Ein Soldat hält sein Gewehr auf einem ukrainischen Panzer während schwerer Kämpfe in der Region Luhansk. (Archivbild) Foto: dpa/Oleksandr Ratushniak

Im Ukraine-Krieg nimmt Moskau zu einem aus der Besetzung der Krim bekannten Mittel Zuflucht: In Scheinreferenden sollen besetzte Gebiete für den Beitritt zur Russischen Föderation stimmen.

 Russland versucht angesichts der ukrainischen Offensive die international nicht anerkannten „Volksrepubliken“ Luhansk und Donezk im Osten des Landes sowie das Gebiet Cherson im Süden durch Scheinreferenden an sich zu binden. Noch in dieser Woche solle die Bevölkerung über einen Beitritt zur Russischen Föderation abstimmen, teilten die Regionen am Dienstag mit.

Die Ukraine reagierte gelassen. „Weder die Pseudoreferenden noch die hybride Mobilmachung werden etwas ändern“, schrieb Außenminister Dmytro Kuleba am Dienstag beim Kurznachrichtendienst Twitter. Die Ukraine werde weiter ihr Gebiet befreien, egal, was in Russland gesagt werde.

UN-Generalsekretär António Guterres hat sich angesichts der Funde Hunderter Leichen in der Ukraine besorgt gezeigt. „Die jüngsten Berichte über Grabstätten in Isjum sind äußerst beunruhigend“, sagte Guterres zum Auftakt der 77. Generaldebatte der UN-Vollversammlung. Der türkische Präsident Recep Tayyip Erdogan, der sich zuletzt an die Seite Moskau gestellt hatte, forderte die Rückgabe der von Russland besetzten Gebiete an die Ukraine.

„Volksrepubliken“ und Region Saporischschja vor Scheinreferenden

Die Scheinreferenden, die weder von der Ukraine noch von der internationalen Gemeinschaft anerkannt werden, sollen den Angaben zufolge vom 23. bis 27. September abgehalten werden. Sie sollen auch im besetzten Teil der südukrainischen Region Saporischschja statfinden, wie die russische Militärverwaltung mitteilte. In der Region liegt auch das besetzte AKW Saporischschja. Die gleichnamige Gebietshauptstadt mit vor dem Krieg rund 700 000 Einwohnern kontrollieren hingegen ukrainische Truppen.

„Wenn in der Ukraine ein Frieden hergestellt werden soll, wird natürlich die Rückgabe des besetzten Landes wirklich wichtig. Das wird erwartet“, sagte Erdogan in einem vom US-Sender PBS am Montagabend veröffentlichten Interview. Genauso müsse die von Russland annektierte Halbinsel Krim an die Ukraine zurückgegeben werden. Russland hat nach seinem Einmarsch in der Ukraine am 24. Februar große Gebiete im Süden und Osten des Landes erobert. Ankara hat bereits in der Vergangenheit die Annexion der Krim 2014 verurteilt und auf die Achtung der Souveränität der Ukraine gepocht. Zuletzt hatte Erdogan andererseits dem Westen „Provokation“ im Ukraine-Krieg vorgeworfen.

Ukraine kann mit weiteren Milliarden aus Brüssel rechnen

Die Ukraine kann in Kürze mit der Auszahlung von weiteren EU-Finanzhilfen in Höhe von fünf Milliarden Euro rechnen. Die EU-Staaten nahmen die Milliardenhilfe am Dienstag formell an, wie die tschechische Ratspräsidentschaft mitteilte. Damit nahm das Finanzpaket seine letzte Hürde und dürfte somit bald ausgezahlt werden. Das Darlehen solle dafür sorgen, dass der ukrainische Staat und wichtige Infrastruktur trotz des russischen Kriegs gegen das Land weiter funktionieren können. Das Geld ist Teil eines im Mai angekündigten Hilfspakets über insgesamt neun Milliarden Euro.

Mit Hilfe der EU-Kommission sind bislang insgesamt 14 Millionen Tonnen an landwirtschaftlichen Produkten aus der Ukraine exportiert worden. Über sogenannte Solidaritätsspuren und die Schwarzmeerhäfen wurden seit Beginn des russischen Angriffskrieges vor allem Getreide und Ölsaaten aus der Ukraine in die EU geliefert, wie ein EU-Beamter am Dienstag sagte. 61 Prozent der Güter wurden den Angaben zufolge über die speziell errichteten Korridore transportiert, die restlichen 39 Prozent über das Schwarze Meer. Im Mai hatten nach Angaben der EU-Kommission noch 20 Millionen Tonnen Getreide in der Ukraine festgesteckt und drohten, die Lagerstätten zu blockieren, die für die nächsten Ernten benötigt wurden.

Ringtausch von militärischem Gerät mit deutscher Beteiligung

Slowenien und Deutschland sind sich nach slowenischen Angaben über einen Ringtausch als Militärhilfe für die Ukraine einig. Demnach gibt Slowenien 28 alte Kampfpanzer M-55S an das von Russland angegriffene Land ab. Das teilte der slowenische Ministerpräsident Robert Golob in Ljubljana nach einem Telefonat mit Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) mit. Aus Deutschland bekomme es dafür 35 schwere Militärlastwagen und 5 Tankwagen, hieß es am Montagabend. In Berlin stand am Dienstag eine offizielle Bestätigung noch aus. Die Bundesregierung hat einen Teil der Militärhilfe für die Ukraine als Tausch mit östlichen Nato-Partnern organisiert. Diese geben Waffen sowjetischer Bauart an die Ukraine ab und erhalten dafür moderneren Ersatz aus Deutschland.

SOS-Kinderdörfer rechnen mit neuer Flüchtlingswelle

Die SOS-Kinderdörfer rechnen aufgrund des drohenden harten Winters in der Ukraine mit Hunderttausenden weiteren Flüchtlingen. „Wir haben es mit einer historisch neuen Herausforderung zu tun: Eisige Kälte, Energieengpässe und gleichzeitig Krieg“, sagte der Leiter der Hilfsorganisation in der Ukraine, Serhii Lukaschow. Er rechne damit, dass in den vom russischen Angriffskrieg stark betroffenen östlichen Gebieten Donezk, Mykolajiw und Charkiw aufgrund der Bedingungen eine weitere halbe Million Menschen die Flucht antreten. Die lokalen Behörden hätten bereits erklärt, dass es unmöglich sei, die Heizsysteme, Strom- und Wasserversorgung rechtzeitig für den Winter wieder instand zu setzen.

Die Raumfahrtnationen Russland und USA fliegen an diesem Mittwoch in Zeiten schwerster Spannungen erstmals wieder zusammen zur Internationalen Raumstation ISS. An Bord einer Sojus-Rakete sollen die beiden Kosmonauten Sergej Prokopjew und Dmitri Petelin sowie der Nasa-Astronaut Frank Rubio um 15.54 Uhr MESZ vom russischen Weltraumbahnhof Baikonur in der Steppe der Republik Kasachstan in Zentralasien starten. Es ist der erste gemeinsame Flug seit Beginn des russischen Angriffskriegs gegen die Ukraine. Die Invasion belastet die ohnehin schwierigen Beziehungen zwischen Moskau und Washington zusätzlich.