda vom Versuch der polnischen Eliten, in der napoleonischen Ära die bereits von der Karte gestrichene Nation wiederherzustellen – und wie dabei aus Opfern Täter werden.

Vielleicht hätte man Andrzej Wajda um diese Zeit immer noch begeistern können für die Idee vom demokratischen Sozialismus als kleinstes bislang bekanntes Übel. Aber die Filme der Siebziger, seiner zweiten großen Periode, bezeugen dann eine radikale Desillusionierung. Sie reagieren auf die Verlogenheit, Verkrustung und Brutalität eines nicht reformierbaren Apparatschiksystems.

Die Bitterkeit über den ewigen Fehlschlag von Reformhoffnung und Utopie trägt in „Die Hochzeit“ (1973), „Das gelobte Land“ (1975) und „Die Schattenlinie“ (1976) noch die Maske der historischen Erzählung aus Tagen von Feudalismus und Kapitalismus. Aber „Der Mann aus Marmor“ (1977 ) und „Der Mann aus Eisen“ (1981), in Cannes mit der Goldenen Palme gekürt, nehmen sich offen die Kluft zwischen Arbeiterleben und Funktionärsherrschaft im Sozialismus vor. Wajdas Filme kommentieren den Kampf der Gewerkschaft Solidarnosc gegen das System nicht nur. Sie befeuern ihn. Die Machthaber reagieren, nehmen Wajda die Arbeitsmöglichkeiten und zwingen ihn ins Ausland.

Zeit der Ehrungen und Schwäche

Auf dem Papier der Würdigungslisten beginnt nun Wajdas ruhmreichste Phase. Tatsächlich wird der in Frankreich mit Gérard Depardieu gedrehte „Danton“ (1983), ein scharfer Film über postrevolutionären Terror, noch ein Großwerk. Aber auch wenn es nun bei der Berlinale, in Venedig und bei der Oscar-Verleihung im Jahr 2000 Ehrungen fürs Lebenswerk gibt, tut Wajda sich schwer mit einer Epoche, zu der er aufbauend Positives beitragen möchte, obwohl sein Blick und Verstand doch aufs Kritische geeicht sind. Obendrein melden sich in Polen nun jene zu Wort, die im Schutz einer neuen Zeit andere, auch Wajda, für zu wenig Mut in der alten tadeln.

Nicht mehr so widerborstig

Wajda, dessen aktueller Film „Powidoki“, eine Biografie des Avantgarde-Künstlers Wladyslaw Strzeminski, Polens Oscar-Kandidat ist, hat weiter wichtige Themen aufgegriffen. Aber „Korczak“, (1990), das Porträt des in Treblinka ermordeten Pädagogen Janusz Korczak, „Das Massaker von Katyn“ (2007) über die Ermordung tausender polnischer Ofiziere durch die Sowjets, oder „Wałesa. Der Mann aus Hoffnung“ (2012) fehlt paradoxerweise die widerborstige Unabhängigkeit, die ertrotze Freiheit, die Wajdas Werk unter der Zensur auszeichneten.

Aber ein paar schwächere Filme sollten nicht ablenken vom Blick auf ein großes Gesamtwerk. Nicht zufällig ist es in Deutschland auf DVD nur in kleinsten Bruchstücken greifbar. Wajda hat eben nicht nur mehr oder weniger verschlüsselt von sozialistischer Desillusionierung erzählt. Er hat immer wieder die deutsche Schuld gegenüber Polen in den Blick gerückt. In Zeiten, in denen das weltoffene Programmkino für Protestbewegte vom Wellnesskino für Trostbedürftige abgelöst wurde, wären Wajdas beste Filme wohl zu bittere Kost.