Der Tuttlinger Polizeipräsident Ulrich Schwarz wird von der Polizei-Basis massiv kritisiert. Foto: Archiv: Maier

Eine Gruppe von elf Beamten und Angestellten kritisiert die Reform und ihren Tuttlinger Dienstherrn Ulrich Schwarz.

Region - Die Polizei-Basis hält sich nicht länger zurück. Sie redet Klartext. Wie die Gewerkschaften üben die Polizisten vor Ort massive Kritik an ihrem Dienstherrn, dem Tuttlinger Polizeipräsidenten Ulrich Schwarz. Dieser verharmlose die Situation völlig.

Es dürfte ein einmaliger Vorgang in der jüngeren Geschichte der Polizei in der Region sein: Sie sind aus fast allen Bereichen des Polizeipräsidiums Tuttlingen zusammengekommen. Rund ein dutzend Polizeimitarbeiter, fast alle im Beamtenstatus, stehen unserer Zeitung Rede und Antwort. Sie wollen sagen, wie es wirklich ist, wie es wirklich aussieht, draußen, in den Polizeirevieren.

Sie haben es satt, von ihrer Polizeispitze, vom Polizeipräsidenten Ulrich Schwarz und seinem Stellvertreter Gerold Sigg (dem früheren Leiter der Polizeidirektion Rottweil), mit aus ihrer Sicht verdrehten Wahrheiten in der Öffentlichkeit dargestellt zu werden. Schon lange sind sie verärgert, wie Schwarz öffentlich die Polizeireform nicht nur verteidigt, sondern geradezu lobt. Hinzu kommt, wie er die Statistik zur Kriminalitätsbelastung in seinem Revier, den Kreisen Rottweil, Schwarzwald-Baar, Zollernalb, Freudenstadt und Tuttlingen schöngeredet habe und wie er polizeiinterne Kritik unterdrücke und an sich abperlen lasse wie eine Teflonpfanne, wie es ein Beamter im Gespräch mit dem Schwarzwälder Boten ausdrückt.

Das Fass zum Überlaufen gebracht haben Schwarz’ jüngste Äußerungen zur massiven Schelte der Polizei-Gewerkschaften (wir haben berichtet). Hier ließ er über seine Pressestelle mitteilen, es handle sich um nichts Neues, was die Gewerkschaften geäußert hätten und man solle lieber miteinander reden als übereinander schreiben.

Nun sitzen die Vertreter der Polizei-Basis an einem Tisch. Verständlicherweise wollen sie ihren Namen nicht in der Zeitung lesen. Auch andere Details wie Dienstgrad und Einsatztätigkeit, die Rückschlüsse auf ihre Person zuließen, wollen sie in dem Bericht nicht erwähnt wissen. Denn sie müssten mit dienstrechtlichen Konsequenzen rechnen, sollte herauskommen, was sie gesagt, dass sie es waren, die der Polizeispitze zu widersprechen gewagt haben.

Was sie indes in diesen eineinhalb Stunden zu sagen haben, ist an Deutlichkeit nicht zu überbieten.

Reizwort Polizeireform: An dieser Reform lassen sie kaum ein gutes Haar. Von dem Versprechen der grün-roten Landesregierung, durch die Strukturveränderungen zusätzliche Polizisten zum Schutz der Bevölkerung auf die Straße zu bringen, ist man demnach weiter entfernt denn je. Die Stellen existierten lediglich auf dem Papier, zuweilen nicht einmal dort.

Ein Polizeibeamter sagt, dass in dem Revier, in dem er arbeite, der Personalstand in den vergangenen Jahren inzwischen auf ein Dreiviertel der Sollstellen abgeschmolzen sei. Circa 45 Kollegen seien für den Dienst vorgesehen, über 30 einsatzfähige Beamte verfüge man tatsächlich.

Aus anderen Bereichen im Zuständigkeitsgebiet der Tuttlinger Polizei wird berichtet, dass man Schwierigkeiten habe, den Streifendienst aufrecht zu erhalten. Zuweilen müssten Auszubildende herangezogen werden, um überhaupt die Mindeststärke zu erreichen. Krankheitsfälle könnten nur schwerlich aufgefangen werden. Stellen von Kollegen, die möglicherweise nach langer Krankheit sterben, werden nicht wiederbesetzt. Im Laufe der Zeit, so die Erfahrung, werde die Planstelle dann einfach gestrichen. "Wir sind dauernd dabei, Löcher stopfen", heißt es.

Ein anderer mahnt: Wenn die Bevölkerung wüsste, wie viele Polizisten tatsächlich nachts auf Streife seien, würde sie sich Sorgen machen. Von wegen "Insel der Glückseligen". Insgesamt betrachtet sei es so, dass der Personalbestand in einigen wenigen Bereichen immerhin 95 Prozent erreiche, in etlichen anderen nur rund 70 Prozent. Ausfälle wegen Krankheit seien dabei nicht berücksichtigt.

Die Schwierigkeiten, genügend Personal zu stellen, hätten nicht erst mit der von der grün-roten Landesregierung umgesetzten Polizei-Reform begonnen. Schon zuvor habe die Polizei unter massivem Personalmangel zu leiden gehabt. Doch mit Umsetzung der Reform wurden zusätzlich neue Dienststellen geschaffen, wie etwa der Kriminaldauerdienst, die Verkehrsunfallaufnahme oder die Funkleitzentrale.

Zusätzliches Personal habe das Präsidium nicht erhalten. Je neuer Dienststelle seien bis zu 27 Mitarbeiter, die meisten Beamte, notwendig. Diese Kollegen fehlten wiederum vor Ort. Hinzu komme, dass die Polizisten die Zentralisierung von Aufgaben für ein Gebiet wie dem des Polizeipräsidiums Tuttlingen als ungeeignetes Instrument betrachten. Tuttlingen sei das größte Flächenpräsidium im Land mit dem zweitniedrigsten Personalbestand. Zum einen seien lange Anfahrtswege notwendig, zum anderen kennten sich Kollegen in dem großen Gebiet nicht überall gleich gut aus, sodass wichtige Informationen vor Ort entweder nicht ankämen oder schlichtweg falsch seien. Erschwerend komme hinzu, dass frühere Präsidien zusammengewürfelt worden seien, die zuvor nichts miteinander zu tun gehabt hätten. Balingen (Zollernalbkreis) habe zu allem Überfluss zu einem anderen Regierungsbezirk gehört.

Zusammengefasst: Die Polizei leidet an chronischem Personalmangel, durch die Reform kamen neue Aufgaben hinzu, ohne dass das Personal aufgestockt wurde. Ein großer Fehler sei ebenfalls gewesen, Ausbildungsstätten zu schließen. Die Reform? Nach bisherigem Stand und aus der Warte der Tuttlinger Polizei-Basis ein misslungenes Projekt.

Reizwort Polizeipräsident: Ulrich Schwarz. Der Gefolgsmann von Innenminister Reinhold Gall gilt als glühender Verfechter der Polizeireform. Der 62-Jährige hat vor seiner jetzigen Aufgabe mehrere Jahre lang die Polizeidirektion Konstanz geleitet. Die Polizei-Basis nimmt ihm krumm, dass er sich um die Anliegen seiner Leute nicht kümmere. Sie werfen ihm vor, die Statistik für Straftaten für den Präsidiumsbereich Tuttlingen, die personelle Ausstattung in den Revieren, die Zahl angefallener Überstunden (Schwarz spricht von 10.600 Überstunden, die Gewerkschaften von 60.000) und die Überbelastung der Kollegen zu verharmlosen. Zum Teil hantiere er mit falschen Zahlen, so die Kritik.

Dabei nehmen die Polizisten, die am Tisch sitzen, ihren Diensteid und ihre Aufgabe, zum Schutz der Bevölkerung da zu sein, ernst. Trotz allem, das betonen sie, stehen sie hinter ihrem Beruf. Frustriert seien sie aber von den Rahmenbedingungen und von der Polizeispitze. "Die Oberen handeln wider besseres Wissen, andere Meinungen lassen sie nicht zu", heißt es.

Eine Manöverkritik sei nicht gewünscht. Immer werde alles als gut funktionierend dargestellt. Dabei gebe es, so ein erfahrener Beamter, genügend Anlass, Einsätze kritisch zu hinterfragen und die entsprechenden Rückschlüsse daraus zu ziehen. So sei es großes Glück gewesen und dem Zufall zu verdanken, dass es bei jüngsten brenzligen Einsätzen – genannt wurde unter anderem der Fahndungseinsatz nach dem Tötungsdelikt in Deißlingen – zu keinen Katastrophen gekommen sei. Die Arbeitsprozesse stimmten eben nicht. Doch gesprochen worden sei darüber nicht, weil es nicht gewünscht war.

Zusammengefasst: Die offensichtliche Unfähigkeit des Polizeipräsidenten Ulrich Schwarz, mit Missständen in Organisation und Ausstattung und Kritik umzugehen, sowie seine selbstgefällige Art haben die Polizei-Basis massiv verärgert. Sie will mit diesem Schritt an die Presse aufzeigen, dass es so nicht weitergehen kann. Ein Lichtblick: Schwarz, so heißt es, soll sich im Herbst in den Ruhestand verabschieden wollen.

Kommentar: Der Falsche

Von Armin Schulz

Da hilft auch das sonst übliche Grinsen von Ulrich Schwarz nichts. Die Polizei im Präsidiumsbereich Tuttlingen hat zwei dicke Probleme: eines mit der Reform, ein weiteres mit dem Polizeipräsidenten, also Schwarz selbst. Der Chef mag das alles noch so sehr kleinreden und beschwichtigen wollen. Der gravierende Eingriff unter der grün-roten Landesregierung in die sich über viele Jahre entwickelten Strukturen hat nicht das gebracht, was versprochen wurde. Fast nirgendwo verrichten weitere Polizisten ihren Dienst auf der Straße.

Es hat den Anschein, als wäre die Reform nicht viel wert. Und der Chef? Die Basis will einen Dienstherrn, der die Probleme offen benennt und anpackt, anstatt sie dauernd zu kaschieren. Zudem erwartet sie, dass ihr Präsident nicht nur buckelt, sondern dem Innenminister auch mal die Meinung geigt. Doch da scheint Schwarz der Falsche zu sein.